Ende der 90er legte der Pay-TV-Sender HBO die Basis für das aktuelle Goldene Zeitalter der US-Serien. Doch den Weg bereiteten nicht, wie oft behauptet, "Die Sopranos" oder "Sex and the City". Ein Jahr zuvor, 1997, veränderte bereits "Oz" die Serien-Landschaft.

Dabei ging es dem unbequemen Gefängnisdrama von Tom Fontana ("Homicide") zunächst wie vielen Revolutionären: Es wurde missverstan­den und abgestraft. Weil es mit einer fortlaufenden Handlung gegen alle Konventionen verstieß, eine extreme Brutalität an den Tag legte und Tabuthemen wie Homosexualität ganz natürlich in die Geschichten integrierte, traute sich niemand, die Reihe zu würdigen. In fünf Jahren bekam sie nur zwei Nominierungen für den TV-Oscar Emmy. Zum Vergleich: Die Mafiasaga "Die So­pranos", die in den Fußstapfen von "Oz" folgte, wurde mit 111 Nominierungen überschüttet.

Attica-Aufstand als Inspiration

Doch es war schon ein Erfolg, dass "Oz" überhaupt realisiert wurde. Jahrelang war Tom Fontana mit der Idee einer Gefängnisserie hausieren gegangen. Jahrelang schlug man ihm die Tür vor der Nase zu - bis die Kinofilm-Abspielstation HBO eine eigene Dramaserie wollte. Weil Senderchef Chris Albrecht große Erfolge mit Knastdokumentationen hatte, erteilte er grünes Licht für "Oz". Ein Titel, der sich übrigens nicht auf "Der Zauberer von Oz" bezieht, sondern auf Russell G. Oswald, der das Gefängnis von Attica im Bundesstaat New York leitete, als es 1971 zum blutigsten Insassenaufstand der amerikanischen Geschichte kam.

Die Geburt der Antihelden

Das Ereignis ließ den nahe Attica aufgewachsenen Fontana nicht los. Monatelang recherchierte
er zu Hintergründen und beteiligten Personen. Seine Expertise floss in "Oz"-Charaktere wie die Nonne Reimondo (Rita Moreno) ein, die Fraktions-Führer Vern Schillinger (J. K. Simmons) und Kareem Saïd (Eamonn Walker) oder den ehemaligen Anwalt Tobias Beecher (Lee Tergesen), dem das Gefängnis die Seele raubt.

Sie alle sind ein Vorläufer des klassischen Antihelden, der von "Mad Men" bis "Breaking Bad" heute im TV den Ton angibt. Damals war der Typus jedoch eine regelrechte Provokation, wie sich Fontana erinnert: "Wir haben unsere Figuren bewusst als Stereotypen angelegt, damit sich das Publikum in seinen Ressentiments bestätigt fühlt. Doch dann nehmen wir den Zuschauern diese Sicherheit Stück für Stück, bis sie nicht mehr wissen, wie sie empfinden sollen."

Entsprechend gespalten waren die Reaktionen, doch genau das hatte sich HBO erhofft: Denn nur durch die Diskussion um die Serie wurde der Sender bekannt. Erst nach fünf Jahren ging "Oz" zu Ende. HBO hätte Tom Fontana sogar eine sechste Staffel ermöglicht, doch die düstere Atmosphäre am Set einer ehemaligen Keksfabrik zog selbst ihren Erfinder so runter, dass er früher Schluss machte. Es war genug Herzblut in die Serie geflossen. Oder besser gesagt: Armblut. Denn der Oberarm, der im Vorspann ein "Oz"-Tattoo verpasst bekommt, gehört Fontana. Gut, dass er der Serie einen so kurzen Titel gegeben hat.

Rüdiger Meyer

Oz - Hölle hinter Gittern
MO, 24.3., Sky Atlantik HD, 20:00 Uhr