25 000 Fans, dicht an dicht auf einer steilen Tribüne stehend, mal singend, mal fluchend, hüpfend, Fahnen schwenkend: Der Anblick der sogenannten "gelben Wand" hat Autor Klaus Martens nach seinem ersten Besuch im Dortmunder Stadion nicht mehr losgelassen. Er wollte verstehen, wie dieser Mikrokosmos mit seinen "Ritualen, Gesängen und Choreografien im Inneren funktioniert".

Schließlich überzeugte er Sonia Mikich, seine Chefin beim WDR, von der Idee, eine Doku über die Besucher der Süd­tribüne zu drehen. Monat um Monat hat Martens danach bei Heimspielen Europas größtes Stehplatzareal abgeklappert und Fans angesprochen, um sie für sein Projekt zu gewinnen.

Seine Arbeitsthese: Das Epizentrum der Dortmunder Fußballleidenschaft setzt sich aus Menschen unterschiedlichster Gesellschaftsschichten zusammen, die "über alle Gegensätze hinweg für ein paar Stunden ein soziales Gefüge bilden, eine Gesellschaft, in der nicht nur alle gleich sind, mehr noch, alle Freunde sind". Um diesen "So­zialismus auf Zeit" (Martens) sichtbar zu machen, schickte der WDR am 20. April 49 Mit­arbeiter mit 16 Kameras zum Bundesligaspiel des BVB gegen den FSV Mainz 05. Ihre Auf­gabe: elf von Martens zuvor ausgewählte und interviewte Protagonisten (sowie Exprofi und Stadionsprecher Norbert Dickel) während des Kicks auf der "Süd" observieren.

Vom Spiel selbst gibt es in der Doku nichts zu sehen. Die Ereignisse auf dem Rasen, so der Ansatz, sollen sich in den Gesichtern der Fans, ihren Ak­tio­nen und Reaktionen spiegeln. Das Experiment geht auf, obwohl das rekrutierte Fanspek­trum - unter anderem sind eine Rentnerin, ein Schwuler, ein Ultra, ein Professor, eine Prostituierte und ein ehemaliger Bergarbeiter vertreten - etwas bemüht als Großfamilie inszeniert wird und die bucklige Verwandtschaft aus dem rechten Lager thematisch weitgehend ausgespart bleibt.

Frank Steinberg

Wir die Wand
DO, 3.10., WDR, 21:45 Uhr