Im Fadenkreuz des IS
Jeden Abend berichten die Nachrichten über neue Untaten des sogenannten Islamischen Staates. Thomas Aders ist Sonderkorrespondent der ARD für den arabischen Raum. In seiner beklemmenden Reportage "Im Fadenkreuz des IS" (Phoenix, 15.3., 21.45 Uhr) erzählt er von einer Reise an die Grenzen des von den Gotteskriegern kontrollierten Gebiets. TV SPIELFILM sprach mit dem Journalisten über das gefahrvolle Reporterleben in der Krisenregion.
Thomas Aders: Schon in unserem Studio in Kairo bereiten wir uns so gut auf eine Reise vor, wie es nur möglich ist. Wir versuchen die Route möglichst genau zu analysieren und holen Informationen darüber ein, ob beispielsweise die Strecke in Syrien von der Grenze bis Damaskus sicher ist oder nicht. Jeder aus unserem Team hat eine schusssichere Weste dabei, und im Falle Syrien ist auch eine Atropin-Spritze dabei, um uns vor Giftgasangriffen zu schützen. Doch all diese Sicherheitsvorkehrungen sind belanglos gegenüber dem Know-how unserer lokalen Mitarbeiter. Ich persönlich halte mich immer zu 100 Prozent an die Ratschläge meiner Producer und Fahrer.
Können Sie ein Beispiel geben?
Auf einer unserer letzten Reisen in den Irak hatte das Militär uns unendliche vier Tage lang warten lassen. Der Weltspiegel über den Antiterrorkampf der Armee drohte sich in Luft aufzulösen, zum ersten Mal in meinem Leben. Also suchten wir verzweifelt nach Alternativen und fanden sie scheinbar bei einer schiitischen Miliz. Diese versprach uns, zusammen bis zur Front mit dem Islamischen Staat zu fahren, nördlich von Bagdad. Doch unser Fahrer Jalaal recherchierte, dass die Strecke vollkommen unsicher war, weil ein Scharfschütze sein Unwesen trieb. Natürlich ließen wir daraufhin von der Idee ab. Mit anderen Worten: unsere Mitarbeiter entscheiden letztendlich, ob es weitergeht oder nicht. Alles andere wäre lebensgefährlich.
Kann man sich als Journalist denn in Bagdad selbst halbwegs sicher fühlen?
Wir haben in der irakischen Hauptstadt an mehreren Stellen gedreht, wo Sprengsätze der Islamisten detoniert sind. Natürlich, das ist ein komisches Gefühl. Doch die Gefahr ist vergleichsweise überschaubar. Am besten, man hält sich von großen Menschen-Ansammlungen fern, wie etwa den großen Märkten, auch an Polizeistationen und Militärposten sollte man sich nicht lange aufhalten. Trotzdem: ein wenig gehört auch Verdrängung dazu, sonst könnte man ja gar nicht ständig in Ländern wie Ägypten, Syrien, Libyen dem Irak oder dem Jemen arbeiten.
Sie haben aber auch von der Front zum Islamischen Staat berichtet.
In der vom so genannten Islamischen Staat kontrollierten Provinz Anbar war es etwas anderes: Dort sind wir mit dem Militär und einem der sunnitischen Stimme bis auf 3000 Meter an die Frontlinie herangekommen. Mehrfach sind hinter uns Granaten von Seiten der Islamisten eingeschlagen, wir beschlossen also, unseren Aufenthalt zeitlich nicht über Gebühr auszudehnen. Ich berichte über diese Reise ausführlich in meinem Buch. Noch kritischer war die Situation, als wir mit den kurdischen Peschmerga in einem klapprigen Militärhubschrauber auf das Sindschar-Gebirge geflogen sind, um Soldaten hin-, und Flüchtlinge wieder zurückzubringen. Da fühlt man sich schon ziemlich unwohl.
In wieweit ist es möglich, sich als westlicher Journalist im Nordwestirak und im Osten Syriens zu bewegen?
Der Osten Syriens ist vollkommen unsicher. Er steht zu fast 100 Prozent unter der Kontrolle des islamischen Staates, nur ein Selbstmörder würde dort versuchen zu drehen. Im Westen, an der Grenze zum Libanon, ist die Situation mittlerweile entspannt, da das syrische Militär hier einige militärische Erfolge erzielt hat. Zum Beispiel konnte die Armee die frühere Rebellenhochburg Homs wieder zurück erobern. An der nördlichen Grenze zur Türkei ist es nur sehr selten möglich, auf syrisches Territorium zu gehen, das vom IS gehalten wird. Dass mein Kollege Volker Schwenck in die Stadt Kobane gelangt ist, nachdem die Stadt befreit war, ist die große Ausnahme. Normalerweise sind Dreharbeiten nur in Gebieten möglich, die von den Kurden gehalten werden.
Auf welchen Wegen kommt man an Informationen aus den Gebieten, die der IS kontrolliert? Und wie zuverlässig sind diese Informationen?
Dies stellt eines der größten Probleme in unserer gesamten Berichterstattung dar. Beinahe jede Information stammt von der einen oder anderen Kriegspartei und ist manchmal gar nicht zu verifizieren. Dann müssen wir uns behelfen mit jenen typischen Ausdrücken "angeblich" "nach Aussagen von" "hier ein unüberprüfbares Internet Video..." und so weiter. Eher selten gelingt es uns, ein Amateurvideo zweifelsfrei zu identifizieren, und sogar den Urheber ausfindig zu machen und mit ihm zu sprechen. Das war beispielsweise der Fall nach einem Angriff des syrischen Regimes auf ein Flüchtlingslager mit Fassbomben. Da ist es unserem ägyptischen Producer gelungen, mit einem syrischen Zivilisten zu sprechen, der nur Minuten nach der unmenschlichen Attacke vor Ort war, mit seinem Handy ein Video gedreht hat, und dies ins Internet gestellt hat. Nur eines darf eben niemals passieren: dass man unbestätigte Informationen als die Wahrheit ausgibt.
Wie lässt sich der IS besiegen? Militärisch? Austrocknung der Finanzquellen?
Es ist eine Kombination all dieser Maßnahmen. Die kurdischen Perschmerga konnten nur deshalb die Milizen des islamischen Staates aus Kobane vertreiben, weil sie von der US-geführten Anti-Terror-Koalition mit Luftschlägen unterstützt wurden. Die Türkei spielt eine extrem wichtige Rolle bei der Strategie einer Austrocknung: bis vor kurzem konnten die Islamisten beispielsweise ihr Öl auf türkischem Territorium verkaufen, bekamen von dort finanziellen Nachschub und auch die Zufuhr neuer Freiwilliger aus allen Teilen der Welt funktionierte hier beinah problemlos. Daran hat sich nun offenbar aber etwas geändert: die Türkei hat begonnen, nicht mehr die Augen zu schließen. Doch eine völlige Zurückführung der Finanzierung des IS bleibt bis auf weiteres wohl eine Illusion, große Geldsummen werden auch heute noch aus der Golfregion nach Syrien überwiesen.
Wieso lässt sich das so schwer unterbinden?
Da spielt das in der arabischen Welt geläufige Transfersystem eine entscheidende Rolle. Der Sender geht irgendwo zu einer der einschlägigen Firmen, zahlt eine Summe ein, und nur einen Tag später, abzüglich einer kleinen Provision, wird in einer anderen Stadt dem Empfänger das Geld ausgehändigt. Es gibt keine Schecks, keine Bürokratie und keine Kontenbewegungen. Selbst für die Spezialisten der USA ist es so beinahe unmöglich, die Geldströme zu überwachen.
Was muss der Westen am dringendsten tun?
Der Westen sollte sich intensiv um die Situation im Irak kümmern. Hier sind gleich drei potentielle Gegner der Islamisten versammelt: die irakische Armee (die zwar nicht besonders schlagkräftig ist, wie ich in der Phoenix-Dokumentation "Im Fadenkreuz des IS" berichte), die kurdischen Peschmerga und selbst viele der sunnitischen Stämme. All diese Milizen und Armeen besser auszustatten und zu trainieren, das würde vermutlich einen großen Unterschied machen.
Von Hajo Friedrichs stammt die Formulierung, der Journalist solle sich mit keiner Sache gemein machen. Ist diese Haltung angesichts des IS-Terrors und des Flüchtlingselends in der Region angemessen?
Das ist wirklich eine sehr gute Frage. Jeder Journalist sollte sich diesen Satz immer wieder vor Augen führen. Ich persönlich tue es, seitdem ich ihn gelesen habe. Es ist der Kern jeder journalistischen Arbeit, egal wo man sich gerade befindet, ob in Berlin oder in Bagdad. Gerade auf unserer letzten Reise nach Kurdistan, Ende 2014, musste ich mich an diesen Satz gerade zu klammern. Wenn das Schicksal der zum Teil über Monate von Kämpfern des IS vergewaltigten yesidischen Mädchen und jungen Frauen war so grausamen und erschütternd, dass ich einen fast physischen Hass verspürt habe. Dennoch habe ich mich an Hajo gehalten: ich habe nur die Mädchen über ihr Schicksal reden lassen, und nicht selber kommentiert. Das Gute daran ist: so berührend wie diese Mädchen, eine war gerade erst 15 Jahre alt, hätte ich selbst es nie ausdrücken können.
Sie erleben Leid und Elend aus nächster Nähe. Wie gehen Sie persönlich mit diesen Erfahrungen um?
Dies ist für mich persönlich eine wahnsinnig schwierige Gratwanderung. Auf der einen Seite darf man sich nicht zu sehr vom Leid der Menschen herunterziehen lassen, um überhaupt noch einen Bericht machen zu können. Auf der anderen Seite muss man sich trotzdem eine große Sensibilität bewahren, um eine Reportage eben doch emotional zu gestalten. Unsere Reise zu den Yesiden im Norden des Irak, über die ich in unserer Phoenix-Reportage ausführlich berichte, lebt von Emotionen. Über solche dramatischen Begegnungen gefühllos zu berichten, das wäre eine verschenkte Gelegenheit und würde die Zuschauer sehr schnell zum Wechsel des Fernsehprogramms bewegen. Das Gute ist, dass man stets mit einem Team unterwegs ist und solche bewegenden Erlebnisse am gleichen Abend besprechen und verarbeiten kann. Das ist der Vorteil, wenn man fürs Fernsehen arbeitet.
Interview: Christian Holst
Buchtipp: Thomas Aders: "Allah ist gross, die Hoffnung klein - Begegnungen im Nahen Osten". Hoffmann und Campe Verlag, 260 Seiten, 20,00 Euro