Xphiles, wie sich die Fans von "Akte X" nennen, sind nicht gerade eine homogene Masse. Die einen lieben die Serie wegen ihres roten Fadens, der Alienmytho­logie, von der auch FBI-Agent Fox Mulder ­(David Duchovny) besessen ist. Die anderen schwören auf die "Monster of the Week"-Themen, in denen Mulder und seine Kollegin ­Dana Scully (Gillian Anderson, hier zum Glück wieder mit ihrer alten "Akte X"-Synchronstimme) unerklärlichen Kreaturen und paranormalen Phänomenen hinterherjagen.

Die Kunst des Mysteryhits, der zwischen 1993 und 2002 das goldene Serienzeitalter einläutete, war es, beide Fangruppen gleichberechtigt zu bedienen. Als man ihn ins Kino holte, vergaß Macher Chris Carter diesen Grundsatz. "Akte X: Der Film" von 1998 dachte nur an die Alienfraktion, "Jenseits der Wahrheit" ignorierte zehn Jahre später diese hingegen völlig. Beide Filme enttäuschten an der Kinokasse. Doch jetzt, 14 Jahre nachdem die Akten im TV geschlossen wurden, erinnert man sich der einstigen Stärken und öffnet sie erneut - im Fernsehen und als ein zunächst auf sechs Episoden begrenztes Event. "Die erste und sechste Folge sind der Dienst an der Mythologie", erklärt Produzent Glen Morgan, "und die in der ­Mitte können für sich allein stehen."

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Der Traum von alten Quotenrekorden

Die Zeit für eine Fortsetzung scheint reif zu sein, denn auch die 90er-Kult-Schwester "Twin Peaks" kehrt zurück und hofft auf den "Jurassic World"-Effekt: Ehemalige Fans platzen vor Neugier und zerren ihre Teenagerkinder gleich mit vor den Fernseher.

Doch nicht nur die Fans dürften sentimental werden, auch den Senderverantwortlichen wird warm ums Herz, wenn sie sich an "Akte X" erinnern. In den USA waren es Mulder und Scully, die den aufstrebenden neuen Sender Fox auf die Senderlandkarte brachten und ihm den ersten Top-20-Hit bescherten. Und in Deutschland denkt Pro Sieben immer noch wehmütig an früher zurück, als man ­regelmäßig vier bis fünf Millionen Fans von einer Serie begeistern konnte.

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Dass viel Zeit vergangen ist, könnte sich auch als Problem erweisen, schließlich verklären die Jahre die Erinnerung. Denn perfekt war "Akte X" in Wahrheit nie. Wie kaum eine andere Serie hingen Wohl und Wehe einer Folge von überraschenden Einfällen ab. So ­gerieten einige Fälle zu Sternstunden der TV-Geschichte, andere hatten nicht mal das ­Niveau eines B-Movie. Etwas, was man sich bei 24 Folgen im Jahr leisten kann, nicht aber bei einem Sechsteiler.

Und so droht der Fortsetzung schon am Anfang Ungemach, denn die erste Folge ist eine herbe Enttäuschung. Die Geschichte, in der ein Moderator/Aliengläubiger (Joel McHale) Mulder und Scully auf die Spur der "bösartigsten Verschwörung, die die Welt je gesehen hat" bringt, wirkt wie der Beitrag einer Fanfiction-Website. Doch noch ist nicht alles verloren. Fanlieblinge wie der Krebskandidat oder die einsamen Schützen tauchen erst in späteren Folgen richtig auf, und auch hinter der Kamera gibt es Grund zur Hoffnung.

Steigerung im Laufe der Serie

Denn bei allem, was Chris Carter für "Akte X" geleistet hat, waren die von ihm verfassten Folgen nicht immer die stärksten. Die, an die man sich erinnert, stammen aus der Feder von "Breaking Bad"-Chef Vince Gilligan, "The Man in the High Castle"-Macher Frank ­Spotnitz, Darin Morgan sowie den "Final Destination"-Erfindern James Wong und Glen Morgan. Und die letzten drei sind für die mittleren vier Folgen der neuen Serie verantwortlich. Die Supergroup der "Axte X"-Autoren traf sich zum Brainstorming bei Glen Morgan im Garten und heftete ihre Ideen auf eine Pinnwand - manche davon Jahrzehnte alt. "Ich hatte immer schon eine weitere Geschichte über ein Monster im Hinterkopf", erklärte Darin Morgan seinen Beitrag bei einem Fantreffen. "Und ,Akte X‘ ist der einzige Ort im Fernsehen, wo man so eine Geschichte erzählen kann."

Die Aussage weckt Zuversicht, dass "Akte X" wieder zur alten Form findet. Denn die ­Serie gibt dem Fernsehen eine Farbe zurück, die in jüngster Zeit viel zu selten benutzt wird. Das merkt man allein daran, dass Pro Sieben seinen einst geliebten "Mystery Monday" allenfalls noch beim kleinen Schwestersender Maxx reaktiviert.

Auch Chris Carter sieht die Lücke im Spektrum. "Ich wage zu behaupten, dass wir das Genre auf eine clevere Art behandeln. Wir ­erkunden Dinge, die mit Wissenschaft und Glauben zu tun haben, auf eine Art, wie es kein anderer macht."
Neben Monstern, Aliens und Wissenschaft gibt es noch einen ganz anderen, mensch­lichen Aspekt, der die "Akte X"-Gemeinde seit Jahren bewegt: die Romanze zwischen Mulder und Scully. Zwar haben die beiden sich geküsst und via Samenspende einen ­gemeinsamen Sohn (der in der Neuauflage von zentraler Bedeutung ist) gezeugt. Der Wunsch der sogenannten Shipper - Fans mit romantischen Sehnsüchten - nach einer Sexszene ist bisher nicht erfüllt worden.

Auch in der Neuauflage stellt Chris Carter deren Geduld regelrecht auf die Probe. Denn die zwei pflichtbewussten Agenten sind laut Drehbuch längst wieder getrennt. Ob sie noch einmal rückfällig werden? Wir möchten es glauben. Aber uns würde auch schon eine Rückblende genügen. Denn 2013 haben die Stars verraten, dass sie sehr wohl eine Liebesszene gedreht haben. Aber sie ist nie gezeigt worden.

Rüdiger Meyer