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Interview mit Tom Schilling

"Das Internet ist ein merkwürdiger Ort"

Im deutschen Cyber­thriller "Who Am I - Kein System ist sicher" (ab 25.9.2014 im Kino) wird getrickst und getäuscht. Dazu Hauptdarsteller Tom Schilling im Interview:

So stellt man sich keinen Hacker vor. Tom Schilling ist 32 Jahre alt, aber seine ganze Erscheinung wirkt so aus der Zeit gefallen, so lässig-elegant, als habe er gerade für die Titelrolle in "Der große Gatsby" unterschrieben. Der Schauspieler sei "überzeugter Anzugträger", heißt es, 2013 war er nicht nur "Krawattenmann des Jahres", sondern auch vielfach preisgekrönt für Rollen im Kino ("Oh Boy") und im Fernsehen ("Unsere Mütter, unsere Väter").
Und jetzt spielt dieser Tom Schilling in "Who Am I" einen Computerfrickler in offizieller - und so gar nicht eleganter - "Nerdunifom", bestehend aus Kapuzenshirt und Turnschuhen. Da passt es dann wieder zu ihm, dass er als Vorbereitung auf die Rolle einen Schreibkurs im Zehnfingersystem
belegt hat. An der Volkshochschule.

TV SPIELFILM Hat der Film Ihre grundsätzliche Einstellung zum Internet verändert?

TOM SCHILLING
Nicht wesentlich, aber das liegt auch daran, dass ich schon vorher nicht naiv oder ignorant war. Ich gehe an so etwas eher mit zu viel Skepsis heran als mit zu wenig.

Es entscheidet also eher der gesunde Menschenverstand?

TOM SCHILLING
Ja. Ich gehe erst immer vom Schlechten aus. Überhaupt ist das Internet an sich schon ein merkwürdiger Ort. Selbstverständlich macht es das Leben aber auch deutlich einfacher; man kommt nicht mehr drum herum.
Wie wäre das Leben ohne Internet?

TOM SCHILLING
Ein Leben ohne Internet ist schlichtweg nicht mehr möglich, aber nur, weil es existiert. Würde es nicht existieren, wäre die Welt trotzdem ein guter Ort. Jedenfalls würden uns
viele Sachen auch erspart bleiben.

Zum Beispiel Leute, die überall und ständig auf ihre Smartphones starren?

TOM SCHILLING
Zum Beispiel, ja. Die Frage ist, ob es bei einer Bahnfahrt von einer halben Stunde nicht gehaltvoller wäre, mal über ein paar Dinge nachzudenken, die Gedanken einfach wandern zu lassen. Allerdings greife auch ich in der S-Bahn zum Handy, leider. Danach fühl ich mich aber auch irgendwie schlecht. (lacht)

Die Technik ermöglicht es uns auch, immer unverbindlicher zu sein. Verabredungen können mit einer SMS abgesagt werden.

TOM SCHILLING
Klar, das beobachte ich auch bei Freunden, dass man immer schön indifferent bleibt. Verbindlichkeit ist eine Eigenschaft, die mir recht gut gefällt. Ich weiß aber nicht, ob's mir selber auch immer gelingt.
Wie lief denn die Vorbereitung auf die Rolle?

TOM SCHILLING
Ich habe viel gelesen und mich auch mit Hackern getroffen. Aber das ist wie Raketentechnik, das kapierst du nicht. Das lernt man auch nicht mehr, wenn man das nicht schon seit dem Kindesalter gemacht hat. Die meisten Hacker sind ja nicht ohne Grund so jung.

Hätte es Sie denn mal gereizt?

TOM SCHILLING
Nein, weil mich der ganze technische Vorgang am Ende des Tages nicht so interessiert hat. Mich fasziniert, was alles möglich ist, aber es selber machen zu wollen: überhaupt nicht.

Was haben Sie denn durch den Film gelernt?

TOM SCHILLING
Ganz profan: das Zehnfingersystem. Ich hab in der Vorbereitungsphase einen Schreibkurs gemacht, weil im Gespräch mit den Hackern rauskam, dass die nicht mit dem Zweifingersuchsystem arbeiten. Die meisten beherrschen eine abgewandelte Form, sind vielleicht nicht ganz so perfekt wie eine Sekretärin, aber sie benutzen so ziemlich alle Finger und sind wahnsinnig schnell auf der Tastatur.
Wo haben Sie den Kurs gemacht?

TOM SCHILLING
Ich bin zur Volkshochschule gegangen. Ich bin immer noch langsam, aber wenn ich eine E-Mail verfasse, dann versuche ich, mit zehn Fingern zu schreiben. Inzwischen geht das bei mir schneller als mit nur zweien.

Wie war denn das Zusammenspiel mit den anderen Hacker-Darstellern?

TOM SCHILLING
Ja, das ist schon eine illustre Runde, da gibt's den Schüchternen, den Schönen, den Rocker, den Nerd... Fast wie eine Boyband. (lacht)

Ihr Kollege Antoine Monot Jr. ist heute fast bekannter als Werbegesicht einer Elektrokette.

TOM SCHILLING
Ja, der "Tech-Nick". Er ist ein bisschen das, was ich nie sein wollte: Ich möchte hinter einer Figur verschwinden, möchte, dass die Leute mich vergessen, dass sie nur diese Figur sehen, an der sie sich reiben oder mit der sie sich identifizieren können, aber sie nicht etwa noch in einen neuen Film mitnehmen.
Foto: Sony Pictures, Gruppenbild mit Regisseur: "Who Am I - Kein System ist sicher"
Könnten Sie sich überhaupt vorstellen, so etwas wie Werbung zu machen, wenn das Produkt stimmt, zum Beispiel für Mode?

TOM SCHILLING
(überlegt gestoppte 20 Sekunden lang) Ich kenne schon Jungs, die tolle Anzüge machen, aber ob ich mich für die fotografieren lassen würde, für eine Kampagne? (schüttelt den Kopf) Nein... ach, keine Ahnung. Es gibt ja Leute, die sagen, sie würden alles verkaufen, dazu gehöre ich ganz sicher nicht.

Stimmen Sie zu, dass ein Film wie "Who Am I" für Sie eine eher ungewöhnliche Wahl ist?

TOM SCHILLING
Ja. Aber deshalb war ich auch so glücklich, weil ich etwas ganz anderes machen wollte, sowohl vom Genre als auch von der Tonalität her. Das ist ein absoluter Unterhaltungsfilm, und im Kino gibt es eh nur eine Währung, und das ist Spannung.

Sie haben auch schon einige internationale Erfahrung gesammelt. Geht das weiter?

TOM SCHILLING
Nicht als Karriereplan am Reißbrett. Aber ich habe jetzt in zwei Weinstein-Produktionen mitgespielt, und ich glaube, es ist nicht verkehrt, wenn Harvey Weinstein (schillernder US-Produzent, u. a. "Pulp Fiction") meinen Namen kennt. Dauerhaft würde es mich aber sicher nicht ausfüllen, immer in Offiziers­kleidung auftreten zu müssen.

Interview: V. Bleeck