"Die Menschen drängen sich zum Lichte, nicht um besser zu sehen, sondern um besser zu glänzen." wusste schon Friedrich Nietzsche zu berichten. Zwar lebte der deutsche Philosoph und Querdenker mehr als hundert Jahre vor dem unvergleichlichen Aufstieg des Kardashian-Clans, allerdings könnte seine Zuschreibung kaum zutreffender sein. Ob Kim, Kylie, Khloé, Kourtney, Kendall oder sonst ein K-Promi aus der Selfie-Sippschaft: Sie alle sind berühmt, weil sie berühmt sind. Sie lassen ihr Business um sich selbst kreisen, indem sie es im Scheinwerferlicht glänzend zur Schau stellen - in über 15 Staffeln Reality-TV der Marke "Keeping Up with the Kardashians", das inzwischen in über 167 Ländern weltweit zu sehen ist. Selbstvermarktung lautet das Schlagwort und trifft damit den Kern der Sache vor allem in der ersten Silbe. "Selbst" ist die Welt im Kardashian-Kosmos. Nicht umsonst trägt ein 2015 von Kim Kardashian auf den Markt gebrachtes Buch den nicht gerade selbstlosen Titel: "Selfish". Doch tut man der High-Society-Familie damit unrecht? Glänzt sie gar unfreiweillig? Sind sie mehr als nur Selbstdarsteller? Und selbst wenn nicht: Können sie mitunter gar nichts dafür? Sind sie einfach das perfekte Produkt eines chronisch selbstverliebten Instagram-Selbstporträt-Zeitgeistes?

Um diese Frage zu beantworten, müssen wir uns die Geschichte der Kardashian-Gründergeneration anschauen, Kris und Robert Kardashians Vergangenheit beleuchten. Spoiler: Die heutigen Kardashians sind keine Selfmade-Garagen-Startup-Millionäre wie es so gerne fälschlicherweise behauptet wird. Bevor Kris und Robert, die Eltern u.a. von Kim Kardashian, 1978 heiraten, stehen sie schon knietief in einem Berg aus Dollarscheinen. Die damals noch unter dem Namen Kris Houghton firmierende, spätere Kris Jenner enstammt einer vermögenden, kalifornischen Kerzenfabrikanten-Familie. Dekadenz wurde ihr mit der Muttermilch eingeflößt, wie ihren Kindern später der Hang zum Scheinwerferlicht. Und Robert?

Die Kardashians: schon immer steinreich

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In der Dokuserie "American Crime Story: The People vs O.J. Simpson" spielt David Schwimmer den Anwalt und besten Freund des Angeklagten: Robert Kardashian.

Der hat einen Großvater, der als Sohn armenischer Einwanderer in den späten 1930er-Jahren zum Fleischgroßhändler Nummer eins an der amerikanischen Westküste aufstieg. Im Zweiten Weltkrieg waren es seine Corned Beefs, die die US-Truppen mit Energie versorgten. Robert Kardashian wird 1944 in eine heile Welt hineingeboren, die aus einer prunkvollen Kolonialvilla und emsigen Kindermädchen besteht. Er studiert Jura und ist bald Teilhaber einer kleinen Kanzlei. Doch die ist mehr Schein als Sein: Der Partylöwe setzt lieber Geschäftsideen mit seinen Saufkumpanen um - die allesamt floppen. Einer dieser Kumpels ist ein gewisser O. J. Simpson. Er entpuppt sich Anfang der Neunziger als entscheidendes Puzzleteil in einem Prozess des immer greller werdenden Rampenlichts um die Familie Kardashian. Denn der Football-Star gerät 1994 in einen der spektakulärsten Mordprozesse in den USA. Einer seiner Anwälte: Robert Kardashian. Der hatte zu dem Zeitpunkt zwar längst seine Anwaltskutte in den Schrank gelegt, reaktivierte für seinen Freund O. J. jedoch die Lizenz.

Wie sich für die Kardashians später herausstellen sollte: ein kluger Schachzug. Der kanadische Autor Ian Halperin, der auch schon über so illustre Persönlichkeiten wie Michael Jackson und Kurt Cobain schrieb, legte vor einigen Jahren die (unautorisierte) Biographie "Kardashian Dynasty: The Controversial Rise of America's Royal Family" vor, was im Deutschen so viel heißt wie: "Die Kardashian Dynasty: Der umstrittene Aufstieg der Royal-Family Amerikas". Darin schreibt er, der Prozess gegen O. J. Simpson sei die Initialzündung für die Geltungssucht des Clans gewesen. Durch ihn hätten sie gelernt, auch aus negativen Schlagzeilen Kapital zu schlagen. Einen passenden Vergleich präsentiert Halperin auch: "Der schlechte Ruf des Namens Robert Kardashian führte schließlich zum Aufstieg der allgegenwärtigen Familie, die in manchen Kreisen ebenso umstritten ist wie der Urteilsspruch."

Denn O. J. Simpson wurde von einer großteils afroamerikanischen Jury freigesprochen - eine bis heute fragwürdige Entscheidung. Robert Kardashian stand seinem Freund und Klienten dabei bis zum Ende zur Seite. Er gab Interviews, stand telegen im Mittelpunkt des hyperventilierten Medienrummels. Seine Tochter Kim, heute 37 Jahre alt und Vorbild für 110 Millionen Instagram-Follower, war damals 13 - und ebenso wie ihre zwei Jahre ältere Schwester Kourtney oft im Gerichtssaal dabei. Später wird sich Kim an all die Schaulustigen, an die Reporter und die Polizei erinnern, die während des über ein Jahr andauernden Strafprozesses vor ihrem Haus weilten. Dem Magazin Rolling Stone erklärte Kim 2015, sie hätte immer zu ihrem Vater gehalten: "Wir waren überzeugt, dass er einer der klügsten Menschen der Welt ist. Und er glaubte an die Unschuld seines Freundes."

Pikantes Detail: Ihre Mutter Kris, zum Zeitpunkt des Prozesses schon nicht mehr mit Robert verheiratet, ist von der Schuld O. J. Simpsons überzeugt. Sie war mit dem Mordopfer Nicole Brown Simpson eng befreundet, wandte sich von ihrem Ex-Mann ab, als der O. J. verteidigt. Eine frühe Meinungsverschiedenheit zwischen Mutter Kris und Tochter Kim - später werden Differenzen solcher Art fernsehwirksam für Millionen von Menschen im Reality-TV inszeniert.

Kris Jenner und ihre Geltungssucht

Doch Kim und Kourtney sind nicht die einzigen gemeinsamen Kinder von Kris und Robert Kardashian. In ihrer von 1978 bis 1991 andauernden Ehe mit Robert bekommt Kris noch zwei weitere Kinder: Khloé und Robert jr. Alle Kinder werden später in der Familien-Soap "Keeping Up with the Kardashians" ihre Rollen spielen.

Noch im selben Jahr der Trennung, 1991, heiratet Kris den Zehnkampf-Olympiasieger von 1976, Bruce Jenner. Mit ihm bekommt sie später zwei weitere Kinder, Kendall und Kylie Jenner. Doch auch diese Ehe endet abrupt: 2015 bekennt sich Bruce öffentlich zur Transsexualität und wird zu Caitlyn Jenner, selbstredend behutsam begleitet von der Presse, die US-Zeitschrift Vanity Fair hebt die 67.000 Euro teure Komplettverwandlung aufs Titelblatt. Auch der Jenner-Zweig des Kardashian-Clans ist fester Bestandteil der medialen Inszenierung, des Fernseh- und Social-Media-Zirkus "Keeping Up with the Kardashians". Dazu gehört seit Juli 2015 auch das auf Caitlyn Jenner fokussierte Spin-Off "I Am Cait". Es ist eines von neun weiteren Ablegern, darunter "Khloé & Lamar" und "Life of Kylie", welches der US-Unterhaltungssender "E!" mittlerweile im Programm hat.

Das ungesund übersteigerte Geltungsbedürfnis der heutigen Kris Jenner lässt sich dabei seit der Jahrtausendwende in ihrem Gesicht ablesen: tiefe Furchen sind da, wo früher Gesichtszüge waren. Unzählige Liftings und chirurgische Korrekturversuche lassen die sechsfache Mutter heute aussehen, wie eine eingefallene, aber mit buntem Lack besprühte Topfpflanze weit weg von ihrer Blütezeit. Es ist heute eine Art Markenzeichen des Kardashian-Clans geworden: Zeigen, was man hat. Kostspieliger Pfusch, der weniger auf Ästhetik, als auf sichtbares Geld setzt. Die Kardashians sind moderne Verwandlungskünstler, die ungern ihre Tricks verraten, die Mogelpackungen aber gleichzeitig als offene Geheimnisse zum Geschäftsprinzip erheben. Schönheitsoperationen sind kein Grund zum Schämen, sie sind Teil der Inszenierung.

Der Körperkult als hochprofitables Geschäftsmodell

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Als Model und Reality-TV-Star wurde Kim Kardashian 2007 in die 7. Staffel von "Dancing with the Stars" eingeladen. In dem Film "Disaster Movie" versuchte sie sich 2008 als Schauspielerin, seit 2006 ist sie auch in der Serie "Beyond the Break" zu sehen.

Ein endliches Phänomen könnte man meinen, denn nichts ist vergänglicher als die Schönheit. Doch keiner kennt die Aufmerksamkeitsmechanismen der Moderne so gut, wie Kris Jenner und ihre Kinder. Nicht umsonst wird Kris in den USA augenzwinkernd "Momager" genannt: eine Zusammensetzung aus Mom und Manager. Die heute 62-Jährige führt seit 2007 das in Los Angeles ansässige PR-Unternehmen Jenner Communications. 2007 ist eh so ein entscheidendes Jahr im Leben der Kardashians. Für Kim Kardashian war es der Beginn einer aufwändig inszenierten Transformation: vom Pornosternchen zur Schönheitskönigin.

Inspiriert von ihrer damaligen Freundin Paris Hilton, die mit ihrem Sexfilmchen "One Night in Paris" einen (vermutlich unfreiwilligen) Porno-Welthit landete, dreht Kim mit ihrem damaligen Freund Ray J. einen Sexfilm. Die Vermarktung des Videos durch die Porno-Produktionsfirma VividFilms aus L. A. gilt gemeinhin als eingefädelt. So schreibt es auch Biograf Halperin und beruft sich dabei auf Quellen aus dem engsten Familienumfeld. Eine von den Kardashians eingereichte Unterlassungsklage sei nur vorgetäuscht gewesen. Angeblich hätte der Clan mit einem im Geheimen ausgehandelten Deal, der den Vertrieb des Videos erlaubte, gut fünf Millionen Dollar verdient.

Kris Jenner managte auch eine nur 72 Tage währende Ehe zwischen ihrer Tochter Kim und dem Basketballspieler Kris Humphries - natürlich per Spielfilmlänge im Fernsehen übertragen und 2011 mit mehr als 10,5 Millionen Live-Zuschauern ein Riesen-Quotenerfolg. Die verkauften Hochzeitsfotos an das US-Boulevard-Magazin People brachten zusätzlich 1,5 Millionen Dollar ein. Heute ist Kim die Kehrseiten-Königin in ihrem eigenen Schönheitskönigreich. Für satte 15 Millionen Euro hat sie sich ihren Arsch versichern lassen - der Hintern als Kapitalanlage, auch hier hat sie von den großen Pop-Sternchen gelernt, denn seit Jennifer Lopez ist dies keine unbekannte Methode der finanziellen Absicherung.

Beautyprodukte, Klamottenlabel, Model- und Fernsehkarriere

Ab 2007 ging es nur noch steil aufwärts, der Beginn der Reality-Soap "Keeping Up with the Kardashians" machte den Clan zum Kult. Frei nach dem Vorbild der vier Staffeln "The Osbournes", die zwischen 2002 und 2005 das Familien-Soap-Prinzip begründeten. Seitdem ist ihr Leben ein sehr, sehr detailiert dokumentiertes Stück Fernsehgeschichte - seit 2012 auch in Deutschland zeitweise bei VIVA, RTL 2 oder dem deutschen Pay-TV-Pendant von "E!" zu sehen. Kris Jenner gab jüngst Einblicke in die Mechaniken der Reality-Soap: Gerade, als die Serie langweilig zu werden begann, haben ihre Kinder selbst Kinder bekommen. Mehr Kinder, mehr Geschichten, mehr Vermarktungsfläche - laut "Momager" der Schlüssel zum fortlaufenden Erfolg.

Das Berufsleben der Schwestern baut dabei auf drei große Säulen: Sie haben eigene Boutiquen mit dem Namen D.A.S.H in Los Angeles, Miami und New York eröffnet und ausführlich in ihren TV-Shows vorgestellt. Vergangenen Monat gaben sie bekannt, die Filialen zu schließen - normaler Einzelhandel wirft nicht so viel ab, wie die anderen weitreichenden Geschäftszweige. Außerdem würde "normal" im Kardeshian-Wortschatz irgendwo zwischen Beleidigung und Herabsetzung auftauchen. Wichtiger ist: Sie besitzen eine eigene Kleidungslinie bei Sears, einer der größten Handelsketten Amerikas, und eigene Make-up-Collectionen. Außerdem arbeiten sie als Models, die nur mit ihren Social-Media-Auftritten zusammengenommen über 700 Millionen Menschen von eigener oder bezahlter Mode überzeugen können. Dass die K-Schwestern mittlerweile über 120 Titelblätter der auflagenstärksten Magazine der Welt ausfüllten, verkommt dabei zur Randnotiz.

Das wichtigste Gut: die Treue der Fans

Denn noch viel wichtiger als die ständige Medienpräsenz ist die fortlaufende Unterhaltung der Massen, die Zufriedenstellung der Fans. Schafft man es, die Leute bei der Stange zu halten, kann man ihnen alles verkaufen. Zum Beispiel: Spiele. "Kim Kardashian: Hollywood" ist so eines. Seit 2014 schmückt dieses Spiel für Smartphones 45 Millionen Endgeräte. Keiner verkauft virtuelle Nähe so gut wie Kim Kardashian, nicht mal prominente Konkurrentinnen wie Britney Spears oder Katy Perry, die ebenfalls per Smartphone-Spiel persönlichste Einblicke in ihr Leben anbieten. Laut Forbes stammt 40 Prozent von Kims Jahreseinkommen aus dieser einen, wohlgemerkt: kostenlosen, App. Das entspricht einer Summe von 51 Millionen Dollar. Die Kohle kommt, weil für alle Produkte in der virtuellen Modewelt gezahlt werden muss: So kann ein Kleidungsstück von Karl Lagerfeld nur gegen echtes Geld erworben werden.

Genau das ist es, was die Cash-Cow Kim Kardashian und ihre Schwestern so erfolgreich macht: Geschäftsmodelle auf dem Fundament der Fan-Treue. Dabei schickt sich vor allem Kims Halb-Schwester Kylie Jenner an, auf lange Sicht alle Familienmitglieder in den Schatten zu stellen. Im Februrar brach sie mit 15 Millionen Likes für das erste Foto von ihr und ihrer kleinen Tochter Stormi einen Instagram-Rekord, mit Kylie Cosmetics hat sie schon jetzt ein Beauty-Imperium aufgebaut.

Ein für viele Millionen Fans unwiderstehlicher Mix aus Verletzlichkeit, Narzissmus und purer Kühnheit macht die Kardashians von verlachten Reality-TV-Gören zu weltberühmten, megaerfolgreichen Superstars. Sie sind das perfekte Produkt unserer Zeit. Ein Spiegelbild unserer Instagram-Gesellschaft, in der sich mit der Treue deiner Fans massenhaft Kohle scheffeln lässt.

Das Motten-Prinzip frei nach Nietzche, wonach Menschen das Licht suchen, um zu glänzen, greift zu kurz im Kardashian-Kosmos. Ganze Schwärme von geltungsbedürftigen Möchtegern-Stars könnten demzufolge Social-Media-Millionäre werden. Das stimmt so nicht. Nur, wer was hat, kann es auch vermehren. Und die Kardashians hatten das Glück, zur richtigen Zeit am richtigen Filter gefummelt zu haben. Geld und Geschäftssinn waren schon immer da.