Wie oft kommt es vor, dass ein mit Adrenalin vollgepumpter Kicker zugibt: Ich bin nicht gefoult worden; es war kein Elfer; es war klares Abseits; es war kein Tor. Nicht allzu oft. Solche Fälle sind die Ausnahme. Wie der des Miroslav Klose, der 2012 gleich mehrere Fair-Play-Auszeichnungen erhielt, weil er den Unparteiischen darauf aufmerksam gemacht hatte, dass sein Tor zum 1:0 für Lazio Rom gegen Neapel irregulär war. Am Ende stand es 3:0 für Neapel.

Womit wir schon beim Kernproblem von Fairness (nicht nur) im milliardenschweren Fußballgeschäft
wären: Brave Jungs gewinnen Preise, böse Jungs die Punkte. Keine optimalen Lebensbedingungen
für das zarte Pflänzchen Ehrlichkeit auf dem grünen Rasen. Vielmehr lässt der sportliche
Existenzkampf Tricksereien am Rand und jenseits des Erlaubten längst wie Unkraut wuchern. Ob nun am Ball oder - wie kürzlich von Football-Leaks öffentlich gemacht - beim Ausfüllen der
Steuererklärung.

Spielen und schauspielen

Warum sollen auch ausgerechnet Vertreter der Fußballbranche bessere Menschen sein als der Rest der Bevölkerung? Ihr Problem ist nur, dass sie im Scheinwerferlicht vor den Augen aller handeln. Hier gilt es, wie im Leben, ein Mindestmaß an Benimmregeln einzuhalten. Man kickt den Ball ins Aus, wenn sich ein gegnerischer Spieler verletzt hat.

Die Verantwortung für einen fairen Spielverlauf liegt ansonsten aber komplett beim Schiedsrichter,
Motto: "Wenn man mich nicht erwischt, habe ich auch nichts Verwerfliches gemacht!" Zuletzt befeuerte der Leipziger Timo Werner mit seiner dreisten Schwalbe im Spiel gegen Schalke 04 die Debatte um Moral und Anstand im Fußball. Zumal der Stürmer den ergaunerten Elfmeter auch noch selbst zur 1:0-Führung verwandelte (Endstand 2:1).

Wieder mal hatte ein böser Junge auf seine Vorbildfunktion gepfiffen und die Punkte klargemacht. Tröstlich für alle, die Fair Play noch nicht zum Auslaufmodell erklären wollen: Der 20-Jährige entschuldigte sich nach dem Schlusspfiff (ein bisschen). Außerdem erwies er seinem Arbeitgeber RB Leipzig mit der Schauspieleinlage einen Bärendienst. Die Spieler des Retortenclubs von Brausemilliardär Dietrich Mateschitz werden bei Auswärtsspielen jetzt noch ein bisschen lauter ausgepfiffen. Strafe muss eben sein.

Autor: Frank Steinberg

Angemeiert

Imago

Norbert Meier vs Albert Streit

Das Vergehen
Im Spiel seines MSV Duisburg gegen den 1. FC Köln (6.12.2005) verpasste Trainer Norbert Meier dem FC-Spieler Albert Streit einen Kopfstoß. Dass er den Blackout zunächst bestritt und sich selbst als Opfer darstellte, wog in den Augen seiner Kritiker besonders schwer.

Das Urteil
Das DFB-Sportgericht verhängte eine dreimonatige
Sperre, der MSV feuerte ihn.

Die Folgen
Der Erfolgstrainer war gebrandmarkt, verzeichnete einen massiven Karriereknick. Erst 2013 kehrte
Meier mit Fortuna Düsseldorf in die Bundesliga zurück.

Regelkundig

Imago

Der Schuh auf dem netzbespannten Tordach...ist kein Roman von Tennessee Williams

Das Vergehen
Am 21.2.2009 schleuderte der damalige Stuttgarter Keeper Jens Lehmann einen Schuh, den Hoffenheims Salihovic im Zweikampf verloren
hatte, Richtung Tor. Er landete auf dem Netz, was Salihovic' Ausfall wegen "unvollständiger Ausrüstung" unnötig verlängerte.

Das Urteil
Freispruch: Schiedsrichter Michael Kempter übersah die Szene.

Die Folgen
Lehmann zeigte kein Bedauern, bemühte in "Bild" die Regelkunde: "Normalerweise hätte der Schiedsrichter das Spiel unterbrechen und den
Spieler (Sali) vom Platz schicken müssen."

Abgeräumt

Imago

Beinhart: Tim Wiese streckt sich förmlich durch Olic hindurch

Das Vergehen
Werder-Torhüter Tim Wiese sprang am 7.5.2008 beim Herauslaufen HSV-Stürmer Ivica Olic mit
gestrecktem Bein entgegen, traf ihn brutal an Hals und Schulter.

Das Urteil
Schiri Lutz Wagner zückte die Gelbe Karte, und eine namentlich nicht bekannte Person stellte Strafanzeige wegen versuchten Totschlags. Vier
Monate nach der "Tat" wurde das Verfahren
allerdings eingestellt.

Die Folgen
Wiese entschuldigte sich zwar bei Olic, bereitete sich jedoch insgeheim weiter auf seine Zweitkarriere als Wrestler vor: Am 29.1.2011 stoppte er Bayern-Star Thomas Müller beim Stand
von 1:3 mit einer üblen Beinschere - und flog vom Platz.

Unberührt

Das Vergehen
Timo Werner sprintete am 3.12.2016 in den Strafraum von Schalke - und ließ sich fallen, als er keine Chance mehr hatte, ein Tor zu erzielen. Der
Leipziger begrüßte den Elfmeterpfiff des Schiris mit Daumenhoch-Geste + und verwandelte dann selbst.

Das Urteil
Werner kam ungeschoren davon. Anders als der damalige Dortmunder Andy Möller, der 1995 nach
der "Mutter aller Schwalben" im Spiel gegen den KSC eine Zwei-Spiele-Sperre absitzen musste.

Die Folgen
Werners Aktion bestätigte das Feindbild vieler Fans. Retortenclub RB Leipzig polarisiert seitdem
mehr denn je.

Verschnupft

Imago

Christoph Daum mit schneeweißem, äh, strahlendem Lächeln

Das Vergehen
Während einer Pressekonferenz am 10.10.2000 kündigte Leverkusens damaliger Übungsleiter
Christoph Daum eine Haarprobe an, um den Vorwurf des Kokainkonsums zu entkräften. Doch die Probe fiel positiv aus.

Das Urteil
Vorübergehende Verbannung: Daum musste eine Weile in Florida abtauchen, um dem Medienrummel
zu entkommen.

Die Folgen
Bayer trennte sich vom einst umjubelten
Motivationskünstler. Noch gravierender: Die Affäre verhinderte Daums Karriere als Bundestrainer ab
Sommer 2001!

Ungehobelt

Getty Images

Effenberg mit unschönem Fingerzeig

Das Vergehen
Nach seiner Auswechslung im WM-Spiel gegen Südkorea (27.6.1994) zeigte Stefan Effenberg den eigenen Fans den Stinkefinger.

Das Urteil
Ungebührliches Benehmen für einen Nationalspieler! Der damalige DFB-Boss Egidius Braun war fassungslos: "Da geht so ein Mensch hin...und erlaubt sich solche Obszönitäten. Lieber gar keine Nationalmannschaft als so eine."

Die Folgen
Bundestrainer Berti Vogts schmiss Effenberg
aus dem Kader: "Solange ich für die Nationalmannschaft verantwortlich bin, wird er nicht mehr für Deutschland spielen." Vier Jahre später nach dem WM-Aus in Frankreich wurde
Vogts wortbrüchig.

Eingenetzt

Imago

Drin oder draußen - das war hier die Frage?

Das Vergehen
Zu spät geflickt: Als Leverkusens Stefan Kießling den Ball am 18.12.2013 gegen das Außennetz des
Hoffenheimer Tors köpfte, passte er noch durch - und lag plötzlich hinter der Linie. Der Phantom-Torschütze beteuerte, die Flugbahn des Balls nicht verfolgt zu haben.

Das Urteil
Hoffenheims Einspruch gegen die Spielwertung (2:1 für Bayer) wurde vom DFB abgewiesen.

Die Folgen
Im Zweifel für den Angeklagten: Kießlings Image als untadeliger Sportsmann war nur vorübergehend
angekratzt.

Ausgetickt

Imago

Für sein Rüpel-Image berüchtigt: Oliver Kahn

Das Vergehen
Erst die legendäre Beißattacke gegen Heiko Herrlich (unten), wenig später der Karatekick knapp an Stéphane Chapuisat vorbei: Am 3.4.1999
prägte Oliver Kahn ein emotionsgeladenes
Spitzenspiel zwischen Dortmund und Bayern durch
zwei unsportliche Aktionen.

Das Urteil
Freispruch erster Klasse: Für keine der
Adrenalinattacken sah Kahn eine Karte. Dafür sahen die BVB-Fans endgültig rot und buhten den
Gästekeeper noch lautstärker aus.

Die Folgen
Die Bayern-Elf wachte auf, machte in Unterzahl
(Platzverweis für Samuel Kuffour) noch zwei Tore zum 2:2-Endstand.

Nachgetreten

Das Vergehen
Im DFB-Pokalachtelfinale am 22.11.2011 trat Schalkes Jermaine Jones seinem Gladbacher
Gegenspieler Marco Reus auf den linken Fuß. Er wusste: Reus spielte mit gebrochenem Zeh.

Das Urteil
Wegen besonderer Schwere des Vergehens sperrte der DFB Jones nachträglich für sechs Spiele. Der
US-Kicker habe "nicht im Affekt, sondern gezielt" gehandelt.

Die Folgen
Keine. Sein Image als Enfant terrible hatte Jones ja schon vorher. Immerhin leistete er Abbitte:
"Was ich getan habe, gehört sich nicht."