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Schluss mit dem Krimiwahn!

Im deutschen Fernsehen kann man alles zeigen - vorausgesetzt, es ist ein Krimi. Könnt ihr euch bitte mal was Neues ausdenken?

Ein typischer Freitag im ZDF beginnt mit "Notruf Hafenkante" und "SOKO Stuttgart". Der Nachmittag gehört den "Rosenheim Cops", bevor am Vorabend die "SOKO Wien" ranmuss. Am Abend ermittelt erst "Die Chefin", dann die "SOKO Leipzig", später "Monk", während im Ersten zur gleichen Zeit ein "Polizeiruf" und ein "Wallander" Leichen servieren. Bei den Privatsendern sind unterdessen die US-Kollegen auf Mörderjagd: die von "Navy CIS", "The Mentalist", "Chicago P. D."...Wer jetzt noch nicht genug hat, kann im ZDF mit der zweiten Schicht der "SOKO Wien" die Nacht durchmachen. Aber ganz ehrlich: Ich habe schon lange genug!

Das deutsche Fernsehen leidet am Krimiwahn. 2016 entfielen in der ARD fast 60 Prozent aller neu produzierten TV-Filme aufs Krimi- oder Thrillergenre. Wiederholungen in den Dritten mitgezählt ­liefen im selben Jahr mehr als 800 "Tatorte" und "Polizeirufe". Noch krasser ist die Bilanz beim ZDF: Die Mainzer füllten 2016 nahezu 20 Prozent der Sendezeit mit Kriminalfilmen und -serien. Bei ZDF neo lag der Anteil sogar bei fast 40 Prozent. Angeblich steht eine Umbenennung in ZDF mord­undtotschlag unmittelbar bevor!
Tödliche Langeweile
Über zu viel Gewalt im Fernsehen wird häufig geklagt. Über die grotesk hohe Mordrate auf dem Bildschirm, die in keinem Verhältnis steht zu den tatsächlichen Verbrechenszahlen in Deutschland. Darüber, dass schon im Nachmittagsprogramm mit Schusswaffen und stumpfen Gegenständen jedweder Art munter gemeuchelt wird. Auch ich kann kein Blut (mehr) sehen. Doch eines finde ich fast noch schlimmer als den Tod durch Mörderhand: tödliche Langeweile.

Klar gibt es herausragende Krimis, doch meist tischt man uns Variationen des Immergleichen auf. Dialoge aus der Phrasen­stanze: "Aufmachen! Kriminal­polizei!", "Wo waren Sie gestern zwischen 19 und 23 Uhr?" - "Sie glauben doch nicht etwa, ich ­hätte..." - "Geben Sie es endlich zu!" - "Halt! Stehen bleiben!". Dazu das schablonenhafte Personal: die kauzigen Gerichtsmediziner, die aalglatten Rechtsanwälte, die brüllenden Vorgesetzten. Und mittendrin der Ermittler mit ­seinen Alkohol-, Beziehungs- und Psychoproblemen.

Die Zuschauer lieben nun einmal Krimis, sagen Senderverantwortliche, und die Quoten geben ihnen recht. Aber muss man das fiktionale Fernsehen deshalb zur Monokultur verarmen lassen? Muss wirklich jedes gesellschaftlich relevante Thema von Atomausstieg bis Zoophilie in den ­engen Rahmen einer Who­dunit-Handlung gezwängt werden?

Es gibt so viele tolle Genres: Ich warte auf eine deutsche Science-Fiction-Serie. Das Thema Gentechnik schreit nach einem TV-Horrorfilm. Und wenn schon Krimi: Warum nicht statt Mord mal ein lebensnahes Delikt? Wie Anlagebetrug. Oder Fahrraddiebstahl! Da könnte ich sogar einen aktuellen Fall beitragen, aber das ist eine andere Geschichte...

Autor: Christian Holst