Ton ab, Kamera läuft. Auf das Zeichen des Regisseurs - "Und: bitte!" - setzen sich die Schauspieler Sven Martinek und Ingo Naujoks in Bewegung und gehen auf ein Haus in der Lübecker Altstadt zu. Sie kommen ganze drei Meter weit. Trööööööööööt! schallt es über die Straße. Die Filmemacher blicken sich entgeistert an. Woher kommt das? Bläst da etwa einer die Vuvuzela? Alles zurück auf Position. "Und: bitte!" Zwei, drei Schritte. Tröööööööööööt! Oben im Haus ist ein Fenster weit geöffnet. Alle schauen hoch. Sehr witzig! Reicht es dem Trompeter jetzt? Noch mal von vorn. "Bitte!" Ein, zwei... trööööööööööööt!
Nach einem weiteren Lärmangriff bricht der Regisseur ab und schickt seinen Aufnahmeleiter als Kundschafter ins Haus. Hinter dem Getröte steckt der Racheakt eines Anwohners. Das Filmteam hat am Morgen das Auto des Mannes abschleppen lassen, und zwar auf dessen Kosten. Es stand auf einem für die Crew reservierten Parkplatz - und mitten im Bild. Mit drei Kästen seines Lieblingsbiers, frei Haus geliefert und von der Produktionsfirma bezahlt, lässt sich der Störenfried schließlich besänftigen. Die Dreharbeiten zur fünften Staffel der ARD-Vorabendserie "Morden im Norden" können an diesem Tag fast ungehindert weitergehen. Nur eine ältere Frau radelt noch zweimal mit der erstaunlichen Erklärung durchs Bild: "Ich darf hier durch - ich habe keinen Fernseher!"
So versöhnlich wie im Fall der ARD-Krimiserie enden nicht alle Begegnungen zwischen Filmschaffenden und Anwohnern. Besonders in Großstädten reagieren die Bürger zunehmend gereizt auf Filmproduktionen. Immer häufiger berichten Regisseure, Kameraleute und Schauspieler von Störungen und Pöbeleien beim Dreh. In Vierteln wie dem Kölner Eigelstein, das als Drehort sehr beliebt ist, stoßen die Teams inzwischen auf offene Ablehnung. "Da wird man schon mal mit Eiern beworfen", sagt der Schauspieler und Regisseur Patrick Winczewski vom Bundesverband Regie. "Oder es fliegen auch mal Sachen in die Sets." Filmemacher sollten Hotspots wie das Eigelstein-Veddel, das Hamburger Portugiesenviertel oder den Berliner Alexanderplatz besser meiden, rät der Verband. Zwar würden alle fernsehen, erklärt Winczewski, "aber wenn es vor ihrer Haustür stattfindet, empfinden es die meisten Zuschauer als störend".
Äußerst empfindlich reagieren Anwohner, wenn ihre Nachtruhe beeinträchtigt wird. Das musste der Kameramann Johannes Kirchlechner, Vorstandsmitglied im Berufsverband Kinematografie, schon einmal am eigenen Leib erfahren. Für einen Krimi drehte er damals eine Festnahme in einer Hofzufahrt. "Als die Schauspieler nachts um zwei ihre Polizeikommandos brüllten, flippte ein Mieter aus und übergoss uns mit Wasser", erzählt Kirchlechner und lacht: "Ich konnte ihn verstehen." Zurzeit dreht er in Wiesbaden die ZDF-Serie "Der Staatsanwalt". Gerade bei lang laufenden Produktionen mit vielen Drehtagen und wenigen Motiven sei es von "elementarer Bedeutung", mit den Bewohnern und der Stadt gut auszukommen.
Früher waren die Leute froh, wenn das Fernsehen kam. Es war eine Sensation. Diese Freude ist "einer gewissen Respektlosigkeit" gewichen, bedauert der Regisseur Niki Stein, der mehr als ein Dutzend "Tatorte" gedreht hat. "Wenn ich irgendwo eine Kamera aufbaue, beginnen die Autofahrer zu hupen, nicht um Hallo zu sagen, sondern um die Dreharbeiten bewusst zu stören." Oft müsse er sich am Drehort Sprüche von Schaulustigen über Zwangsabgaben an die GEZ anhören. Oder über die Typen vom Film, die ihre Nase hoch tragen und viel zu viel Geld verdienen, obwohl sie die ganze Zeit nur herumstehen.
Nach seiner Meinung sind die Umgangsformen insgesamt rauer geworden. "Das hat womöglich mit den neuen sozialen Medien zu tun. Die Leute haben ihre Sprache nicht im Griff und werfen sich üble Beleidigungen an den Kopf." Dass sich die Anwohner schon mal über einen Dreh aufregen, kann Stein nachvollziehen. "Es wird in den Städten ja inflationär gedreht. Dazu sind es immer die gleichen Straßen, die als Schauplätze dienen."
Nach Angaben der Filmförderung Hamburg hat es 2016 in der Stadt insgesamt 1815 Drehtage für Kino- und Fernsehfilme, Reihen und Serien gegeben. 2010 waren es noch 400 Drehtage weniger. Die Ordnungsämter reagieren auf die vielen Drehs mit strengeren Auflagen. "In München, Berlin, Köln und Hamburg ist es fast unmöglich geworden, eine Straße für Dreharbeiten sperren zu lassen", sagt Winczewski. Das sei vor zehn Jahren noch kein Problem gewesen. "Da kam die Polizei kurz vorbei und regelte den Verkehr. Heute läuft alles über Genehmigungsverfahren, die teils absurde Züge tragen und sich über vier, fünf Wochen erstrecken." Vorbei auch die Zeiten, in denen die Schauspieler überall mit Martinshorn und Blaulicht fahren durften, berichtet Kirchlechner. Dies sei nur noch auf voll abgesperrten Straßen erlaubt. Deshalb wird das Blaulicht häufig in der Postproduktion auf das Auto "montiert".
Trotz bürokratischer Hürden würden in Deutschland vergleichsweise "paradiesische Zustände herrschen", sagt der Regisseur und Drehbuchautor Marcus O. Rosenmüller. In anderen Ländern sei das gezielte Stören von Dreharbeiten längst zu einem "Geschäftsmodell" geworden.
Schutzgeld an die Hells Angels
2009 drehte Rosenmüller im englischen Bristol den ZDF-Film "Das Echo der Schuld", da stellte der örtliche Hells-Angels-Chef ein riesengroßes Wohnmobil direkt vor den Spielort. Auf die höfliche Bitte, doch wegzufahren, verlangte er "2000 Pfund und einen Snack zum Schluckern für meinen Sohn". Auch in Buenos Aires, wo Rosenmüller den zweiteiligen Thriller "Heiße Spur" drehte, ging nichts ohne zusätzliche Bezahlung. "Beim Dreh in einem gefährlichen Viertel sollte unser Polizeischutz abgezogen werden, angeblich für einen großen Einsatz", erzählt Rosenmüller. "Doch plötzlich hieß es: Tausend US-Dollar - und die Polizisten bleiben! Sonst kommen andere und holen sich euer Equipment. Alle vier Stunden begannen die Verhandlungen neu."
In diesem Sommer arbeitete Rosenmüller wieder für einen "Taunuskrimi" in der deutschen Provinz. Alles blieb friedlich. Er musste niemanden bestechen. In den ländlichen Regionen sind die Filmteams noch willkommen, und die Schaulustigen kümmern sich beinahe rührend um ihre Fernsehstars. Der eine oder andere würde sogar gern mit anpacken. So wie in Kiel.
Für den "Tatort: Borowski und das Fest des Nordens" stürzte sich der Schauspieler Axel Milberg im Juni mit einem kleinen Team in das Getümmel der Kieler Woche, mit Bratwurst und Bier, um ein paar Szenen zu improvisieren. "Das ging nur zwei-, dreimal", berichtet Milberg, "dann wusste die feiernde Menge Bescheid und grölte ‚Milberg‘, ‚Tatort‘, ‚Borowski‘. Oder sie wollten helfen und riefen: ‚Achtung, Platz machen, hier wird gedreht!‘"
Nach einem weiteren Lärmangriff bricht der Regisseur ab und schickt seinen Aufnahmeleiter als Kundschafter ins Haus. Hinter dem Getröte steckt der Racheakt eines Anwohners. Das Filmteam hat am Morgen das Auto des Mannes abschleppen lassen, und zwar auf dessen Kosten. Es stand auf einem für die Crew reservierten Parkplatz - und mitten im Bild. Mit drei Kästen seines Lieblingsbiers, frei Haus geliefert und von der Produktionsfirma bezahlt, lässt sich der Störenfried schließlich besänftigen. Die Dreharbeiten zur fünften Staffel der ARD-Vorabendserie "Morden im Norden" können an diesem Tag fast ungehindert weitergehen. Nur eine ältere Frau radelt noch zweimal mit der erstaunlichen Erklärung durchs Bild: "Ich darf hier durch - ich habe keinen Fernseher!"
So versöhnlich wie im Fall der ARD-Krimiserie enden nicht alle Begegnungen zwischen Filmschaffenden und Anwohnern. Besonders in Großstädten reagieren die Bürger zunehmend gereizt auf Filmproduktionen. Immer häufiger berichten Regisseure, Kameraleute und Schauspieler von Störungen und Pöbeleien beim Dreh. In Vierteln wie dem Kölner Eigelstein, das als Drehort sehr beliebt ist, stoßen die Teams inzwischen auf offene Ablehnung. "Da wird man schon mal mit Eiern beworfen", sagt der Schauspieler und Regisseur Patrick Winczewski vom Bundesverband Regie. "Oder es fliegen auch mal Sachen in die Sets." Filmemacher sollten Hotspots wie das Eigelstein-Veddel, das Hamburger Portugiesenviertel oder den Berliner Alexanderplatz besser meiden, rät der Verband. Zwar würden alle fernsehen, erklärt Winczewski, "aber wenn es vor ihrer Haustür stattfindet, empfinden es die meisten Zuschauer als störend".
Äußerst empfindlich reagieren Anwohner, wenn ihre Nachtruhe beeinträchtigt wird. Das musste der Kameramann Johannes Kirchlechner, Vorstandsmitglied im Berufsverband Kinematografie, schon einmal am eigenen Leib erfahren. Für einen Krimi drehte er damals eine Festnahme in einer Hofzufahrt. "Als die Schauspieler nachts um zwei ihre Polizeikommandos brüllten, flippte ein Mieter aus und übergoss uns mit Wasser", erzählt Kirchlechner und lacht: "Ich konnte ihn verstehen." Zurzeit dreht er in Wiesbaden die ZDF-Serie "Der Staatsanwalt". Gerade bei lang laufenden Produktionen mit vielen Drehtagen und wenigen Motiven sei es von "elementarer Bedeutung", mit den Bewohnern und der Stadt gut auszukommen.
Früher waren die Leute froh, wenn das Fernsehen kam. Es war eine Sensation. Diese Freude ist "einer gewissen Respektlosigkeit" gewichen, bedauert der Regisseur Niki Stein, der mehr als ein Dutzend "Tatorte" gedreht hat. "Wenn ich irgendwo eine Kamera aufbaue, beginnen die Autofahrer zu hupen, nicht um Hallo zu sagen, sondern um die Dreharbeiten bewusst zu stören." Oft müsse er sich am Drehort Sprüche von Schaulustigen über Zwangsabgaben an die GEZ anhören. Oder über die Typen vom Film, die ihre Nase hoch tragen und viel zu viel Geld verdienen, obwohl sie die ganze Zeit nur herumstehen.
Nach seiner Meinung sind die Umgangsformen insgesamt rauer geworden. "Das hat womöglich mit den neuen sozialen Medien zu tun. Die Leute haben ihre Sprache nicht im Griff und werfen sich üble Beleidigungen an den Kopf." Dass sich die Anwohner schon mal über einen Dreh aufregen, kann Stein nachvollziehen. "Es wird in den Städten ja inflationär gedreht. Dazu sind es immer die gleichen Straßen, die als Schauplätze dienen."
Nach Angaben der Filmförderung Hamburg hat es 2016 in der Stadt insgesamt 1815 Drehtage für Kino- und Fernsehfilme, Reihen und Serien gegeben. 2010 waren es noch 400 Drehtage weniger. Die Ordnungsämter reagieren auf die vielen Drehs mit strengeren Auflagen. "In München, Berlin, Köln und Hamburg ist es fast unmöglich geworden, eine Straße für Dreharbeiten sperren zu lassen", sagt Winczewski. Das sei vor zehn Jahren noch kein Problem gewesen. "Da kam die Polizei kurz vorbei und regelte den Verkehr. Heute läuft alles über Genehmigungsverfahren, die teils absurde Züge tragen und sich über vier, fünf Wochen erstrecken." Vorbei auch die Zeiten, in denen die Schauspieler überall mit Martinshorn und Blaulicht fahren durften, berichtet Kirchlechner. Dies sei nur noch auf voll abgesperrten Straßen erlaubt. Deshalb wird das Blaulicht häufig in der Postproduktion auf das Auto "montiert".
Trotz bürokratischer Hürden würden in Deutschland vergleichsweise "paradiesische Zustände herrschen", sagt der Regisseur und Drehbuchautor Marcus O. Rosenmüller. In anderen Ländern sei das gezielte Stören von Dreharbeiten längst zu einem "Geschäftsmodell" geworden.
Schutzgeld an die Hells Angels
2009 drehte Rosenmüller im englischen Bristol den ZDF-Film "Das Echo der Schuld", da stellte der örtliche Hells-Angels-Chef ein riesengroßes Wohnmobil direkt vor den Spielort. Auf die höfliche Bitte, doch wegzufahren, verlangte er "2000 Pfund und einen Snack zum Schluckern für meinen Sohn". Auch in Buenos Aires, wo Rosenmüller den zweiteiligen Thriller "Heiße Spur" drehte, ging nichts ohne zusätzliche Bezahlung. "Beim Dreh in einem gefährlichen Viertel sollte unser Polizeischutz abgezogen werden, angeblich für einen großen Einsatz", erzählt Rosenmüller. "Doch plötzlich hieß es: Tausend US-Dollar - und die Polizisten bleiben! Sonst kommen andere und holen sich euer Equipment. Alle vier Stunden begannen die Verhandlungen neu."
In diesem Sommer arbeitete Rosenmüller wieder für einen "Taunuskrimi" in der deutschen Provinz. Alles blieb friedlich. Er musste niemanden bestechen. In den ländlichen Regionen sind die Filmteams noch willkommen, und die Schaulustigen kümmern sich beinahe rührend um ihre Fernsehstars. Der eine oder andere würde sogar gern mit anpacken. So wie in Kiel.
Für den "Tatort: Borowski und das Fest des Nordens" stürzte sich der Schauspieler Axel Milberg im Juni mit einem kleinen Team in das Getümmel der Kieler Woche, mit Bratwurst und Bier, um ein paar Szenen zu improvisieren. "Das ging nur zwei-, dreimal", berichtet Milberg, "dann wusste die feiernde Menge Bescheid und grölte ‚Milberg‘, ‚Tatort‘, ‚Borowski‘. Oder sie wollten helfen und riefen: ‚Achtung, Platz machen, hier wird gedreht!‘"