Über zehn Jahre (seit "Inland Empire" 2006) hat David Lynch keinen Film gedreht, stattdessen nahm er zwei Alben auf, gestaltete einen Nachtclub und brachte eine Kaffee-Edition heraus. Mit der dritten Staffel seiner Kultserie (hier passt das Wort Kult mal wirklich) "Twin Peaks" kehrte der Universalkünstler jetzt nach mehreren Kurzfilmen und Musikvideos zur größeren Form und ins öffentliche Bewusstsein zurück.

Die Redakteure von TV SPIELFILM feiern einen der wenigen aktiven Filmkünstler mit einem ganz persönlichen, unverwechselbaren Stil. Sie erzählen von ihren ersten Besuchen in Lynchville und nennen die Szenen, die ihnen besonders im Gedächtnis geblieben sind.

Lost Highway: Ausbruch aus Knast und Identitätsfalle

Senator Film

Es gibt viele Möglichkeiten, aus dem Knast auszubrechen: man kann durch eine offene Tür in der Krankenstation abhauen wie in "Prison Break" oder aus Regenmänteln ein Schlauchboot basteln und so die "Flucht von Alcatraz" in die Wege leiten. David Lynch hat eine ganz andere Möglichkeit gefunden. Man kann als Regisseur nämlich auch einfach die Personen im Gefängnis austauschen: erst kommt Saxofonist Fred hinter Gitter, weil er seine Frau umgebracht haben soll, dann ist plötzlich ein gewisser Pete an seiner Stelle in der Zelle. Lynch macht das einfach, ohne Erklärung. Der Sog seiner Bilder ist so stark, dass die Story sich nicht um Plausiblilät zu scheren braucht. So sieht Kino jenseits von "Die Sendung mit der Maus" aus: pure Magie.
Rainer Unruh

Der Wettermann

David Lynch kennen die meisten als Regisseur befremdlicher, versponnener, horror- und humorgetränkter Filme, die kein Mensch versteht. Manche kennen noch seine Musik oder das umfangreiche bildnerische Werk, das er nebenbei noch versorgt, denn Maler ist er auch. Mir bleiben vor allem die Spinnereien auf seiner Webseite in Erinnerung, die er dort vor ein paar Jahren auslebte. So gab es eine zeitlang jeden Morgen einen Wetterbericht aus L. A., bei dem Lynch bei einer Tasse "damn fine coffee" am Fenster saß und in seiner unnachahmlich, trocken-entrückten Art die Wetterlage beschrieb. Selbst das hatte bei ihm etwas unheimliches.
Roger Kortum

Gold shit-digging shovel

RTL

Bizarr, skurril, grotesk: Geht es um David Lynch, wandern die Zustandsbeschreibungen schnell in absurde Richtungen. Auch bei Dr. Jacoby (Russ Tamblyn, Bild) aus "Twin Peaks" wabern einem die Kokusnuss-Szene und seine speziellen Behandlungsmethoden durch die Erinnerungskiste. Klar, schrullig ohne Ende. Aber auch mit doppeltem Boden und interessantem Subtext. Die Figur kann als Karikatur einer scharlatan-verseuchten Hausmittel-Gilde verstanden werden, die mit fadenscheinigen Ausbildungsnachweisen auf Psychiater macht, in Wahrheit jedoch selbst dringend zum Seelenklempner müsste. In den neuen Folgen der legendären Mystery-Serie hat es Lynch geschafft, Dr. Jacoby ein zeitgemäßes Quacksalber-Image zu verpassen. Jetzt streamt der "gold shit-digging shovel"-Freak aus dem Wald eine Verschwörungs-Show im Stil von Aluhut-Kollege Alex Jones in die Welt: Es gibt nichts Schöneres bei Lynch, als wenn seine bizarren Figuren, groteske Dinge tun und damit auf die skurrilen Eigenheiten der Welt hinweisen.
Steven Sowa

Tor in eine schillernde Welt

Als ich ein Kind war (Jahrgang 1982) und wir noch kein Privatfernsehen hatten war die Programmzeitschrift (natürlich TV SPIELFILM!) für mich ein Tor in eine schillernde, faszinierende und auch unheimliche Welt. Besonders ein Film hatte es mir nur von der Beschreibung und den Bildern her besonders angetan: "Blue Velvet" von David Lynch. Mir ging es damit ganz ähnlich wie dem Helden Jeffrey Beaumont, (Kyle MacLachlan), der sich von der dunklen Welt hinter der heilen Vorstadtfassade angezogen fühlt. Als ich "Blue Velvet" dann zum ersten Mal sah, konnte er meine hohen Erwartungen nicht ganz erfüllen, obwohl mich der Vorspann mit der Musik von Bobby Vinton und den satirisch überhöhten Vorstadtbildern gleich geflasht hat. Heute finde ich die Symbolik mit den ekligen Käfern unter dem akkurat getrimmten Rasen etwas zu platt , aber damals war ich angefixt. Ähnlich ging es mir mit "Twin Peaks", über das ich so viel gehört hatte und an dem mich dann vor allem die Vorspannmusik von Angelo Badalamenti gepackt hat.
Sebastian Milpetz

Heulen um Elefantenmensch

Arthaus

Eraserhead verpasst, beim Elefantenmensch geheult, bis heute einer meiner Favorites. Bei Blue Velvet fiel mir das erste mal auf, dass Lynch es auch musikalisch draufhat.
Kai Nungesser

Unvergesslicher Schockmoment

2002, ich sehe "Mulholland Drive". Zwei Männer sitzen sich in Winkie's Diner gegenüber. Der eine erzählt von einem Albtraum, den er von diesem Ort gehabt hat: Hinter dem Diner lauere eine schreckliche Gestalt, der er nie in der Realität begegnen möchte. Tja, dann schauen die beiden Männer tatsächlich mal in den staubigen Hinterhof des Diner... Obwohl mich mein Kinopartner, der den Film bereits kannte, vorgewarnt hatte, bin ich in diesem, nicht länger als zwei Sekunden dauernden Moment furchtbar zusammengezuckt. Und wenn ich die Szene heute wiedersehe, passiert mir das immer noch. Großartig!
Monika Schmitz

Die Dame mit den Pappmaché-Pausbäckchen

Capelight

Auf den Hamburger Kinotagen, die einst vom Programmkinoverein AG Kino veranstaltet wurden und die es heute nicht mehr gibt, sah ich 1977 ERASERHEAD und war so aus dem Häuschen, dass ich mir gleich noch mal die Wiederholung am nächsten Tag anguckte. Das war so megairre! Das Hühnchen, das mit den Schenkeln zuckte, werde ich nie vergessen, aber besonders hatte es mir die Dame mit den Pappmaché-Pausbäckchen hinter der Heizung angetan und ihr Lied "In Heaven Everything Is Fine". Ich habe mir deswegen später auch die Schallplatte gekauft...
Peter Clasen