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"In der Familie"

Beniamino Brogi: Mit dem "Tatort" lernte er die deutsche Sprache

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Beniamino Brogi (r.) gewährt als "Luca" dem Mörder "Pippo" (Emiliano de Martino, l.) im Jubiläums-Tatort "In der Familie" Unterschlupf. WDR/Frank Dicks

Er betreibt ein Restaurant, in seinen Lieferungen sind aber nicht nur Lebensmittel. Im neuen "Tatort: In der Familie" ist Schauspieler Beniamino Brogi in der Hauptrolle des Pizzeriabetreibers Luca Modica zu sehen. TV SPIELFILM hat ihn dazu befragt.

Jubiläum der liebsten Krimireihe Deutschlands – da darf es zum 50. Geburtstag natürlich nicht irgendeinen "Tatort" geben. Gefeiert wird mit einem Doppel-Tatort, der die Ermittlerteams aus Dortmund und München zusammenführt. Neben dem Fall verspricht insbesondere das Aufeinandertreffen zwischen Faber (Jörg Hartmann) und den Münchner Ermittlern Batic und Leitmayr (Miroslav Nemec und Udo Wachtveitl) spannend zu werden. Faber ist für seine Alleingänge bekannt und setzt gerne mal auf Risiko. Doch nicht nur seine Ermittlungsmethoden, auch der Fall rund um einen in Dortmund versteckten Mafiosi, der bei Familie Modica Unterschlupf gefunden hat, werfen viele Fragen auf.

In die Rolle des Pizzeriabetreibers Luca Modica schlüpft Beniamino Brogi, der die beiden Filme "In der Familie" (Zweiteiler am 29.11. und 6.12., 20:15 Uhr im Ersten) mit seiner Rolle als Luca erzählerisch miteinander verbindet. Wie er zur Schauspielerei kam und wieso er beim "Tatort" früher nichts essen konnte, hat er uns im Interview erzählt.

Foto: Matteo Azchirvani, Beniamino Brogi lebt seit 15 Jahren auch in Deutschland.

TVSPIELFILM.de: Herr Brogi, Sie sind Italiener, leben aber u.a. seit 15 Jahren in Berlin. Was hat Sie in die deutsche Hauptstadt verschlagen?

Beniamino Brogi: Ich wollte Schauspiel in einem anderen Land studieren. Ich fand es ein unglaublich schönes Abenteuer, ins Ausland zu ziehen, um da Geschichten zu erzählen. Normalerweise fliegt man, wenn man Schauspiel studieren will, nach London oder NYC, ich wollte aber keine wilde Stadt, sondern eine Umgebung, die mir Platz, Offenheit und Menschennähe geben kann. Ich besuchte Berlin im Frühling 2006, eigentlich zufällig, und fühlte mich am richtigen Ort.

Stimmt es, dass Sie kaum Deutsch sprechen konnten bevor Sie sich entschieden haben in Deutschland Schauspiel zu studieren? Wollte man Ihnen das nicht ausreden?

Ja, Ich konnte kein Wort verstehen (lacht). Aber, wie gesagt, ich hatte das Gefühl, dass das hier der richtige Platz war, um mich ausprobieren zu können. Es klang alles unmöglich, aber genau das hat mich auch fasziniert. Ich habe kaum Sprachkurse besucht, sondern die Sprache gelernt, indem ich damit gespielt habe. Ich wurde oft skeptisch angeguckt, oder in irgendwelche Schubladen wie "exotischer Schauspieler" eingeordnet, das passiert immer, wenn man was Ungewöhnliches vorhat.  Aber die Leute, die mir nah waren, meine Freunde und auch meine Lehrer an der Schauspielschule, haben mir immer das Vertrauen und den Raum gegeben, den ich brauchte.

Deutsch lernen mit dem "Tatort"

Woher kam Ihr Traum Schauspieler zu werden? Gab es einen Plan B?

Was ich immer gespürt habe, war eine komische Mischung aus Not, Wunsch und der Lust sich auszudrücken, den anderen etwas anbieten und erzählen zu können. Dieses Gefühl habe ich immer gehabt. Es gibt Leute, die ein Musikinstrument in die Hand nehmen, andere einen Pinsel. Und ich fühlte eben, dass Schauspiel das beste Mittel für mich war, um meine Fantasie nach außen zu projizieren. Meinen Plan B habe ich eigentlich ganz am Anfang ausprobiert. Bevor ich zum Schauspiel gewechselt bin, war ich Beleuchter am Theater, da ich mehr Erfahrungen in der Branche sammeln wollte. Dieser Job hat mir wahnsinnig viel gegeben, aber nach ein paar Jahren fühlte ich, dass es mir nicht mehr reichte. Ich brauchte einen direkteren Weg, um mich auszudrücken und habe mich entschieden, dass das der richtige Moment war, um mit dem Schauspiel zu beginnen. Also, der Plan B war leider schon weg…(lacht)

Wie sind Sie zum ersten Mal mit dem "Tatort" in Deutschland in Berührung gekommen?

Einer meiner besten Freunde lud mich jeden Sonntag ein, um den "Tatort" zu schauen. Ich kannte das damals noch nicht. Wir waren immer 6-8 Leute, es wurde gekocht und wenn die Folge losging, durfte nicht mehr geredet werden. Da ich kein Deutsch konnte, war der Tatort für mich ein Weg die Sprache zu lernen. Ich musste mich immer sehr konzentrieren, um der Handlung zu folgen. Dabei zu essen war kompliziert, denn jedes Mal, wenn ich auf meinen Teller geguckt habe, verlor ich den Faden. Ich konnte aber trinken und gleichzeitig auf den Fernseher schauen! Am Ende war ich immer glücklich beschwipst und hatte von der Folge trotzdem kaum was verstanden. (lacht)

Sind Krimis eigentlich auch so hoch im Kurs in Italien wie hier in Deutschland? Können Sie die Faszination "Tatort" – seit mittlerweile 50 Jahren – nachvollziehen?

In Italien werden auch viele Krimis produziert, es gibt aber nichts Vergleichbares wie den "Tatort".

Was ich unter anderem daran schön finde, ist, dass der "Tatort" nicht nur zelebriert, sondern dass er immer auch diskutiert wird. Es wird gelobt, aber auch gestritten, man kann eine Folge mögen oder auch nicht, aber alle müssen erklären warum. So sieht eine gesunde Ausübung von Kritik aus. Ich glaube, es ist die Vielfältigkeit, die den "Tatort" Gemeinsamkeit schaffen lässt.

Sie spielen im Doppel-"Tatort" Luca Modica, den Besitzer einer italienischen Pizzeria. Er und seine Familie bekommen einen ungebetenen Gast, Pippo Mauro. Sie bieten dem Mafiosi und Mörder Unterschlupf. Wie haben Sie Ihre Rolle als Luca interpretiert?

Luca ist eine ziemlich vielschichtige Figur, er ist sehr gut geschrieben und deswegen fällt es auch schwer, ihn direkt bei den Bösen einzuordnen. Ich habe nach seinen Facetten gesucht, nach den Seiten, wo er uns am ähnlichsten ist. Ich wollte keinen platten "Mafiatypen" spielen, sondern jemanden, in dem sich viele von uns erkennen können, selbst wenn er aus einem anderen Land oder einer anderen Kultur kommt -oder vielleicht gerade deshalb. Ich wollte ihn mitten in einem Familiendrama sehen und habe versucht, seine Zweifel und Zerbrechlichkeit zu respektieren.

Die Modicas haben ein großes Geheimnis – niemand redet darüber, woher das Geld kommt. Die Tochter weiß nicht, dass Drogen geliefert werden. Als Pippo kommt, wird Luca noch mehr zum Mittäter und spielt das kriminelle Spiel weiter mit. Warum?

Das ist eine sehr spannende Frage, von der ich hoffe, dass auch die Zuschauer sie sich stellen werden. Wird er gezwungen oder ist er davon fasziniert, oder sogar beides gleichzeitig? Was bringt einen, wie er sich selbst nennt, "ganz normalen Menschen", der liebevoll ist und eine schöne Familie hat, dazu, so zu handeln? Als Schauspieler muss ich natürlich nach seinen inneren Motivationen suchen, eine tiefere Perspektive finden. Wie emanzipieren wir uns von unserer Vergangenheit? Und wie fühlen wir uns, wenn wir immer zögern, unser Leben selbst zu bestimmen?  Was ich an Luca spannend finde, ist, dass er der Auslöser einer Krimigeschichte ist, gleichzeitig stellt er sich Fragen, die mit dem Kokainhandel nicht unbedingt zu tun haben.

Klischees aufzeigen und widersprechen

Foto: Riccardo Pieri, Brogi arbeitet auch beim "Elba Filmfestival".

Leidenschaftlich, Macho-Züge, wild gestikulierend … : Es gibt zahlreiche Klischees über Italiener, auch in deutschen Filmen. Was denken Sie darüber?

Naja, sich fremdschämen ist glaube ich das richtige deutsche Wort dafür … An sich ist ja jedes Klischee langweilig, genauso jenes Klischee, durch welches deutsche Schauspieler in Hollywoodfilmen immer die Bösen spielen müssen. Klischees werden aber nicht verschwinden, nur weil wir sie nicht mögen. Was wir machen können, ist damit zu spielen und dabei aber auch genau das Gegenteil zu zeigen. Wir können Klischees andeuten, um ihnen zu widersprechen, indem wir erzählen, wie vielfältig, divers und wunderschön wir (alle) sind. Da wird es spannend. Wir Filmemacher haben auch da auch eine Chance. Wir sind in der Lage, Geschichten zu erzählen, die mit der Realität spielen und die Zuschauer überraschen.

Klischees sind wie ein Omelette, sie werden nur dann spannend, wenn man sie aus der Pfanne zum Wenden in der Luft flippt (lacht)

Wonach wählen Sie Ihre Rollen aus?

Nach der Tiefe. Oder Schärfe, das finde ich auch ein gutes Wort. Wenn die Figur, und natürlich auch die ganze Geschichte, es schafft, uns viel zu erzählen, viel in uns zu bewegen, in unserer Vorstellung und unserem Unbewussten. Das hat nichts mit dem Genre zu tun. "Tief" bedeutet für mich überhaupt nicht nur dramatisch oder schwer.

Einen Film zu machen ist für mich immer eine Reise ins Neuland, man ist lange unterwegs und es kann alles Mögliche passieren. Ich versuche die Projekte auszuwählen, bei denen ich fühle, dass sie anderen mit derselben Neugier begegnen, die ich auch in mir fühle, mit einer Ehrlichkeit gegenüber ihren eigenen Leidenschaften.

Sie arbeiten auch für das Elba Filmfestival als Programmdirektor. Wie sind Sie dazugekommen und wie war das diesjährige Festival unter Corona-Bedingungen?

Gemeinsam mit meiner Kollegin, der Regisseurin Nora Jänicke, wollten wir mit dem Festival zwei wunderschöne Sachen zusammenbringen: Arthouse-Kino und die Insel Elba. Natürlich hat uns die Pandemie wie alle anderen getroffen, wir haben aber das Glück gehabt, dass wir unsere Filme live vor Publikum (also nicht nur online) zeigen konnten. Ende September hatte die zweite Welle noch nicht richtig angefangen. Wir haben Fieber gemessen, die Zuschauer zu ihren Plätzen begleitet, ihre Namen in Kontaktverfolgungslisten eingetragen usw. Viele Filmemacher konnten nicht da sein und wir haben Videokonferenzen geschaltet, damit das Publikum sich für die Filme "persönlich" bedanken und Fragen stellen konnte. Ich würde sagen, dass die Zuschauer sehr glücklich waren, wieder gemeinsam Filme schauen zu können, und dass all diese kleinen "Hindernisse" - Maskenpflicht und Desinfektionsgel - einfach eine untergeordnete Rolle gespielt haben. Wir konnten auch die italienische Premiere eines deutschen Films feiern, "Kirschblüten und Dämonen" von Doris Dörrie. Das Publikum hat den Film geliebt. Die Insel Elba ist sowieso ein wirklich magischer Ort, besonders Ende September. Und die Filme, die uns angeboten werden, überraschen uns immer wieder sehr. Das Projekt soll nächstes Jahr wieder stattfinden und wir fangen gerade mit der ersten Finanzierungsrunde an. Ich bin gespannt!

Nochmal zurück zum "Tatort": Andreas Hoppe spielte bis 2018 den Kommissar Mario Kopper mit sizilianischen Wurzeln im Ludwigshafen-Tatort. Wäre doch jetzt eigentlich wieder Zeit für einen Kommissar mit italienischem Background. Für viele Schauspieler ist die Rolle als Tatort-Kommissar ein großer Traum – für Sie auch?

Oh … das klingt nach einem verführerischen Antrag …(lacht)

Vielen Dank für das Interview!

"Tatort: In der Familie" läuft im ersten Teil am 29.11.2020 um 20:15 Uhr im Ersten. Der zweite Teil wird dann am Sonntag, 6. Dezember, ebenfalls um 20:15 Uhr im Ersten gezeigt.