Die Neunziger sind das Jahrzehnt, in dem am wenigsten geschlafen wurde. Irgendein Club hatte immer auf, ­irgendwo hämmerte immer der Beat. Techno war der Treibstoff, der die Tänzer anspornte, und wo das nicht reichte, halfen ein paar Pillen nach, um bis zum Morgen zu raven.

Der Kinofilm "Magical Mystery oder: Die Rückkehr des Karl Schmidt" (ab 31. August) ist eine Zeitreise in diese verrückte Ära. Die Romanvorlage stammt von Kultautor Sven Re­gener ("Herr Lehmann"), Regie führt Arne Feldhusen ("Stromberg"), und die Hauptrolle spielt Charly Hübner. Der 100-Kilo-Mann verkörpert Karl, einen ­Typen, der Mitte der Neunzigerjahre von Technofreaks als Fahrer für eine Ravetour durch Deutschland engagiert wird, weil er einen klaren Kopf hat und keine Drogen nimmt.

DCM

Der Film taucht ja sehr tief in die Technoszene Anfang der Neun­zigerjahre ein. Wie haben Sie die damals erlebt?

Charly Hübner: Na ja, ich war nach Berlin gekommen und ­wollte dort die Schauspielschule schaffen. Mit Techno hatte ich nichts zu tun. Aber der Begriff machte die Runde.

Sind Sie damals viel auf Partys gegangen?

Ach wo. Aber Joe Strummer, der Sänger von The Clash, war in Berlin, um mit seiner Band bei irgendeiner Volksbühne-Sommerparty zu spielen. Und der hat ­gesagt: "Rave ist das neue, das bessere Hippietum." So was in der Art. Das hatte sich bei mir festgesetzt. Dann sah ich mit Tesafilm fest­geklebte Einladungen auf Copyshop-Papier: "Heute Technoparty in der Kulturbrauerei. Wer diesen Zettel abgibt, kriegt einen Tequila umsonst." Und dann bin ich da hin.

Charly Hübner - ausgelassen auf Veranstaltungen wie der Loveparade?

Hm, eher nicht so. Ich habe mehr so auf dunklere Sachen gestanden, die dann an Orten wie dem "Tresor" gespielt wurden. Wobei ich nichts gegen die Loveparade habe. Ich finde auch Wacken toll oder Punkfestivals.

Wer ist dieser Karl Schmidt, den Sie im Kinofilm spielen? Sie scheinen ihn sehr ins Herz ­geschlossen zu haben.

In dieser Intensität hat mir noch keine Rolle am Herzen geklebt. Wenn es diesen Karl wirklich ­geben würde, ich hätte ihm einen Brief geschrieben: Alter, wenn du Sorgen hast, melde dich bei mir! Der rührt mich zutiefst. ­Jemand, der nicht hip ist, aber auch nicht bürgerlich. Immer zwischen mindestens zwei Stühlen - herrlich!

dcm

Bisher dachten bestimmt sehr viele, der Alexander Bukow vom "Polizeiruf 110" wäre Ihnen am nächsten.

Na ja, Bukow ist ein anderer Typ. Karl Schmidt rührt mich, während man Bukow, der einen eher irritiert, laufen lassen kann. Selbst in den letzten Folgen, als es ihm so schlecht ging, kriegt der das schon wieder hin. Den mag ich natürlich auch sehr.

Geht es dem Bukow nicht langsam schlecht genug?

Warten Sie ab. Der erste "Polizeiruf", in dem es ihm wieder etwas besser geht, ist schon gedreht. Und der nächste entsteht jetzt im Herbst.

Haben Sie Sven Regener mal ­gefragt, wie es mit Schmidt ­weitergeht?

In der Tat haben wir während der Dreharbeiten mal kurz darüber geredet. Und es schnell wieder sein gelassen. Das hätte nicht zur Rolle im Film gepasst, wenn man zu viel weiß.

Was kann der junge Mensch, der die Neunziger nur verschwommen oder gar nicht erlebt hat, mit ­diesem Film anfangen?

Ich hoffe doch jede Menge. Mich hat das richtig glücklich gemacht, dass wir diesen Film im Jahr 2016 gedreht haben. Ein Jahr, in dem Pegida und AfD so populär wurden. In dem Trump eine Wahl gewonnen hat und so weiter. Jetzt einen Film über die Zeit damals zu zeigen, über dieses Hippietum ohne Ideologie, das finde ich enorm wichtig. Damals hieß es: Kommt alle in einen Raum. Egal, wo ihr herkommt. Egal, wie ihr ausseht. Wir raven einfach ein paar Stunden.

Sie haben die Politik erwähnt. Sollte man zur Bundestagswahl gehen?

Auf jeden Fall sollte man wählen, weil es die Errungenschaft der Demokratie ist, dass man seine Stimme ins Körbchen tun darf. Wer in der DDR aufgewachsen ist, der weiß das.

Interview: Peter Beddies