2014 schrieb die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung in einem Porträt zu Wotan Wilke Möhring: "Dieser Mann ist kein Mitläufer, keiner, der in der Masse schwimmt. 15 Jahre lang war er in rund 100 Film- und Fernsehproduktionen zu sehen, ohne dass man seinetwegen ins Kino gegangen wäre oder anschließend seinen Namen gewusst hätte." Tatsächlich schauspielert Möhring jahrelang unter dem Radar der Masse. Ändern tut sich das erst, als der NDR ihn 2012 zum "Tatort"-Kommissar macht. Durchschnittlich 9,21 Millionen schauen seitdem Kriminalhauptkommissar Thorsten Falke zu, wie er zunächst zusammen mit Petra Schmidt-Schaller und seit 2016 mit Franziska Weisz in Norddeutschland ermittelt.

Für den schauspielerischen Autodidakten ist dies der Lohn seiner Beharrlichkeit. Auch wenn er über Umwege beim Film gelandet ist: Der gelernte Elektriker verdingte sich als Clubbesitzer, Türsteher und Model, studierte Kommunikation an der Hochschule der Künste in Berlin, landete schließlich bei Schauspiel-Workshops in Köln und Los Angeles und lebte zwei Jahre in New York. "Das Element der Veränderung ist in dem Beruf drin. Deshalb ist das für mich der perfekte Job." sagte er der FAS - ein typischer Schauspieler-Satz, der von Möhring mit Leben getragen wird.

Mit Oliver Hirschbiegels Kinoerfolg "Das Experiment" (2000) in dem er den verheirateten Elektriker Joe spielt, der bei der Rasur eine Panikattacke bekommt und durchdreht, feiert er endgültig seinen Durchbruch. Seitdem reüssiert er mit seiner charmanten Männlichkeit in Blockbustern wie "Männerherzen", Fernseh-Events wie "Das Adlon" und Arthouse-Produktionen ("Das Leben ist nichts für Feiglinge") gleichermaßen. Diese Vielseitigkeit ehren wir im Folgenden mit einer speziellen Top-5-1/2 seiner Darstellungen und sagen: Herzlichen Glückwunsch zum 50. Geburtstag Wotan.

"Homevideo"

Echt überzeugend - ganz stark! - spielt Möhring in "Homevideo" (2011) auf. Er mimt einen Polizisten, der ebenso starrsinnig wie vergebens versucht, sein Familienleben zusammenzuhalten. Während sein Sohn (die Hauptfigur) via Social Media zum Abschuss freigegeben wird und seine Frau sich als lesbisch outet, strotzt er den Verwerfungen mit stoischer Kraft. Solche wirklich guten Rollenangebote sollte es viel öfter für ihn geben. Wotan Wilke Möhring ist ein prima Verzweiflungsdarsteller und definitiv nicht everybody's darling.

"Who Am I" und "Das letzte Schweigen"

In den Filmen von Baran Bo Odar "Who Am I" (2014) und "Das letzte Schweigen" (2010) kommen Möhring ungewöhnliche und zugleich tragende Rollen zu. Während er in dem packenden Krimi "Das letzte Schweigen" den pädophilen Studenten und Mordkomplizen Timo Friedrich mit tollem, sehr reduziertem Spiel verkörpert, gibt er in dem gefeierten Thriller "Who Am I - Kein System ist sicher" einen zügellosen, ganzkörpertätowierten Hacker, der neben Tom Schilling und Elyas M'Barek zu brillieren weiß und in einer denkwürdigen Szene herzhaft ausflippt.

"Männerherzen"

In einem insgesamt sehr spielfreudigen Cast (Til Schweiger, Christian Ulmen, Jana Pallaske, Florian David Fitz usw.) fällt Wotan Wilke Möhring als launischer, innerlich verunsicherter U-Bahn-Fahrer Roland besonders auf. Wie er den leicht enflammbaren und zur Gewalttätigkeit neigenden Kerl voller Verve und Überzeugungskraft spielt, ist einerseits herrlich amüsant und zugleich trefflich verstörend. Am eindrucksvollsten ist die Szene, in der er sich mit den Altenpflegern seines demenzkranken Vaters anlegt, weil diese den Vater nicht mehr backen lassen wollen. Auch dank ihm ist Simon Verhoevens Ensemblekomödie keine bloße Gagparade, sondern ein gelungener Blick auf die gegenwärtige Männerwelt.

"Winnetou - Der Mythos lebt"

Bester TV-Film: "Winnetou"

Ja, die RTL-Neuverfilmungen sind durchaus streitbar. Während die Einen alle drei neuen Teile als sehr erfrischend beschreiben, lehnen die Anderen die auf Unterhaltung getrimmte, eher buchferne Verfilmung ab. Fest steht jedoch: Wotan Wilke Möhring als Karl May alias Old Shatterhand ist eine Wucht. Mit physischer Kraft und wohl temperierter Mimik und Gestik ist es ihm gelungen, dem populärsten Pionier des "Wilden Westens" neuen Glanz zu verleihen. Seine vorurteilsfreie, sehr ungezwungene Interpretation ergänzt sich mit dem Rest des Cast optimal. Auch das ist eine große Eigenschaft von "WWM": er lässt die Schauspieler an seiner Seite nie alt aussehen.

"Der letzte schöne Tag"

Oft wird Möhring für seine Überzeugungskraft gelobt, einige Male hat es für Nominierungen zum Deutschen Fernsehpreis oder kleineren Awards gereicht. Doch über die Jahre entwickelt er sich zur Konstante und reift zu einer Art Universalbesetzung markanter Männlichkeit von überraschender, oft untergründiger Emotionalität. So auch in dem prämierten Fernsehdrama "Der letzte schöne Tag" aus dem Jahr 2011: Hier spielt er Lars Langhoff, einen Landarchitekten und Vater zweier Kinder, der seine Frau durch einen Suizid verliert und den drohenden Familienkollaps zu verhindern versucht. Für diese sensible Darstellung gewinnt er 2012 verdientermaßen den Deutschen Fernsehpreis in der Kategorie "Bester Schauspieler".

Autor: Steven Sowa