Geboren am 27. Dezember 1925 in der Weltstadt Paris, verstorben in Saint-Philbert-sur-Risle, hat Michel Piccoli das Leben zwischen diesen Eckpfeilern mit vielen Filmen gefüllt: Während seiner schauspielerischen Karriere zwischen 1945 und 2015 wirkte Piccoli in nahezu 200 Filmen mit. Piccoli war ein sehr gefragter Mime, er war ein Aushängeschild des französischen Kinos, und er war ein ebenbürtiger Spielpartner für andere herausragende Schauspielerinnen und Schauspieler.

Doch wie wurde Piccoli zu der cineastischen Ausnahmeerscheinung, die immer wieder auf sein weibliches Pendant, nämlich Romy Schneider, traf? Ein Blick auf sein Leben.

Piccolis Erfolg beruht schon früh auf seiner Vielseitigkeit

Michel Piccolis Weg zum Filmstar ist zwar nicht vorgezeichnet, wie dies bei den Schauspieldynastien Kinski, Douglas und Redgrave der Fall ist, doch überraschend kam es auch nicht: Der Sohn zweier Musiker wächst in einem künstlerisch geprägten Umfeld auf, und das nicht irgendwo, sondern in Paris, einer Stadt in der sich viele Künstler und ihre Musen tummeln. Die Kindheit verläuft relativ behütet, auch wenn Piccoli (wie er später erklärt) das Gefühl hat, den verstorbenen älteren Bruder ersetzen zu müssen; diese Rolle kann er nicht ausfüllen. Dafür wird er als Erwachsener viele andere Rollen ausfüllen – und das mit Bravour.

Piccoli entdeckt seine Leidenschaft für das Bühnenwerk schon früh und perfektioniert sein mimisches Talent in späteren Jahren durch den Besuch an diversen Schauspielschulen. Untypisch für eine Schauspielerkarriere ist die Bandbreite an Rollen, in denen Piccoli brilliert, denn oftmals verläuft ein Graben zwischen denjenigen, die auf den Theaterbrettern stehen, und denjenigen, die auf der Kinoleinwand oder im Fernsehen zu bewundern sind. Nicht so bei Monsieur Piccoli: Der Charakterdarsteller ist in allen diesen Welten zuhause und glänzt in jeder noch so kleinen Nebenrolle. Dabei muss der Mann mit den markanten Augenbrauen nicht einmal leibhaftig in Erscheinung treten, um einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen – zum Beispiel dann, wenn er "nur" die Erzählerstimme aus dem Off ist. Nicht nur an der Seite von Romy Schneider und Catherine Deneuve spielt er sich in Filmen wie "Die Verachtung" (1969), "Herzklopfen" (1968) und "Die Dinge des Lebens" (1969) in die Herzen der Zuschauer.

Piccolis Erfolgsrezept? Seine Vielseitigkeit. Der Gentleman des französischen Films macht sich sowohl die sympathischen als auch die unangenehmen Charaktere zu eigen und schafft es trotzdem, in allen diesen Figuren die ihm eigene, diskrete ironische Art aufscheinen zu lassen. Dabei beweist Piccoli auch Mut zum Risiko, indem er Rollen akzeptiert, die seiner hohen Popularität schaden könnten. Ein solches Wagnis geht er für den Film "Das große Fressen" (1973) ein. Das Skandalöse dieser Konsumsatire liegt in der Thematik: Vier Freunde, des Lebens überdrüssig geworden, verabreden sich zum gemeinschaftlichen Suizid durch Völlerei. Es wird gegessen, getrunken, erbrochen und vieles mehr, mit dem Ergebnis, dass die Schauspieler bei der Filmpremiere in Cannes nicht nur heftig ausgebuht, sondern vom empörten Publikum auch noch fast verprügelt werden. Michel Piccolis Karriere hat diese Antirolle nicht geschadet, im Gegenteil; heutzutage genießt "Das große Fressen" den Status eines Kultfilms.

Der Schauspieler, dem die Filmemacher vertrauen

Wie bei vielen anderen Schauspielern, waren es auch bei Piccoli Begegnungen mit Kollegen, die in äußerst fruchtbare Zusammenarbeiten resultierten. Die Liste der Weggefährten und Schlüsselfiguren in Michel Piccolis Leben ist lang -  Jean Renoir, Jean-Luc Godard, Agnès Varda, Alain Resnais, Alfred Hitchcock, Claude Chabrol, Louis Malle, Nanni Moretti, Leos Carax, und und und … Doch die wohl intensivsten und auch spannendsten Filme Piccolis ergeben sich aus der Zusammenarbeit mit den Filmemachern Luis Buñuel und Claude Sautet. Allein unter dessen Regie verwirklicht der französische Schauspieler sechs Filme, die sich ins kollektive Filmgedächtnis eingebrannt haben; Filme wie den bereits erwähnten "Die Dinge des Lebens": Der etwa vierzigjährige Architekt Pierre erleidet einen schweren Autounfall. An der Schwelle zwischen Leben und Tod lässt er sein Leben Revue passieren und erkennt, was wirklich zählt. Zum einen sind das die kleinen Freuden, die ein Leben erst lebenswert machen, zum anderen ist das die Beziehung zu Hélène (Romy Schneider), Pierres großer Liebe.

Frankreich ist nicht umsonst das Land der großen Chronisten des Alltags: In zahlreichen Büchern und Filmen wird dem vermeintlich langweiligen Alltag zwischen Bett, Metro und Arbeit gehuldigt und das Poetische im Gleichförmigen gefeiert. So auch in diesem Werk von Claude Sautet, das zeigt, worauf es im Leben wirklich ankommt. Diese Botschaft in Form eines Films überdauert nicht nur aufgrund der exquisiten Bilder, sondern auch wegen des Darsteller-Duos Schneider/Piccoli. Die beiden Stars ergänzen sich aufs Beste und überzeugen mit einem völlig ungekünstelten Spiel, was die wahre Könnerschaft auszeichnet: das Schwere leicht aussehen lassen. Dass die Chemie zwischen den beiden stimmt und auf der Leinwand funktioniert, belegt ein Blick auf deren jeweilige Filmografie: So haben Schneider und Piccoli gleich mehrfach und unter verschiedenen Regisseuren gemeinsam gedreht, zum Beispiel in dem Film "Die Spaziergängerin von Sans-Souci" (1982) von Jacques Rouffio. Romy Schneider war es nicht mehr vermocht mitzuerleben, wie der Film "Die Dinge des Lebens" im Laufe der Zeit nachreift. Dafür gibt es seit einigen Jahren ein gesteigertes Interesse an der "Sissi"-Darstellerin, wobei die letzten Lebensjahre besonders in den Fokus gerückt sind. Dieses Interesse zeigt sich anhand einer Vielzahl an Biopics, also dokumentarisch grundierten Spielfilmen, sowie Ausstellungen zu Schneiders Leben und Wirken.

Hier ein Trailer zu "Die Dinge des Lebens":

Das politische Engagement für eine bessere Welt

Schließlich noch ein Blick auf das, was in Piccolis Leben zählte, wenn er gerade mal nicht vor der Filmkamera oder auf den Theaterbrettern stand: Dann engagierte sich der dreifache Vater, der drei Mal verheiratet war, u.a. auch mit der Sängerin Juliette Grécco, für eine bessere Welt: Der überzeugte Pazifist hat sich immer wieder gegen den radikalkonservativen "Front national" positioniert und wohltätige Projekte gefördert, so zum Beispiel die Vereinigung "Amnesty international". Und auch beim Schauspielnachwuchs forderte er Nachwuchstalente.

Michel Picolli stand mit beiden Beinen im Leben, verlor seinen Kopf nicht in den Wolken und vermochte vielleicht gerade deshalb so vorzüglich in die unterschiedlichsten Rollen schlüpfen, die er mit seinem unvergleichbaren Können zum Leben erweckte.