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Oliver Masucci über Serien auf Netflix, Amazon und Co.: "Das ist eine Sucht!"

Oliver Masucci über Netflix und Play
Oliver Masucci über Streaminganbieter wie Netflix und seinen neuesten Fernsehfilm "Play" Getty/PR/Montage

Mit Rollen in "4 Blocks" und "Dark" hat Oliver Masucci in zwei hochgelobten deutschen Serienproduktionen seinen Stempel hinterlassen. Streaminganbieter wie Netflix oder Amazon empfindet er als Gewinn, doch nicht alle Entwicklungen sieht der 50-Jährige positiv.

Sein Gesicht: markant. Seine Spielart: authentisch. Seine Rollen und Engagements: vielseitig. Von Theater (Wiener Burg) über Film ("Werk ohne Autor") und Fernsehen ("4 Blocks") bis hin zu Streaming ("Dark") hat sich Oliver Masucci zu einem weltweit anerkannten Schauspieler hochgearbeitet.

Bei dem ambitionierten ARD-Fernsehfilm "Play" (Tagestipp am Mittwoch) spielt Masucci einen bemühten, aber nicht immer sehr liebevollen Vater. Der erschreckende Fall einer 13-Jährigen (Emma Bading), die mit einer krankhaften Computerspielsucht zu kämpfen hat, verlangt ihm in seiner Vaterrolle einiges ab. Sich selbst bezeichnet Masucci ebenfalls als "Suchtmensch" und als er mit uns über "Play" spricht, gleitet das Gespräch schnell weg von der Videospielsucht und hin zu einem Laster, das in unserer heutigen Gesellschaft weitaus wohlgefälliger betracht wird.

Die Sucht nach Serien. Oliver Masucci erzählt uns im Interview einerseits, was ihn an Serien reizt und andererseits was ihn an vielen Produktionen stört. Schnell merkt man: Der gebürtige Stuttgarter ist um keine Direktheit verlegen.

Oliver Masucci im Interview

Was ist das Problem bei der Spielsucht?

Physisch laugt es einen aus und psychisch befriedigt es nicht. Man ist angefixt wie ein Junkie und braucht immer mehr, um sich zu berauschen. Das gleiche Problem habe ich inzwischen mit Serien. Da hängt man dann acht Staffeln an der Nadel, aber am Ende ist man unbefriedigt. Das ist auch eine Sucht. Die Leute hocken gebannt vorm Bildschirm und ziehen sich eine Staffel nach der anderen rein, weil kein Ende in Sicht ist.

Aber was ist die Alternative?

Nennen Sie mich befangen, aber in "Dark" spiele ich auch deshalb so gern, weil die Produzenten nach drei Staffeln sagen: Die Geschichte ist auserzählt. Aber oft wird ein Stoff so lange ausgepresst, solange er Geld bringt. Das ist dann aber nicht mehr kreativ, sondern nur noch kommerziell. Und wird auch für die Beteiligten irgendwann langweilig.

Was ist noch so reizvoll an "Dark"?

Die Serie bringt einen an die Grenze des Begreifbaren. Man kann sich nicht einfach berieseln lassen oder zwischendurch mal aufs Klo oder Mails checken - wenn man sich nicht konzentriert, ist man raus. Sofort. Andere Serien konsumiert man so weg, aber weiß dann zwei Wochen später nicht mehr, was genau passiert ist. "Dark" verlangt aktives Zuschauen. Ich habe beim Schauen selber ständig diesen 10-Sekunden-zurück-Knopf von Netflix genutzt, um mich zu vergewissern, dass ich alles richtig verstanden habe. Es gibt so viele Gedanken in "Dark", soviele philosophische Fragen, die einen herausfordern. Wie die Überlegung, dass Zeit Gott ist. Über so etwas denkt man doch sonst nicht nach. Man lebt und glaubt, die Zeit läuft linear und auf einmal kommt eine Serie und stellt das infrage - das ist genial.

Diese Komplexität muss doch als Schauspieler herausfordernd sein oder wie behalten sie den Überblick?

Ja, die Amis sagen "it fucks with your brain". Das stimmt. Und es ist anstrengend und anziehend zugleich. Beim Dreh von Staffel zwei habe ich mir zur Vorbereitung nur das Drehbuch für meine Figur geben lassen. Ich wollte nur lesen, was ich für meine Figur Ulrich Nielsen und seine Storyline wirklich lesen musste. Den Rest habe ich mir aufgespart, zum selber Anschauen. Wie die schönste Erdbeere, die man erst ganz zum Schluss isst. Ich wollte mich überraschen lassen und die Serie auskosten. Dieses "Verstehenwollen", dieses Miträtseln macht "Dark" einzigartig.

Aber ist die Serie damit auch in Deutschland erfolgreich? Netflix behauptet ja, 9 von 10 Menschen, die "Dark" gesehen haben, kommen NICHT aus Deutschland. Mehr als 75 % der Dark-Fans, die mir auf Instagram folgen, stammen aus dem Ausland. Vor allem aus Südamerika, aus Brasilien, Argentinien, aber auch aus Mexiko, den USA und Italien. Es wird überall auf der Welt geguckt und trifft offenbar einen Nerv. "Twin Peaks" war die Ur-Serie, danach kam nicht mehr viel Mystery im Fernsehen. Vielleicht erfüllt "Dark" ein Bedürfnis nach diesem lange vernachlässigten Genre.

Masucci über zeitunabhängiges Fernsehen à la Netflix und Amazon

Foto: Sender, Oliver Masucci als Familienvater in dem Fernsehfilm "Play"

In ihrem neuen Fernsehfilm "Play" (Mittwoch, 20.15 Uhr ARD) geht es ums Gaming. Wie stehen Sie zum interaktiven Fernsehen, wo sich Gaming und Film die Hand reichen und etwas Neues aus beiden Welten erzeugen? Stichwort "Black Mirror: Bandersnatch": Dort können Zuschauer mit eigenen Entscheidungen den Verlauf des Film lenken?

Den "Black Mirror"-Film habe ich noch nicht gesehen, aber er klingt interessant. Es tun sich gerade viele neue Formate auf, das finde ich erfrischend. Der Streamingbereich sorgt für Wettbewerb und beflügelt auch das Fernsehen. Auch das klassische TV-Programm muss zusehen, dass es die jungen Leute erreicht. Auch dort werden neue Formate entstehen.

Ist das ein Problem des klassischen Fernsehens? Nicht so beweglich zu sein? Anbieter wie Netflix oder Amazon gehen oft neue Wege, haben technisch andere Möglichkeiten.

Die alten Sachen existieren ja weiterhin. Das Kino ist immer noch Anlaufpunkt für viele Menschen und in Deutschland haben wir heute noch einen prosperierenden Theaterbetrieb, auch wenn das Theater bereits vor Erfindung des Tonfilms totgesagt wurde. Das kann alles nebeneinander existieren und findet dann in den Nischen das Publikum, das es braucht. Aber die Leute, die das öffentlich-rechtliche Fernsehen verloren hat, die einfach gar nicht mehr fernsehen, weil das Programm für Menschen ab 65 Jahren gemacht wird, die wandern eben zu einem Streamingdienst ab.

Aber warum?

Weil sie es können. Jeder kann heute sein Programm aktiv gestalten. Für mich ist es befreiend, dass ich jederzeit auf die Inhalte zugreifen kann, wenn ich es will. Dieses zeitunabhängige, flexible Fernsehen ist ein Gewinn.

Im zweiten Teil des Interviews spricht Oliver Masucci mit uns über Kindererziehung in einer Zeit, in der sowohl Kinder aber auch Erwachsene immer mehr den Verlockungen der digitalen Welt zu verfallen scheinen. Hier lest ihr den zweiten Teil: "Die Sehnsucht nach Scheinrealitäten ist groß!"