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Oliver Masucci über Online-Sucht: "Eltern müssen aufpassen, dass ihre Kinder sich nicht anstecken!"

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Oliver Masucci reflektiert auch seine eigene Vaterrolle im Privaten, wenn er über den ARD-Film "Play" sagt: "Reden hilft!" Sender

Oliver Masucci ist einer, der das Fernsehen besser macht. Mit seinem präzisen Spiel, seinem markanten Gesicht, seinem hohen Anspruch an sich selbst. Auch bei der Erziehung seiner drei Kinder hinterfragt sich der 50-Jährige regelmäßig. Im Interview erklärt er uns, warum.

Bei seiner neuesten TV-Rolle musste Oliver Masucci nicht lange überlegen. Als er das Drehbuch von "Play" (Mittwoch, 20.15 Uhr ARD) vorgelegt bekam, in dem die 13-Jährige Jennifer (Emma Bading) von einem Virtual-Reality-Game schier besessen ist und in die Schizophrenie abdriftet, war er begeistert. "Philipp Koch hat das ganz bewusst so entwickelt, weil er selber Gamer ist. Er kennt die Welt, von der er erzählt. Das finde ich immer toll, wenn Regisseure etwas verarbeiten, was sie persönlich angeht.", so der Schauspieler im Interview mit TV SPIELFILM.

Oliver Masucci verkörpert in dem Drama von Philip Koch ("Tatort: Blut", 2018) den geschäftstüchtigen, ständig am Handy klebenden Vater. Einen, der versucht, mit den immer gefährlicher werdenden Spielmarotten der Teenagerin umzugehen. Für den Vater dreier Kinder war die Thematik von Sucht und dem digitalen Spielwahn ganz besonders wichtig. Masucci weiß, dass er als Elternteil ebenfalls aufpassen muss – vor allem beim Daddeln. "Die Belohnungsmechanismen im Spiel – das Klimpern von Geld, Applaus –, das triggert irgendwas im Hirn, da werden Glückshormone ausgestoßen. Genauso wie das Liken bei Facebook." Die Frage, die dem Schauspieler dabei am meisten unter den Nägeln brennt: "Was fehlt in der Gesellschaft, dass man in ein Paralleluniversum abtauchen möchte?" Der ARD-Fernsehfilm "Play" versucht mit seiner Darstellung der Familie, eine Botschaft herauszustellen: Internetsucht ist ein Alltagsphänomen und betrifft jede gesellschaftliche Gruppe.

Dennoch gäbe es Möglichkeiten, dem entgegenzutreten. Im Gespräch offenbart Masucci, wie er seine eigenen drei Kinder erzieht und wie er sich oft selbst ermahnen muss.

Oliver Masucci im Interview

In einem "Play"-Monolog der Hauptfigur Jennifer heißt es zu Beginn des Films: "Einfach abtauchen und darin verschwinden". Welcher Form des Eskapismus haben sie in Ihrer Jugend gefrönt, Herr Masucci?

Meine Eltern haben das Restaurant eines Tennisclubs in Bonn betrieben, und ich habe dort jeden Tag gespielt. Jeden Tag Tennis, oft Fußball oder wir haben den Wald unsicher gemacht, an dem das Grundstück lag. Hauptsache draußen, Hauptsache Sport.

Bleibt da überhaupt Verständnis für Kinder, die sich in virtuellen Games verlieren?

Klar, ich hatte ja selbst einen C64. Da habe ich einmal tagelang den Code für ein Spiel aus der Computerzeitschrift einprogrammiert. In das Heft hatte sich aber ein Druckfehler eingeschlichen, alles umsonst. Das hat mir für lange Zeit die Lust auf Computer genommen. Aber ich bin ein Suchtmensch. Jahre später hatte ich mal einen intensiven Abend vor der Playstation. Ich habe so lange gespielt, bis ich vor Rückenschmerzen nicht mehr sitzen konnte. Ein Autorennen war das, bei dem ich vorgegaukelt bekam, dass es etwas zu gewinnen gibt. Also fuhr ich stundenlang im Kreis, doch es gab nichts dafür. Als ich am nächsten Tag aufwachte, konnte ich kaum laufen. Ich musste abends eine Theatervorstellung absagen, weil mein Bewegungsapparat hinüber war.

An diesem Punkt im Interview driftet das Gespräch plötzlich ab. Masucci erzählt uns, dass Sucht nicht nur physisch, wie von ihm beschrieben, Spuren hinterlässt. Er kommt auf den psychischen Teil zu sprechen und zieht einen erstaunlichen Vergleich: Bei TV-Serien sei Sucht ebenfalls ein Problem. Hier erklärt uns der Schauspieler, was er damit meint.

"Play" ist ein sehr ambitionierter Fernsehfilm, hier wagt das öffentlich-rechtliche Fernsehen etwas Neues. Der Stoff funktioniert auch als Warnung vor virtuellen Doppelleben. Jeden Tag findet beispielsweise auf Instagram eine Form der Selbstinszenierung statt. Wie unterhalten sie Ihre gut Hunderttausend Follower auf Insta?

Ich lasse die Menschen an meinem Leben teilhaben, aber nicht nur am Glanz, sondern zum Beispiel auch an der 18-Kilo-Plauze, die ich mir für Fassbinder angefuttert hab. Die wird weniger geliked als ein Mode-Shooting - warum bloß? -, aber ich zeige damit etwas vom Set und werbe für die Projekte, die mir wichtig sind. Andere erschaffen Social-Scheinbilder von sich. Man weiß gar nicht, wer dahintersteht, weil sie nur zeigen, wie sie gesehen werden wollen, wie sie sich selber sehen, aber nicht, wie sie sind. Wahrscheinlich ist das sogar hilfreich für den Starruhm, dieser schöne Schein und die Unnahbarkeit. Aber ich hab's gern echt.

"Play" kritisiert in seinen Zwischentönen auch eine always-online-Mentalität, die durch die tägliche Smartphone-Nutzung allgegenwärtig ist. Was geht uns heutzutage verloren?

Der Kontakt zur Natur. Den verlierst du in der Stadt und durch dieses ständige auf das Handy starren. Da ist die Sehnsucht nach Scheinrealitäten natürlich groß.

Wie lässt sich da ein Ausweg finden?

Wir müssen junge Menschen dabei begleiten. Wenn schon das Daddeln, dann miteinander, mit der Familie und Freunden. Dann redet man wenigstens miteinander und erlebt gemeinsam etwas. Wenn die Kinder aber einfach digital entsorgt werden, damit man seine Ruhe hat, das ist nicht okay. Weil man überhaupt nicht mehr weiß, was die Kinder in ihrer Freizeit treiben.

Seinen Kindern vorleben, dass es auch ohne geht

Zum Beispiel stundenlang im Internet ein virtuelles Rollenspiel zocken, so wie Jennifer in "Play"?

Ja, zum Beispiel. Die Weltgesundheitsorganisation hat Onlinespielsucht mittlerweile als Krankheit anerkannt. Eltern müssen aufpassen, dass ihre Kinder sich nicht anstecken. Und das bedeutet, dass sie ihnen Alternativen anbieten müssen. Das erfordert Zeit, die man sich nehmen muss.

Die Figur in dem Spiel zu löschen, ist das eine Möglichkeit?

Meine Film-Tochter Jennifer wird irgendwann schizophren, sie kann nicht mehr zwischen Realität und Fiktion unterscheiden. Das macht sie zur Gefahr für alle. Andere Persönlichkeitstypen nehmen solche Rollenspiele ganz anders wahr, sie spielen, schalten dabei ab und können ein normales Leben führen. Doch andere, wie Jennifer, sind völlig gefangen und finden keinen Ausweg mehr.

Daraufhin treffen die Eltern in dem Film eine Entscheidung ...

Ja, eine harte. Aber wenn man sieht, dass das Kind eine Krankheit hat, muss man eingreifen. Jennifers Sucht wird immer wieder getriggert sobald sie spielt.

Hilft dagegen nur kalter Entzug?

Möglicherweise ja, irgendwann muss man sagen: So, jetzt nehmen wir dir dieses Spiel ganz weg. Aber in der digitalen Welt geht das praktisch kaum, weil sich Kinder dann auf anderen Wegen das Spiel beschaffen. Reden hilft. Ich spreche mit meinen Kindern viel. Meinem Sohn erkläre ich immer, dass dieses virtuelle Geld, was er in seinen Spielen gewinnt, nichts wert ist. Das ist nur Teil eines ausgeklügelten Belohnungssystems, das Glückshormone ausschüttet und das Gehirn manipuliert. Ich frage ihn dann immer: Was kannst du dir von den Punkten kaufen? Gar nichts. Er muss selbst darauf kommen, dann hat es auch einen Lerneffekt. Aber ich bin kein Therapeut - es gibt bestimmt Menschen, die besser wissen als ich, wie man damit umgeht.

Ihre Figur in "Play" ist kein gutes Vorbild oder?

Nein, nicht wirklich - aber sie ist ziemlich typisch. Ich habe zum Beispiel ständig ein Handy in der Hand, lege es nie ab. Dadurch wird das ständige Online-Sein bagatellisiert. Wenn ich meinen Kindern zuhause erzähle, dass alle das Handy wegzulegen haben am Esstisch, muss ich mich auch selber daran halten. Es ist wichtig, den Kindern vorzuleben, dass es auch ohne geht.

Die Rolle des gestressten Vaters scheint in Mode zu sein, auch in "Dark" haben sie eine ähnlich angelegte Vaterfigur gespielt.

Der Vater in "Play" ist ein Arbeitssklave und versucht, erfolgreich zu sein. Aber eigentlich zeigt "Play" eine intakte Familie. Die Eltern haben Sex, Mama und Tochter machen zusammen Yoga, Jennifer ist gut erzogen, aber ihre Eltern nehmen nicht so richtig teil am Werdegang der Tochter. Der Film zeigt, dass das in jeder Familie passieren kann. Das ist eine relativ normale Familie, in der dieser Kontrollverlust stattfindet. Denen geht es gut und trotzdem läuft etwas fürchterlich schief.