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Film mit Lars Eidinger

Zwei Künstler, tausend Eigenheiten

Im TV-Drama "Familienfest" fechten Günther Maria Halmer und Lars Eidinger einen erbitterten Kampf aus: Gespräch mit zwei Stars, die sich gern aneinander reiben...

Sie begrüßen sich mit einer herzlichen Umarmung. Günther Maria Halmer (73) und Lars Eidinger (40) mögen einander sehr seit der gemeinsamen Arbeit an "Familienfest", einem TV-Drama um einen zynischen Starpianisten, der seine drei Söhne als komplette Enttäuschung empfindet. Eidinger spielt den ältesten Sohn Max. Ganz Vaterfigur schaut Halmer auf Eidingers rosafarbene Fingernägel: "Hast du die etwa lackiert?" - "Mir war heute danach." Halmer lacht: "Bist ein verrückter Hund."
Herr Halmer, Ihr Verhältnis zu Ihrem Vater war auch nicht gerade konflikt­frei. Hat das bei der Gestaltung der Rolle geholfen?

Günther Maria Halmer: Mein Vater war Jurist, ein strenger Mann. Ich hatte das Gefühl, ich konnte ihm nichts recht machen. Er hat erwartet, dass ich ein Einser-Schüler werde, aber ich habe nur Fünfer nach Hause gebracht. Selbst als ich zur Bundeswehr ging, klappte nichts, denn da waren Disziplin und Gehorsam gefordert, nicht Kreativität, und das lag mir gar nicht. Deshalb habe ich's auch in diesen achtzehn Monaten nicht mal geschafft, wenigstens Gefreiter zu werden. Mein Vater war verzweifelt, für den war ich eine einzige Enttäuschung, deshalb hat er mir auch mal gesagt: Ich wünsch dir nichts Schlechtes, aber ich wünsch dir, dass dein Sohn genauso wird wie du.

Max ist schwer krank, verheimlicht das aber. Wie haben Sie sich in dessen körperlich desolaten
Zustand gebracht?


Lars Eidinger: In der Szene, in der ich mit dem Auto in den Graben fahre, sehe ich so schlecht aus, weil ich noch betrunken von einer Autistic Disco in der Nacht zuvor war. Verraten Sie das bloß niemandem. (grinst) Aber Max ist schwach und schwitzt viel. Ich hätte mir Glycerin ins Gesicht sprühen lassen können, aber ich wollte tatsächlich schwitzen. Also habe ich mir einen Heimtrainer ans Set stellen lassen und mich vor den entsprechenden Szenen darauf abgestrampelt. Ich weiß nicht, ob es für den Zuschauer einen Unterschied macht, ob es echter oder künstlicher Schweiß ist, aber mir hilft es beim Spielen, und ich finde es glaubwürdiger.

Stecken Sie nach Drehschluss in solchen Rollen fest?

Halmer Das geht gar nicht, er spielt ja nach Drehschluss abends noch den Hamlet.

Eidinger Stimmt, aber mich würde interessieren, was du dazu sagst. Ich werde es oft gefragt, aber ich weiß gar nicht, was die Kollegen antworten. Es gibt Schauspieler, die sagen, die Figur ist für sie wie ein Mantel, und den können sie abends ablegen. Bei mir ist das anders. Ich will den gar nicht ablegen. Ich versuche ja, die Rollen in mir selbst zu finden. Und wenn ich sie gefunden habe, macht mich das in meinem Bewusstsein und in meiner Selbstwahrnehmung reicher und komplexer. Ich profitiere als Schauspieler extrem von den unterschiedlichen Figuren, die ich darstelle. Ich verstehe durch sie etwas über mich selbst, und sie werden ein Teil von mir. Wie die Schichten einer Zwiebel.

Halmer Lars hat einen vollkommen anderen Ansatz, an Rollen ranzugehen, als ich. Seiner ist ein künstlerischer, ein egomanischer Ansatz. Ich sehe eine Rolle eher wie eine Partitur und überlege, wie muss ich die jetzt spielen. Nach dem Ende des Konzerts klappe ich die Noten wieder zu.
Zwei Künstler und ihre Laufbahnen
Günther Maria Halmer (73) wurde 1974 durch die "Münchner Geschichten" bekannt. 1982 spielt er im Oscar-Film "Ghandi". Zwischen 1988 und 2001 war der gebürtige Rosenheimer für das ZDF "Anwalt Abel". Ein unverzichtbarer Charakter in den Geschichten des Fernsehens.

Lars Eidinger (40) sammelte schon als Kind in der Jugendsendung "Moskito" TV-Erfahrung. An der Berliner Schaubühne wurde er Anfang der 2000er zum Theaterstar. Auch als Regisseur. Im Kino ("Alle anderen", "Personal Shopper") und TV ("Terror") sind seine Auftritte immer etwas Besonderes.
Sie haben mal gesagt, Schauspieler trauen sich zu selten, etwas zu riskieren. Da müssten Sie doch in Lars Eidinger den idealen Partner gefunden haben.

Halmer Ja, mit ihm könnte ich immer spielen, weil man wahnsinnig neugierig darauf ist, was er in einer Szene macht. Dadurch kann man sehr frisch arbeiten, weil man ihm ja sehr genau zuhören muss. Du musst allerdings auch die Kraft haben dagegenzuhalten, wie gegen eine Finte beim Fechten. Auf der Bühne mit ihm zu fechten ist wahrscheinlich auch schwierig, sicherlich macht er im "Hamlet" auch ständig irgendwelche neuen Sachen.

Eidinger Mich freut, dass du es als etwas Schönes beschreibst, wenn man sich darauf einlässt. Und genauso ist es ja auch gemeint, es ist eine Einladung. Aber es gibt Schauspieler, die das falsch verstehen, die sich schnell angegriffen fühlen oder provoziert und die denken, es ginge jetzt um eine vordergründige Form von Konkurrenz.
Heute gelten Sie als der Beste Ihrer Generation, früher haben Sie in For­maten wie "Schloss Einstein" oder "Großstadtrevier" mitgemacht, was im Nachhinein verwundert.

Eidinger Ich kam von der Schauspielschule, und ich wollte ja nicht Theaterschauspieler werden, sondern Filmschauspieler. Ich bin mit Filmen groß geworden. Zum ersten Mal ins Theater gegangen bin ich erst, als ich auf der Schauspielschule war.

Halmer Da geht's dir wie mir. Ich bin als Jugendlicher bis zu dreimal am Tag ins Kino gegangen. Dazu musste ich sogar manchmal Geld von der Oma klauen.

Eidinger Wir sind alle mit Hollywood groß geworden. Ich hatte die Sehnsucht, ein Teil dessen zu werden. Es ging bei mir überhaupt nur in die Theaterrichtung, weil meine Schauspielschule so sehr auf Theater ausgelegt war. Und dann wurde ich an der Schaubühne engagiert und dachte, wir erfinden jetzt das Theater neu. Wir haben ein Manifest geschrieben und darin vertraglich festgesetzt, dass wir zwei Jahre lang nicht drehen dürfen. Als Abgänger der Ernst-Busch-Schule kriegt man ja viele Angebote, aber ich konnte keins davon nutzen. Als die zwei Jahre rum waren, war ich gezwungen, Sachen wie "Großstadtrevier" oder "Schloss Einstein" zu drehen.

Halmer War sicher spannend.

Eidinger Nein, es war schrecklich, aber ich musste drehen, weil ich ein Demoband brauchte, um mich bei Schauspielagenturen zu bewerben.

Halmer Ich habe ein bisschen länger gebraucht als Lars, um zur Schauspielerei zu finden. Ich habe eine Hotelfachschule besucht und auch im Hotel gearbeitet. In Konstanz. Am Empfang. Immer mit Krawatte und Anzug. Draußen war es heiß, und die Gäste trugen Bermudashorts und T-Shirts. Ich musste ihnen die Zimmer zeigen und war zwar höflich, aber sie haben trotzdem schnell gemerkt, das ist nicht der Mann, den wir brauchen, und haben meinen
Vertrag nicht verlängert. Fünfzehn Jahre später, der Direktor des Hotels hatte längst gewechselt, drehe ich mit Armin Mueller-Stahl in Konstanz, und meine Produktion quartiert mich in ebendieses Hotel ein. Ich wusste noch genau, welches das schönste Zimmer ist und wo ich einen Blick auf den Bodensee habe. Im Zimmer standen Blumen, es lag ein Willkommensbrief da, und ich dachte, während ich so über den See schaute: Schöne Sache, hier so feudal einzureiten, wo sie mich damals nicht mehr haben wollten.

Viele Schauspieler würden Gespräche mit Journalisten lieber meiden, Sie nicht, Herr Eidinger. Warum geben Sie so gern Interviews?

Eidinger Ich merke einfach, dass ich aus dem Zwang, mich formulieren zu müssen, etwas verstehe, was ich sonst nicht verstehen würde. Meine Frau sagt immer, mach doch lieber mal eine Analyse.

Halmer Ich schreibe gerade meine Biografie und beschäftige mich deswegen intensiv mit meinem Leben. Wenn man gedanklich zurückgeht in seine Kindheit und Jugend und die Wege betrachtet, die man gegangen ist, dann ist das, als ob man sich Spuren im Schnee anschauen würde. Plötzlich siehst du, da bin ich im Zickzack gelaufen, hier habe ich einen Umweg genommen, hier bin ich im Kreis gegangen. Das ist eine tolle Therapie. Man erinnert sich an Dinge, die man längst vergessen hatte, und man begegnet sich noch einmal selbst. Und man kann selbst entscheiden, was über einen geschrieben wird. Das kann man bei Interviews ja eher nicht.

Eidinger Die Presse kann einem aber ganz schön das Wort im Mund verdrehen. Da muss man oft höllisch aufpassen.

Halmer Meistens weiß man doch, in welche Richtung es geht. "Das goldene Blatt" will Privates wissen, und wenn der "Spiegel" schreibt, weiß man auch, wo es hingehen soll.

In welche Richtung geht es Ihrer Meinung nach bei TV SPIELFILM?

Halmer Sie haben ziemlich scharfe Kritiken. Und diesen Daumen. Der ist übrigens eine Gemeinheit.

Eidinger Ach, da muss man doch die Zeitung nur umdrehen, und schon ist die Welt wieder in Ordnung.

Das Interview führte unsere Reporterin: Susanne Sturm.