Wenn eine hübsche Blondine Hollywood erobert, ist das keine außergewöhnliche Story, bei Naomi Watts schon. Im Fall der 1,65 m kleinen Britin mit australischem Pass erweist sich nämlich einiges, was gemeinhin einer Karriere abträglich gilt, im Nachhinein als glückliche Fügung.

Sie sieht klasse aus, keine Frage, ist aber weniger markant, und neben den schillernden Schönen ihrer Branche wirkt sie manchmal geradezu, pardon, unauffällig. Mit Diva-Appeal kann sie auch nicht punkten: unberechenbar, launisch, das sind die anderen.
Naomi Watts respektabler früher Auftritt in Flirting - Spiel mit der Liebe bleibt 1991 jedenfalls weitgehend folgenlos. Anders Nicole Kidman, die in der Teenagerromanze mit von der Partie ist und schon bald in Richtung Hollywood aufbricht. Naomi Watts muss dagegen erst einmal nehmen, was sie kriegt, und das sind Absagen bei Vorsprechterminen oder Angebote für drittklassige Horrorfilme.

Egal, da ist sie dabei, ganz pragmatisch, nachdem es mit einer Modelkarriere auch nicht recht klappen wollte. In Schockern wie Down - Steig ein, wenn du dich traust probiert sie sich am dramatischen Gestus, lernt ein breites Spektrum von Angst, Schmerz und Trauer abzubilden und verliert nebenbei jegliche Scheu. Ein kryptischer Mysterythriller mit einer lesbischen Liebesszene katapultiert sie 2001 ins Blockbusterkino: Mulholland Drive von David Lynch.

Sie bleibt dem Genre treu, schlägt sich in The Ring mit Untoten rum und agiert in King Kong quasi aus dem Nichts mit einem Riesenaffen, der sich erst in der Postproduktion tricktechnisch dazugesellte. Das Remake vom "Herr der Ringe"-Regisseur Peter Jackson, mit ihrer bis dahin größten und beeindruckendsten Rolle, verleiht Naomi Watts endgültig Starstatus.

Jetzt nimmt sich die Watts, was sie will, und zeigt, was sie kann. Zumeist in Thrillern wie The International und Fair Game - mit Toppartnern wie Clive Owen und Sean Penn, mit dem sie drei Filme gemeinsam dreht -, aber auch in Woody Allens Dramödie Ich sehe den Mann deiner Träume. Wie selbstverständlich gelingt der Schauspielerin jedes Mal ein kleines Kunststück: ihrer Figur jede Künstlichkeit zu nehmen.

Was die Kritiker frohlocken lässt, ist für den Zuschauer nicht immer einfach zu ertragen, denn es gibt wohl keine andere Schauspielerin, bei der es so wehtut, wenn es ihr wehtut. Beispielhaft: die Drogensüchtige in 21 Gramm und ihre nicht weniger an die Nieren gehende Performance im Tsunami-Drama The Impossible, wofür sie jeweils mit einer Oscar-Nominierung geehrt wird.

Wo sie das Leid herholt, das sie im Film so gnadenlos glaubwürdig herstellen kann, lässt sich nur erahnen. Ihr Vater, Tontechniker bei Pink Floyd, verlässt die Familie, als sie gerade vier Jahre alt ist, stirbt kurz darauf an einer Überdosis Heroin. Naomi Watts kennt die düsteren Seiten des Lebens, sie hat keine Angst, viel im Kopf und viel vor, mittlerweile auch als Produzentin.

Dass sich unter den mehr als 30 Filmen, in denen sie seit 2001 spielt - während sie nebenbei mit Schauspieler Liev Schreiber zwei Kinder kriegt und aufzieht - auch ein paar Gurken finden, lässt sich nicht verschweigen. Aber selbst Oliver Hirschbiegels hämisch verrissenes Biopic Diana über die letzten Jahre von Lady Di ist allein wegen ihr sehenswert. Da kann sich Nicole Kidman in Grace alias Fürstin Gracia von Monaco noch so in Pose werfen - keine Chance.

Heiko Schulze

Fair Game
MI 3.9. DAS ERSTE 22.45 Uhr