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Robert Redford: Meer geht nicht

Sein Boot sinkt, unser Respekt steigt: Robert Redford brilliert im Hochseedrama "All Is Lost - Überleben ist alles". Doch nicht nur er ...

Damit sich Schauspieler besser in eine Figur hineinversetzen können, entwerfen Drehbuchautoren und Regisseure für fiktive Charaktere häufig eine ausgefeilte Biografie, deren exakte Details im Film später aber gar nicht zur Sprache kommen. Ungewöhnlicher ist es schon, die "Lebensgeschichte" eines Segelboots zu entwerfen.

Genau das tat Regisseur J. C. Chandor, damit Hauptdarsteller Robert Redford ein besseres Gefühl für das Boot bekam, mit dem er in "All Is Lost" in Seenot gerät. Der Skipper hat es 1985 gekauft. Damals war er 55 Jahre alt, das Segelboot sechs Lenze jung. Zehn Jahre später schlug die US-Wirtschaftskrise der Neunzigerjahre zu. Er hat sein Boot vernachlässigt, weil Geld für Reparaturen fehlte. Nach der Pensionierung investierte er 2001 dann rund 20 000 Dollar in die Überholung. Zehn Jahre später kommt es "1700 nautische Meilen vor der Meerenge von Sumatra" zu der Katastrophe, von der "All Is Lost" erzählt. Der Skipper heißt im Drehbuch einfach nur "unser Mann". Sein Segelboot trägt den Namen "Virginia Jean". Gegen Ende wird ihm von ihr nur die aufblasbare Rettungsinsel bleiben.
Budgettechnisch ein kleiner Fisch
All Is Lost
J. C. Chandor, selbst begeisterter Segler, war mit dem Börsianerdrama "Der große Crash" 2011 ein gefeiertes Debüt gelungen. Dennoch ging er beim Nachfolger nicht in die Vollen, sondern drehte "All Is Lost" für knapp neun Millionen Dollar. Zum Vergleich: Ang Lees Havarieabenteuer "Life of Pi" kostete 120 Millionen. Dank exakter Planung reichte das Budget für spektakuläre Szenen aus, etwa jene, in der sich das Boot im tosenden Sturm um die eigene Achse dreht und der Skipper in der Kabine herumgeschleudert wird.
Mit Schaumstoff durch den Studiosturm
Für den Überschlag, die "death role", baute Produktionsdesigner John Goldsmith das Innere der "Virginia Jean" auf einer Art Bühne nach. Die montierte das Team in ein Gerüst, auf dem sie per Elektromotor um die eigene Achse gedreht werden konnte. Robert Redford, damals bereits 76, bestand darauf, möglichst viele Stunts selbst zu übernehmen. Damit er sich in der Szene nicht verletzte, ersetzte Goldsmith Teile der Holzvertäfelung durch täuschend echten Schaumstoff, umherfliegendes Besteck und nautische Geräte wurden mit Gummi simuliert.

Außer in der gefälschten Kajüte drehte man aber auch auf drei kompletten Booten. Goldsmith kaufte drei Exemplare vom Typ Cal 39, Baujahr 1979, alle in unterschiedlichem Zustand. Jedes verkörperte die "Virginia Jean" in einem anderen Zustand der Zerstörung. Alle Boote wurden entkernt und mit unzähligen Kabelzugängen versehen, die den Kameramännern Frank G. DeMarco und Peter Zuccarini jegliche Position erlaubten. Schwimmen mussten die ausgehöhlten Boote auch noch, aber nicht im Ozean, sondern in den Tanks der Baja Studios, drei Autostunden südlich von Hollywood. Die riesigen Tanks wurden in den 1990ern teilweise direkt an den Pazifik gebaut, Himmel und Horizont sind "echt". Hier drehte James Cameron einst "Titanic".
Ein Oscar-Trugbild am Horizont
"All Is Lost" bekam 2013 bei der Premiere auf dem Filmfestival in Cannes neunminütige Standing Ovations, vor allem wegen des irrwitzig rüstigen Robert Redford, der prompt als sicherer Kandidat für den Oscar als Bester Hauptdarsteller galt. Am Ende reichte es nicht mal für eine Nominierung. Der Oscar ging an Matthew McConaughey für "Dallas Buyers Club" - verdientermaßen.

Was aber nichts daran ändert, dass einem der größten Schauspieler seiner Generation immer noch die größte Anerkennung seiner Zunft fehlt. Seinen bislang einzigen regulären Oscar erhielt er 1981 nämlich für sein Debüt als Regisseur, "Eine ganz normale Familie". 2002 gab's dann noch einen Ehrenpreis für seine Leistungen rund um den Film, etwa die Etablierung des Sundance Film Festival.

Genau dort hatte Newcomer J. C. Chandor ihn 2011 bei der Welturaufführung von "Der große Crash" für sein neues Projekt "All Is Lost" gewonnen. Der alte Hase hatte trotz aller Strapazen offenbar so viel Spaß, dass er wenig später gleich noch ein Outdoorabenteuer nachlegte: In "Picknick mit Bären" wandert er mit Nick Nolte den 3500 Kilometer langen Appalachian Trail entlang. Chandor hingegen ließ seinem Einpersonenstück mitten im Ozean etwas völlig anderes folgen: "A Most Violent Year", ein fulminantes Ensemble-Epos im New York der 1980er.

Autoren: Volker Bleeck/Roland Kruse