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Katja Riemann und Andreas Schmidt über "Emma nach Mitternacht"

Warum Schauspieler so sensibel sind

Debüt für Katja Riemann: Die 52-Jährige spielt erstmals in einer TV-Reihe. Andreas Schmidt ist ihr Partner bei "Emma nach Mitternacht", das heute um 20.15 im Ersten startet

Sie tickt anders als andere. Steht mitten im Gespräch auf und bürstet ihr Kleid. Katja Riemann darf das. Wahrscheinlich braucht sie diese Impulsivität. Sonst wäre sie keine so gute Schauspielerin.

Man muss sich nur einmal einen Film wie "Das Wochenende" von 2013 ins Gedächtnis zuruckrufen. Fur ihre Rolle hätte Riemann eigentlich die dreifache Gage verlangen können, ist sie als die Exfreundin eines Terroristen doch all das zugleich: Hedonistin, Schmerzensfrau und Tussi zum Abtörnen.

Ähnlich facettenreich gestaltet die 52-Jährige die Titelfigur der neuen Reihe "Emma nach Mitternacht" (zwei Folgen pro Jahr, die zweite läuft im Juni). Zum Auftakt sieht man sie als Aussteigerin in Nordafrika, bevor sie mit nur einem Koffer in der Hand in einem deutschen Funkhaus steht, um ihren neuen Job als Radiopsychologin anzutreten. Ihr Chef, gespielt von Andreas Schmidt, spürt sofort, dass die Neue etwas Besonderes ist.

TV SPIELFILM Schauspieler beobachten gern andere Leute. Sie auch?

KATJA RIEMANN Ja, sehr gern, am liebsten würde ich manchmal einfach hinterhergehen und ihnen beim Leben zusehen. Leider ist es schwierig, ungehemmt zu starren, weil es entweder aufdringlich erscheint oder die Leute mich kennen.

TV SPIELFILM Als Radiopsychologin bekommen Sie in Ihrer Rolle ja auch allerlei seltsame Sätze zu hören. Würden Sie als Privatperson einer Psychologin im Rundfunk ihr Herz ausschütten?

ANDREAS SCHMID Bei einer wie Katja Riemann sofort!

KATJA RIEMANN Wir hinken in Europa ja generell mit der Psychotherapie hinterher. In den USA hat jeder seinen "shrink" (Slang für Therapeut). Es ist Usus zu sagen: My therapist says...

ANDREAS SCHMID Das sind Leute mit Geld, die sich das gönnen.

KATJA RIEMANN Bei uns gilt man gleich als verrückt, wenn man zum Therapeuten geht: "Ich habe das nicht nötig, ich brauche das nicht."

TV SPIELFILM Mit dem Therapeuten in der Zweisamkeit einer Sitzung reden ist das eine, seine Probleme in einer Radiosendung öffentlich zu machen das andere.

KATJA RIEMANN Das stimmt, aber es kann sich nun mal nicht jeder einen Therapeuten leisten, und dann ist das Radio besser, als gar nicht daruber zu reden und seine Probleme in sich hineinzufressen.

ANDREAS SCHMID Ich kann mir das für mich auch nur schwer vorstellen, aber es gibt bestimmt Situationen, wo das der einzige Ausweg ist.

TV SPIELFILM Der Radiomoderator muss aber, anders als ein Therapeut, auch die Hörer bei Laune halten. Geht das nicht zulasten der Hilfe?

ANDREAS SCHMID Das glaube ich nicht. Damit etwas wirkt, muss es mit Emotionen rüberkommen. Ich sehe keinen Gegensatz zwischen Unterhaltung fur das Publikum und Hilfe für den Anrufer.

TV SPIELFILM Frau Riemann, Sie lassen sich in Ihrer Rolle auf ein Spiel mit hohem Risiko ein.

KATJA RIEMANN Stimmt, Emma geht zu einem Geiselnehmer und versucht, die Situation
zu entschärfen.

TV SPIELFILM Ihre Figur zeigt keine Angst.

KATJA RIEMANN Nein, irgendjemand muss das ja machen. Aber Sie haben recht, es hätte auch schiefgehen können.

ANDREAS SCHMID Das fällt dir aber reichlich spät ein! (lacht)

TV SPIELFILM Emma hat ja auch nicht viel zu verlieren, sie führt eine Nomadenexistenz, ihre ganze Habe passt in einen Koffer.

KATJA RIEMANN Sie lebt am Rand der Gesellschaft. Die Eröffnungssequenz, die in Marrakesch gedreht wurde, zeigt sie als eine Außenseiterin, die lange fern von Deutschland gelebt hat und wohl viel auf Reisen war. Das hat ihren Blick auf die Beziehungen zwischen den Menschen geschult.

TV SPIELFILM Außenseiter haben oft den schärferen Blick. Sigmund Freud, Ernst Lubitsch, Theodor W. Adorno: alles Juden, die nicht aus der Mitte der Gesellschaft kamen.

KATJA RIEMANN Das sehe ich genauso.

TV SPIELFILM Verfügen Schauspieler über eine besondere Sensibilität, Menschen zu durchschauen?

ANDREAS SCHMID Aber wissen wir nicht alle nach zehn Sekunden, was für ein Mensch das ist, der da gerade zur Tür hereinkommt?

KATJA RIEMANN Ich glaube, die Art, wie wir als Schauspieler auf Menschen schauen, hat
schon etwas mit unserer Ausbildung und unserem Beruf zu tun. Der Blick des Schauspielers ist ja auch immer darauf gerichtet, ob es etwas an einer Person gibt, etwa eine Geste oder eine Art, die Stirn zu runzeln, die wir für eine Rolle benutzen können.

TV SPIELFILM Da müssen Sie aufpassen, dass Sie die Leute nicht permanent anstarren.

KATJA RIEMANN Stimmt, passiert trotzdem.

TV SPIELFILM Sehen Sie sich in der Tradition einer Serie wie "Bloch"?

KATJA RIEMANN Dieter Pfaff war ein großartiger Darsteller, aber ich sehe mich nicht in seiner oder irgendeiner Tradition. Man hat mir eine Rolle in einer TV-Reihe angeboten, und es ist das erste Mal, dass ich zugesagt habe, einen Charakter über mehrere Episoden zu spielen. Ich mag Emma, sie ist mir nah.

ANDREAS SCHMID Ich denke an die englische Serie "Cracker" mit Robbie Coltrane, die im ZDF unter dem Titel "Für alle Fälle Fitz" lief. Das ist eine abgründige Figur, die ihre eigenen Abgründe nutzt, um die Abgründe in anderen zu entdecken.

KATJA RIEMANN Ich fand "In Treatment" mit Gabriel Byrne klasse, und wenn es um Leute mit Macken geht, muss man natürlich auch die britische Serie "Sherlock" erwähnen. Benedict Cumberbatch ist sensationell.

TV SPIELFILM Internationale Serien oder deutsches Fernsehen, für was schlägt Ihr Herz?

ANDREAS SCHMID Wir haben in Deutschland seit der Aufklärung das Problem, dass es den Kulturschaffenden darum ging, die Leute zu erziehen. Unterhaltung war verpönt, von wenigen Ausnahmen wie Heinrich Heine oder Lion Feuchtwanger abgesehen. Und dann haben die Nazis die wenigen guten und meist jüdischen Geschichtenerzähler ins Exil getrieben. Davon haben wir uns bis heute nicht erholt. Unsere Storys haben oft kein internationales Niveau. Sie sind häufig belehrend statt unterhaltend.

KATJA RIEMANN Aber "Weissensee" ist für mich ein positives Beispiel, davon wünschte ich mir mehr.

ANDREAS SCHMID Ich finde, dass unsere Reihe in die richtige Richtung geht. Die Personen sind nicht sofort durchschaubar, das trägt hoffentlich zur Spannung bei.

TV SPIELFILM Wird es in künftigen Episoden auch ein Krimielement geben?

KATJA RIEMANN Wir wollen uns auf das psychologische Moment konzentrieren. Krimis können die anderen machen.

Emma nach Mitternacht
MI 18.5. Das Erste 20.15