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Interview mit James McAvoy

Das Tier in dir

Mal Shakespeare, mal Superheld, immer souverän: James McAvoy über den Spaß, im Kino jetzt mal die "Drecksau" (Filmstart: 17. Oktober) zu geben

Als Irvine Welshs Roman "Drecksau" in Britannien erschien, fühlte sich die Polizei so verunglimpft, dass sie eine einstweilige Verfügung zu erwirken versuchte. Vergebens. Jetzt schafft Welshs Anti-Derrick Bruce Robertson, ein drogenabhängiger, korrupter Hurenbock, sogar den Sprung ins Kino (Filmstart: 17. Oktober). Ein wahres Fest für Hauptdarsteller James McAvoy (34, "Abbitte"), der sich in die "faszinierende Figur Bruce" mit gewohnter Hingabe und sichtlichem Vergnügen verbeißt. Im Interview verrät der Schotte, warum wir alle Filmbösewichte so lieben - und warum er als Vollblut-Theaterschauspieler neben "Faust" auch Fun braucht, also Filmreihen wie "X-Men".

TV SPIELFILM: Der Roman, in dem unter anderem ein sprechender Bandwurm auftaucht, erscheint auf den ersten Blick fast unverfilmbar...
James McAvoy: "Drecksau" war schlicht das beste Drehbuch, das ich seit Jahren gelesen hatte. Da haben Sie diesen homophoben,
sexistischen, rassistischen, fanatischen Typen, der seine gerechte Strafe erfährt, indem er physisch auseinanderfällt. Im Buch funktioniert das, doch im Film braucht der Zuschauer jemanden, mit dem er sich identifizieren kann. Für den Film hat Jon (Drehbuchautor und Regisseur Baird) den physischen Verfall von Bruce deshalb in psychologische und existenzielle Probleme übersetzt. Seine Strafe im Film sind gebrochenes Herz und gebrochener Verstand. Das packt den Zuschauer viel unmittelbarer als die körperlichen Wehwehchen einer Filmfigur, Pusteln auf den Eiern oder irgendwas. Bruce juckt das Gehirn, nicht der Schwanz.

TV SPIELFILM: Sind Sie enttäuscht, dass Sie mit einem Darsteller anstatt mit einem animierten Bandwurm spielen mussten?
James McAvoy: (lacht) Nein, weil ich dafür ja mit Jim Broadbent zusammenarbeiten durfte, der einfach großartig ist. Er ist einer der furchtlosesten Schauspieler, mit denen ich je gearbeitet habe. Der Mut, mit dem er an die Sache geht, hat mich inspiriert.

TV SPIELFILM: Haben Sie den Roman vorher gelesen?
James McAvoy: Ich hatte schon einige Bücher von Irvine Welsh gelesen, aber "Drecksau" war nicht dabei. Ich weiß gar nicht, wieso. Aber er sagte zu mir, dass ich es nicht lesen soll, bevor der Film abgedreht ist. Das überraschte mich etwas, aber Irvine wollte es so. Ich sollte unbeeinflusst an die Rolle gehen und eine klare Vorstellung vom Drehbuch haben.

TV SPIELFILM: Gedreht haben Sie auch auf der Reeperbahn - wie war's?
James McAvoy: Hamburg war großartig. Es wurde eine Menge Bier getrunken. Auf der Reeperbahn geriet unsere Crew irgendwann in Panik, weil verschiedene Leute - keine Statisten, sondern echte Passanten - im Hintergrund im Bild waren. Und manche benahmen sich noch merkwürdiger als ich in meiner Rolle. Im Buch spielen diese Szenen übrigens in Amsterdam. Wir haben das verlegt.

TV SPIELFILM: Warum?
James McAvoy: Hamburg fühlt sich so ungeschliffen, so roh an. Amsterdam ist fast ein bisschen zu touristisch.

TV SPIELFILM: Der Rest von "Drecksau" spielt in Edinburgh, entstand aber weitgehend in in Ihrer Geburtsstadt Glasgow. Ein Heimspiel?
James McAvoy: Ja, ein Nachhausekommen. Ich war zum ersten Mal seit 2000 wieder längere Zeit daheim. Es war wunderbar. Dies ist mein schottisches Jahr: zuerst "Trance", dann Macbeth in London und schließlich "Drecksau" - alles schottisch. Schon weil Bruce Robertson wie ich Schotte ist, fühle ich mich ihm sehr verbunden.

TV SPIELFILM: Bruce ist ein ziemlich mieser Typ. Spielen Sie gern Antihelden?
James McAvoy: Wir alle lieben Bösewichte. Mit Richard III. oder Salieri in "Amadeus" kann sich Bruce natürlich nicht messen - er ist nicht halb so intelligent wie sie. Doch er ist ein machiavellischer Intrigant. Sich mit so einem zu identifizieren, das ist eine Art verbotenes Vergnügen für den Zuschauer: Da wird dir ein Fiesling serviert, der immerfort zu flüstern scheint: "Ich bin böse, ich bin so schrecklich, so grauenhaft, du hasst mich", und dann plötzlich blitzt in ihm diese andere, unerwartete Seite auf, die dich zu locken scheint: "Na los, komm schon, du fühlst ja doch etwas für mich, Mitleid? Womöglich gar Sympathie?" Mit dieser Zweischneidigkeit zu spielen, das macht ungeheuren Spaß.

TV SPIELFILM: Aber tief im Herzen ist Bruce ja eigentlich ein guter Mensch.
James McAvoy: Ich würde nicht sagen, dass er ein guter Mensch ist, sondern eher ein beschädigter. Er lebt schon so lange in einer Art Fantasiewelt, dass es schwierig ist, den richtigen Bruce zu finden. Im Verlauf des Films wird er immer normaler und schaut auf sich selbst. Und er merkt, dass außer einer Drecksau nicht mehr viel übrig geblieben ist. Er kann sein Leben nur selbst in die Hand nehmen.

TV SPIELFILM: Was liegt Ihnen mehr, das sehr physische Theater mit seinem direkten Kontakt zum Publikum oder der eher abstraktere Film?
James McAvoy: Ich würde lieber in einem schlechten Film mitspielen als in einem schlechten Theaterstück. Bei einem schlechten Film verdienst du mehr, und nach zwei Monaten bist du damit durch. Andererseits wäre ich lieber in einem guten Theaterstück als in einem guten Film. Als wir auf der Londoner Bühne "Macbeth" spielten, fielen im Publikum drei Menschen in Ohnmacht, so mitgenommen waren die. Ich habe noch nie erlebt, dass jemand im Kino in Ohnmacht fällt.

TV SPIELFILM: Ist es ein Kulturschock für Sie, nach "Drecksau" in Kanada den nächsten X-Men-Film zu drehen?
James McAvoy: Es ist Fun. Du kannst nicht immer nur "Hedda Gabler" oder "Faust" anschauen. Ich liebe Actionhelden! Ich liebe Sci-Fi! Und meinen letzten X-Men-Film -den hätte ich auch dann großartig gefunden, wenn ich nicht mitgespielt hätte.

TV SPIELFILM: Können Sie uns schon mehr zu Ihren nächsten Filmen "X-Men: Zukunft ist Vergangenheit" und "Frankenstein" verraten?
James McAvoy: "X-Men" wird episch und der größte "X-Men"-Film bisher. Letzten Monat haben wir in Montreal die Dreharbeiten beendet. Der Cast ist außergewöhnlich: Jennifer Lawrence, Nicholas Hoult, Hugh Jackman, Michael Fassbender und auch die "X-Men"-Veteranen Patrick Stewart, Ian McKellen, Halle Berry - sie ist unglaublich. Wir hatten einen gebauten Sentinel-Roboter am Set, damit wir besser agieren konnten und es nicht so aussieht, als würden wir vor irgendetwas Angst haben, was gar nicht wirklich da ist. "Frankenstein" befindet sich momentan in der Vorbereitung, es gibt auch schon ein Drehbuch. Die Geschichte handelt natürlich von Igor und Dr. Viktor von Frankenstein, die wie Brüder waren und sich gegenseitig geholfen haben. Ich rette Igor aus seinem unglaublich schweren Leben und er mich von meinen Gedanken, meinem Wahnsinn.

Interview: Michael Mutz & Janosch Leuffen