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Interview mit Birgit Schrowange

"Mit 20 war ich die ärmste Sau auf der Welt"

Michael Scholten spicht mit der RTL-Veteranin Birgit Schrowange über 20 Jahre "Extra" und ihre geheimen TV-Wünsche mit Harald Schmidt

Betrug an der Waschmaschine, Aushebung eines Pädophilenrings oder ein biederer Familienbetrieb, der sich auf die manuelle Herstellung von Holzdildos spezialisiert hat: Das RTL-Magazin EXTRA ist seit 20 Jahren eine televisionäre Wundertüte. Moderiert wird sie seit der ersten Sendung von Birgit Schrowange. Wie sich die gebürtige Sauerländerin von der Kölner Rechtsanwaltsgehilfin über die Mainzer ZDF-Ansagerin zur Kölner RTL-Moderatorin mauserte, beschreibt sie in ihrem jüngst erschienenen Buch "Es darf ein bisschen mehr sein!" (Nymphenburger Verlag). TV SPIELFILM befragte sie zur Jubiläumssendung von EXTRA (Montag, 27. Oktober, 20.15 Uhr) und ihrem eigenen, weniger fröhlichen 20. Geburtstag anno 1978.

Das Magazin EXTRA hat in 20 Jahren so manchen Lebensmittel- und Handwerkerskandal aufgedeckt. Wie haben diese Erkenntnisse Ihren eigenen Alltag verändert?


Birgit Schrowange: Ich kaufe kein abgepacktes Fleisch im Supermarkt, seit wir aufgedeckt haben, dass es teilweise umetikettiert wird, wenn das Mindesthaltbarkeitsdatum erreicht ist. Ich kaufe immer nur beim guten Metzger um die Ecke oder im Bioladen. Biofleisch ist zwar teurer, aber ich muss auch nicht jeden Tag Fleisch essen. Und am Flughafen verliere ich gern mal Zeit, weil ich bei der Sicherheitskontrolle meine Schnürschuhe aus- und wieder anziehen muss. Das hat mir wohl auch das Experiment eingebrockt, bei dem unser Reporter Burkhard Kress kurz nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in seinen Schuhen Waffen an Bord eines Flugzeuges geschmuggelt hat.
Den Deutschen Fernsehpreis hat EXTRA für diese Experimente nie erhalten.

Vermutlich guckt die Jury das nicht. Ein Preis für EXTRA wäre längst überfällig, denn wir haben sehr gute Journalisten und das richtige Gespür für Themen. Wir sind aber stolz, dass das "Team Wallraff", das ja aus EXTRA hervorgegangen ist, im Oktober den Deutschen Fernsehpreis bekommen hat. Und die EXTRA-Reportage "Angst vor den neuen Nachbarn" von Düzen Tekkal und Redaktionsleiter Jan Rasmus zum Thema Integration von Ausländern hat 2010 den Bayerischen Fernsehpreis erhalten. Wir haben uns immer schon viel getraut. Ich finde es unfair wenn Kollegen von den öffentlich-rechtlichen Sendern ein bisschen süffisant auf uns herabblicken. Ich kenne ja beide Seiten und muss sagen: Die Öffentlich-Rechtlichen könnten manches von dem, was RTL leistet, in so kurzer Zeit nicht auf die Beine stellen. Die Vorverurteilung der privaten Sender ist falsch. Das regt mich auf. Wir haben mal eine sensationelle Reportage eingekauft und bei RTL gesendet, wo sie sofort schlechte Kritiken bekam. Hätte die ARD dieselbe Reportage gekauft und gesendet, hätten die Kritiker gejubelt.

Erinnern Sie sich noch an die erste Ausgabe von EXTRA?

Ja, alles war sehr düster, nach dem Motto: "Die Welt ist schlecht." Das war von RTL so gewünscht, und entsprechend habe ich das auch moderiert. Ich stand da im dunklen Hosenanzug, schaute streng in die Kamera und habe düstere Themen angekündigt. Heute sind wir eine große Wundertüte, mit Reportagen, Tests mit der versteckten Kamera, aber auch mit unterhaltsamen Stücken zum Schmunzeln.

Auf welche Themen aus 20 Jahren sind Sie privat besonders oft angesprochen worden?


Vor allem auf die Tricks einiger Handwerker, die ihre Kunden betrügen und die wir mit versteckter Kamera überführt haben. Aber auch auf die Schicksalsthemen über Waisenhäuser in Rumänien oder China. Wir berichten regelmäßig über Kinderarmut, weil wir auch in Europa in einer Zwei-Klassen-Gesellschaft leben. Es gibt reiche Kinder und arme Kinder. Die Schere klafft immer weiter auseinander. Aber ich werde auch noch oft auf skurrile Sexthemen angesprochen, die wir seit Jahren gar nicht mehr in der Sendung haben. In den Köpfen der Leute hat sich zum Beispiel diese Familie aus dem Odenwald festgesetzt, die ihren Lebensunterhalt verdient, indem sie Dildos schnitzt. Das ist eine spießig-brave Familie, die sonntags in die Kirche geht und eine Schreinerei hat. Dort schnitzten alle, von der Enkeltochter bis zur Oma, Dildos.

Haben Sie davon noch welche im EXTRA-Studio deponiert?

Ich schau mal gerade... Nein. Aber außer meinem Pult und einigen Kameras gibt es eh nichts im Studio. Wir nennen es "Die grüne Hölle" und nutzen es nicht nur für EXTRA, sondern auch für "Punkt 12", "Punkt 6", "Explosiv" und "Exklusiv". Da stehe ich dann ganz allein inmitten grüner Wände. Nicht mal hinter den Kameras stehen Menschen, die Kameras bewegen sich automatisch auf mich zu.

Warum wird EXTRA eigentlich live gesendet?

Weil wir die Beiträge noch bis kurz vor der Sendung umschneiden und aktualisieren oder den Aufbau der Sendung ändern. Wir ruhen uns nie aus, was der Zuschauer dadurch belohnt, dass wir nach wie vor gute Quoten haben. Unsere Reporter gehen an ihre Grenzen. Burkhard Kress hat eine Zwangsprostituierte gerettet und einen deutschen Pädophilen überführt, der Jahre lang Kinder und Jugendliche missbraucht hat. Jenke von Wilmsdorf hat sich auf ein Flüchtlingsboot geschmuggelt, war in Tschernobyl und in Fukushima. Ich bewundere die Kollegen dafür, dass sie sich das traut. Ich würde das nicht machen, weil mir mein Leben viel zu lieb ist. Ich habe meinem Sohn ja ohnehin versprochen, dass ich 100 Jahre alt werde. (lacht)

Will das Mütterliche in Ihnen manchmal auch die Reporter in Köln behalten?

Bei manchen Einsätzen reist natürlich das Risiko mit, obwohl alles gut vorbereitet ist. Jenke von Wilmsdorff macht das mit Herzblut. Ich kenne ihn seit 20 Jahren. Er ist ja gelernter Schauspieler. In meiner damaligen Sendung "Life - total verrückt" hat Jenke als Lockvogel Leute reingelegt. Er wollte aber immer vom Theater in den investigativen Journalismus wechseln. Umso mehr habe ich mich gefreut, als er dann zum EXTRA-Team kam.

EXTRA hat in 20 Jahren Beiträge aus circa 100 Ländern gezeigt. Sieht der Zuschauer lieber die große weite Welt oder die Themen vor seiner eigenen Haustür?

Der Nutzwert ist natürlich am größten, wenn zum Beispiel heimische Handwerker getestet werden. Aber das Schicksal von Kriegsflüchtlingen oder Kindern in armen Ländern bewegt die Zuschauer. Sie bekommen auch Fernweh, wenn sie unseren Auswanderer Konny Reimann in Texas sehen. Der Besuch bei den Reimanns war auch eines meiner persönlichen Highlights bei den Reportagen, für die ich selbst verreist bin. Ich finde es bewundernswert, mit welcher Naivität sich Konny Reimann seinen Lebenstraum in den USA erfüllt hat.

Träumen Sie selbst manchmal vom Auswandern?

Wenn ich jünger wäre, würde ich auf jeden Fall ein Jahr im Ausland leben wollen. Ich bedaure rückblickend sehr, dass ich das nie getan habe. Ich hatte mal einen Freund in New York, da bin ich fünf Jahre lang hin und her gependelt. Aber das ist nicht das gleiche. Wenn ich jünger wäre, würde ich ein bis zwei Jahre in meiner absoluten Lieblingsstadt New York leben wollen. Ich fühle mich dort sehr wohl. Und Kapstadt wäre meine zweite Wahl.

Hat Ihr Heimatort Nehden auch das Zeug zum Sehnsuchtsort für irgendjemanden?

Bestimmt! Das Sauerland ist sehr schön, sehr waldreich, hat gute Luft und gutes Essen, wenig Menschen und wenig Autos. Ich könnte dort nicht mehr dauerhaft leben. Aber ich bin gern zu Besuch dort. Ein Wochenendhäuschen im Sauerland wäre schön, aber ich habe keins. Vielleicht kommt das noch.

Mit 19 Jahren haben Sie Ihr Elternhaus in Nehden verlassen und sind nach Köln gezogen. Wie haben Sie dort Ihren 20. Geburtstag gefeiert?

Gar nicht. Ich hatte kein Geld und kannte auch niemanden in Köln. Mit 20 war ich die ärmste Sau auf der Welt. Ich hatte mitten in Köln ein zwölf Quadratmeter kleines Zimmer unterm Dach. Das passten gerade mal ein Bett, ein Schrank und ein Waschbecken rein, statt Fenster gab es eine Luke. Das Klo war eine Etage tiefer, ich musste es mit zwölf anderen Wohnungen teilen. Die Dusche war im Keller, hatte nur kaltes Wasser und war ständig besetzt. Ich bin zum Duschen immer ins Hallenbad gegangen. Fünf Jahre habe ich so gewohnt, aber ich hatte ja ein Ziel vor Augen und habe jede Mark, die ich als Stenokontoristin oder Sekretärin verdiente, in Sprechunterricht und Schauspielunterricht investiert.

Welchen Stellenwert hatten in den 80er und 90er Jahren die Ansagerinnen im ZDF?

Sie waren große Stars. Überall wurde man eingeladen und hofiert. Wenn ich "Wetten, dass..?" ansagte, hat die Hälfte der Nation zugeschaut. Ich war in dieser Zeit ständig auf Titelblättern und oft in der Bild-Zeitung. Ich war sehr bekannt, aber auch arm. Die Leute haben immer gedacht, ich hätte Geld ohne Ende, aber verdient habe ich da so gut wie nichts.

Sind Sie pauschal pro Monat oder pro Ansage bezahlt worden?

Ich wurde pro Tag bezahlt. Das waren immer zehn Stunden pro Frühschicht oder Abendschicht. Die Frühschicht ging von 6 bis 16 Uhr und die Spätschicht von 16 bis 2 Uhr nachts. Danach war das Programm zu Ende. Für eine Schicht habe ich 160 Mark bekommen. Aber damit musste ich auch mein Zimmer in Mainz und die Fahrkosten bezahlen, außerdem Kleidung kaufen. Da blieb nicht viel übrig. Also habe ich auch Rundfunk gemacht und Messen moderiert.

Durften Sie Ihre Kleider zumindest von der Steuer absetzen?

Nein. Das Finanzamt war der Meinung, ich könnte die Kleider ja auch privat tragen. Aber privat setze ich mich nicht mit so einem Fummel ins Restaurant. Und die Abendkleider, die ich für die Moderation von ZDF-Gala brauchte, wollte ich auch nie zu Hause am Frühstückstisch tragen.

Bundesweite Schlagzeilen waren Ihnen und Ihrer ARD-Kollegin Petra Schürmann sicher, als sie am selben Tag auf zwei Programmen das gleiche schwarze Kleid mit großem gelbem Fisch trugen. War das Zufall oder eine textile Intrige?

Petra Schürmann war mein Vorbild, und ich war ganz stolz, als ich sie später kennenlernte und wir Freundinnen wurden. Sie war völlig neidfrei und nett, was nicht für alle Frauen in der Branche selbstverständlich ist. Wir haben die besagten Kleider zusammen gekauft. Sie wusste nicht, wann ich das anziehe, und ich wusste nicht, wann sie es anzieht. Irgendwann ist sie für eine Kollegin eingesprungen und hat zu diesem Kleid gegriffen, das ich zeitgleich im ZDF trug. Aber als Ansagerin musste man damals eh nur einen Pups lassen, dann stand das gleich in der Zeitung.

Mussten Sie sich jede Sendung anschauen, die Sie ansagten?

Vieles, aber manchmal auch nur die Trailer von Serien oder Filmen. Dann haben wir unsere Texte selbst geschrieben. An jedem Abend gab es auch die Rubrik "ZDF - Ihr Programm". Das waren zwölf Minuten. Die mussten wir füllen, manchmal hatten wir Interviewgäste da. Wenn abends "Wetten, dass..?" lief, war der Moderator da, ich hatte auch mal Steffi Graf zu Gast oder Armin Müller-Stahl und Gudrun Landgrebe.

Den typischen festangestellten Kameramann im Mainzer Studio stelle ich mir recht bodenständig vor. Wie war das Verhältnis zwischen denen und den rausgeputzten Ansagerinnen?

Sehr gut. Wir haben in den Pausen zusammengesessen und Karten gespielt oder "Schwarzwaldklinik" geschaut. Ich bin ein Kumpeltyp, habe fast immer ein gutes Verhältnis zu Mitarbeitern im Studio. Manchmal gehe ich denen auch auf die Nerven, weil ich gern und oft singe. Einer meiner Lieblingskameramänner beim ZDF war Jean-Pierre aus Frankreich. Mit ihm habe ich später auch bei RTL gearbeitet.

Gab es ein festes Studio für die Ansagerinnen?

Ja, und als wir das neue Sendezentrum auf dem Lerchenberg bekamen, habe ich mich anfangs ein paar Mal verlaufen, weil die Flure rund sind und alle gleich aussehen. Ich habe mich geschämt, andere zu fragen: "Wo ist denn das Studio?" So erreichte ich manchmal nass geschwitzt mein Ziel, ließ mich in den Stuhl fallen, und dann ging es auch schon los.

Vermissen Sie die Ansagerinnen im heutigen Fernsehen?

Ja - und nicht nur ich. Ansagerinnen waren eine persönliche Verbindung zwischen Zuschauer und Programm. Heute werden die Trailer immer schneller. Das ist sicherlich gut für junge Zuschauer, aber die älteren Zuschauer freuten sich auf diese gute Bekannte, die immer wieder im Programm auftauchte und Tipps gab. Sogar RTL hatte in den Anfangsjahren Ansagerinnen. Das wäre dort aber nichts für mich gewesen, ich wollte mich ja weiterentwickeln.

Hat das ZDF Ihnen den Wechsel zu RTL übelgenommen?

Nein. Die laden mich immer noch gern ein. Ich war in der ZDF-Jubiläumssendung zum 50. Geburtstag, habe im "Fernsehgarten" mit meiner Freundin Isabell Varell gesungen und war auch mal Gast bei "Wetten, dass..?" mit Thomas Gottschalk. Da saß ich neben Sophia Loren und habe sie ganz fasziniert angeguckt. Sie war so braun, trug eine Perücke und wirkte fast wie eine Kunstfigur.

Und warum lädt Günther Jauch Sie nicht zum Promi-Spezial von "Wer wird Millionär?" ein?

Ich weiß es nicht. Frauke Ludowig und Katja Burkard sind auch noch nicht angefragt worden. Offenbar will RTL lieber Prominente, die nicht für RTL stehen. Das kann ich aber irgendwie auch verstehen. Wolfgang Bosbach fand ich bei "Wer wird Millionär?" ganz toll. Den mag ich gern. Er kommt ja auch aus dem Rheinland. Als wir uns bei einem Event trafen, fragte er mich, ob er die Einladung zu "Wer wird Millionär?" annehmen sollte. Ich meinte nur: "Natürlich, Herr Bosbach, da gehen Sie hin und rocken die Sendung!" Das hat er dann ja auch gemacht.

Haben Sie noch unerfüllte Fernseh-Wünsche?

Ich möchte aufs "Traumschiff". Das habe ich Wolfgang Rademann schon so mitgeteilt, auch als ich bei "Inas Nacht" war. Danach habe ich eine E-Mail von ihm bekommen. Herr Rademann schrieb, er hätte sich gefreut und hätte schmunzeln müssen. Wenn er eine Rolle findet, die zu mir passt, würde er mich einladen. Aber wie lange soll ich noch warten? Ich werde nicht jünger.

Für welche Rolle bringen Sie sich ins Gespräch?

Ich würde gern Harald Schmidts Frau spielen. Wir kennen uns schon ewig und würden gut zusammenpassen. Harald Schmidt spielt auf dem "Traumschiff" ja da den Eintänzer. Ich könnte als eifersüchtige Ehefrau aufs Schiff kommen und ihm eine Szene machen, weil er mit anderen Frauen flirtet.

Und dann betrügen Sie ihn mit dem neuen Kapitän Sascha Hehn?

Genau.

Michael Scholten