ZDF

Szene aus "Ein dorf rockt ab" mit der Musik von Andy Groll

Drums wie Maschinengewehrsalven, E-Gitarren, die wie erkältete Kettensägen klingen. Dazu eine monströse Stimme, die Unverständliches brüllt. So manchem ZDF-Zuschauer dürfte vor Schreck der Kamillentee übergeschwappt sein, als ihm Mitte Mai "Ein Dorf rockt ab" zur besten Sendezeit Metal- Sounds um die Ohren haute. Auf dem Bildschirm sah man dazu tätowierte Gestalten Gitarren würgen.

In Wirklichkeit stammte die Musik von Andy Groll, einem freundlichen Mittvierziger mit Kurzhaarschnitt, der für Beethoven schwärmt und filigranen Songwriter-Folk singt - wenn er gerade mal keine Musik fürs Fernsehen schreibt. "Das war nur die Lightversion. Meine erste Fassung war dem ZDF zu heavy", erzählt Groll von seinem ersten Ausflug in die Metallabteilung.

Im Studio in seiner Berliner Altbauwohnung entstand schon Musik zu so unterschiedlichen Produktionen wie "Tatort", "Inga Lindström" und "Die Akte Golgatha". Mal schreibt er opulente Orchester- Scores, dann wieder Irish-Folk-Gefiedel oder auch mal einen Zwanzigerjahre-Schlager. "Als Filmkomponist muss man musikalischer Allrounder sein. Je mehr Instrumente und Stile man beherrscht, desto besser."

In Grolls Studio steht ein Arsenal an Zupfinstrumenten: Banjo, Mandoline, Western- und Konzertgitarren. Ein Großteil seines Instrumentariums ist allerdings rein digital: Softwaresynthesizer, gesampelte Drums und Klaviere. In einem kleinen Extrarechner unter dem Tisch steckt ein komplettes Symphonieorchester. Mit "Cubase", einer Studiosoftware mit virtuellem Mehrspurband, mixt er Instrumentenstimmen, Effekte und Filmbilder zusammen.

Musikalische Diplomatie ist gefragt

Wünscht sich Groll für eine Szene doch mal ein echtes Cello, bezahlt er den Gastmusiker aus eigener Tasche. Filmkomponisten bekommen pro Auftrag eine Pauschale, die in Deutschland etwa einem Prozent des Produktionsbudgets entspricht. Bei einem TV-Film sind das circa 15 000 Euro. Für dieses Honorar müssen sie ein Komplettpaket abliefern: einen perfekt eingespielten, professionell abgemischten und fertig gemasterten Soundtrack. Je mehr man selbst macht, desto mehr bleibt in der Kasse. "Meist ist es ein recht einsamer Job, aber ich mag diese Arbeitsweise", erzählt Andy Groll.

Vier bis sechs Wochen Zeit hat er in der Regel für einen neunzigminütigen TV-Film. Das schafft nur, wer das musikalische Handwerk souverän beherrscht. Groll wollte Filmkomponist werden, seit ihm mit sieben Jahren John Williams' "Star Wars"-Fanfare das Kinoerlebnis seines Lebens bescherte. Das Plakat zu "Rückkehr der Jedi-Ritter" hängt bei ihm zwischen E-Gitarren an der Wand. Er studierte klassisches Klavier, Komposition und Filmmusik, spielte nebenbei in Rockbands. Seit fünfzehn Jahren lebt er von der Filmmusik.

Dazu bedarf es auch der Fähigkeit zu musikalischer Diplomatie. Gerade Fernsehredakteure haben zuweilen sehr genaue Vorstellungen davon, welche Art Musik das Publikum erwartet. Schlimmstenfalls ist ein Film bereits mit "Temp Tracks" unterlegt: Musik aus anderen Filmen und der Vorgabe, "bitte etwas in dieser Art" abzuliefern. Kein Wunder, dass im Fernsehen Filmmusik oft etwas stereotyp eingesetzt wird.

Groll zieht die Kitschbremse

Ein Erfolgsgeheimnis von Andy Groll besteht darin, dass er innerhalb der Grenzen, die Genres, Regisseure und Sender setzen, immer wieder Eigenständiges hervorbringt. "Statt gezupfter Streicher, wie sie für Komödien erwartet werden, wähle ich dann Banjo oder Mandoline. Das verleiht einem etwas abgenutzten Effekt eine frische Färbung." Und statt das ZDF-Herzkino wie sonst üblich in Streicher-Dur zu baden, zog er bei seinem ersten Score für einen Inga-Lindström-Film mit fluffigen Gitarren die Kitschbremse. Zufall, dass "Liebesreigen in Samlund" gleichzeitig der erste Film der Reihe war, der in dieser Zeitschrift die Höchstwertung bekam?

Gern würde Andy Groll mal die Musik zu einem komplexen Sci-Fi-Film wie "Inception" kompo- nieren. Oder zu einer Serie wie "Battlestar Galactica". Eine Karriere in Hollywood hat er trotzdem nie angestrebt: Dort wäre ihm der Druck zu groß. Als Nächstes darum ein zweiter Inga-Lindström-Film und danach eine Sat.1-Komödie - garantiert ohne gezupfte Streicher.
Autor: Christian Holst