Mit Wow-Effekten kennt sie sich aus. Als Cara Delevingne Ende Mai auf den Filmfestspielen in Cannes ihren Kopf ebenso stolz wie kahl rasiert über die Croisette trug, geriet das Festivalprogramm mal eben zur Nebensache. Natürlich war das Topmodel letztlich nicht nur an die Cote d'Azur gereist, um eine Eismarke zu promoten, was sie tat. Die schräge Schöne ist auch Schauspielerin und für Filmemacher ein Gewinn. Kürzlich zu sehen in Luc Bessons Sci-Fi-
Abenteuer "Valerian - Die Stadt der tausend Planeten" , wo die 24-jährige Britin mit leicht gewelltem Extra Long Bob als Weltraumagentin auf Augenhöhe mit Dane DeHaan ("Chronicle") agiert.

Als Inspiration für ihre actiongetriebene Performance zieht sie im Interview Uma Thurman in "Kill Bill" heran "und Sigourney Weaver in ‚Alien‘ und Milla Jovovich in ‚Das fünfte Element‘". Tatsächlich aber hat die emanzipierte Superheldin im Film wohl am meisten von ihrer Darstellerin selbst, die dank ihrer unverwechselbaren Art zum gefragtesten Model unserer Zeit aufstieg und nun den Sprung auf die große Leinwand meistert.
Wer ist dieses Mädchen, das mit Grandezza auf Karl Lagerfelds Chanel-Show defiliert, um kurz darauf mit Wollmütze albern in jede Paparazzi-Kamera zu grimassieren? Es begann 2012, als auf den Fashionshows plötzlich alle ganz verrückt nach ei- nem neuen Gesicht waren: Cara Jocelyn Delevingne wird das Gesicht der damaligen DKNY-Kampagne, läuft für Fendi, Stella McCartney und bald alle wichtigen Modedesigner. Shootings für H & M und Zara erweitern ihren Bekanntheitsgrad rasch in Rich tung Popstar international. "Sie ist die neue Kate Moss", sagt Modefotograf Mario Testino, als sie vom Modelvorbild die britischste aller Marken übertragen bekommt: Burberry.

Es liegt in der Familie

Eine vor Lebensfreude übersprühende Rebellin, aber auch von gutem Benimm und Eleganz. Die Londonerin ist speziell, und das kommt nicht von ungefähr: Im Gegensatz zu Kate Moss, die es aus kleinen Verhältnissen an die Spitze des öffentlichen Interesses geschafft hat, ist ihr vieles in die Wiege gelegt. Tatsächlich zählt der Delevingne-Clan zu Londons High Society. Mit besten Verbindungen ins Königshaus - und mit Angehörigen, die für Schlagzeilen sorgten. Zuletzt Mutter Pandora, ein It-Girl der Achtziger.

Ein bunter Vogel war auch Caras Großvater, von dem sie mehr als ihren zweiten Vornamen geerbt hat. Sir Jocelyn Stevens erregte Aufmerksamkeit im Dunstkreis von Prinzessin Margaret, bevor es der Gentleman mit Kaufhauserbin Vivien Duffield (Self- ridges) krachen ließ: Den Einstieg in die Welt der High Fashion ebnete ihr Schwester Poppy, sechs Jahre älter, Marc- Jacobs-Muse und von den Maßen her viel mehr Model als Cara, weil größer und im Ausdruck konventioneller. Dass die gerade mal 1,73 Meter kleine Cara diesen und andere vermeintliche Makel kurzerhand und selbstbewusst zum Must- have deklariert, verleiht ihr einen exklusiven Sonderstatus in der Branche - und macht sie zum Role Model für eine neue Generation von Frauen. Es begann mit den dunklen, dicken Augenbrauen, ihrem Markenzeichen. Inzwischen ist alles, was Cara tut, trägt oder postet irgendwie cool und edgy. So gilt es unter jungen Frauen plötzlich als chic, Feministin zu sein. Und ihre Glatze, bei Britney Spears noch Ausdruck psychischer Störung, ist auf dem Weg zum Styletrend der Saison.

Mehr als 30 Millionen Fans folgen der Schönen auf Instagram, wo sie getreu ihrem Motto "Embrace Your Weirdness" (dt.: "Umarme deine Verrücktheit") ein eindrucksvolles Repertoire ihrer mimischen Vielfalt präsentiert - neben Fashionfotos und Selfies ihrer Clique, zu der neben "BFF" Kendall Jenner die Models Gigi Hadid, Karlie Kloss und Popstar Taylor Swift gehören.
Ihre Augenbrauen, aber auch Caras Beine und ihr Thigh Gap, eine sichtbare Lücke zwischen den Oberschenkeln, haben eigene von Fans betriebene Social-Media-Accounts, was die Meisterin der Selbstinszenierung amüsiert zur Kenntnis nimmt. Privatsphäre scheint in ihrem Vokabular jedenfalls nicht vorzukommen: Offenherzig berichtet sie über depressive Phasen - ja, hat sie auch! - oder schwärmt von ihrer lesbischen Liaison mit US- Musikerin Annie Clark aka St.Vincent, die mittlerweile beendet ist.

Nach ihrer ersten Hauptrolle in der Verfilmung des John-Green-Romans "Margos Spuren" gab Cara Delevingne bekannt, dass auch ihre Modelkarriere bald passé sein soll. Ein Modemädchen bleibt sie trotzdem, erste Kollektionen für Mulberry und DKNY hat sie bereits entworfen. Nach und nach kommt ein geradezu universelles künstlerisches Talent zum Vorschein. Die Umtriebige schreibt Songs, spielt Schlagzeug und hat schon zwei Alben aufgenommen. Ein Plattendeal scheiterte nur, weil sie einen Künstlernamen partout ablehnte.

Ihren eigenen hat sie markenrechtlich schützen lassen. Unter dem soll im Oktober ein erster Roman erscheinen, wie sie in einem Post auf Instagram angekündigt hat. Demnach ist "Spieglein, Spieglein" eine Coming-of-Age-Story über eine Gruppe Teenager, "die versuchen, im Minenfeld von Schule und Beziehungen herauszufinden, wer sie sind".
Klingt ziemlich autobiografisch und filmreif.

Ihr aktueller Glatzen-Look basiert auf einer Filmrolle. Im Drama"Life in a Year" spielt Delevingne eine Todkranke, deren Freund sich vorgenommen hat, ihr ein "ganzes Leben" innerhalb eines Jahres zu schenken. Mit der Frisur will sie aber nicht nur der Rolle entsprechen, sondern ein Zeichen setzen, gegen den Schönheitswahn. "Ich möchte mir den Kopf tätowieren lassen, bevor mein Haar wieder wächst." Es wäre ihr 21. Tattoo.
Autor: Heiko Schulze