Nein, das konnte keine so wie sie. Wedelte energisch mit der Hand, als wolle sie eine lästige Fliege verscheuchen, spitzte hanseatisch st-eif die Lippen, schob ihren Bühnenpartner energisch Richtung Kulissentür und säuselte mit schnippischem Unterton: "Tschühüss!" Meist hatte der Bühnenautor ihrem Gegenüber eine Replik ins Manuskript geschrieben, die vorsah, dass er sich trotzdem noch nicht trollte. Dann wurde der Unterton deutlicher und das "Tschühüss" mächtig scharf gezischelt. Bis sie die Bühne für sich allein hatte, und das Publikum auch diese Szene mit donnerndem Applaus belohnte.

Heidi Bertha Auguste Kabel, geboren am 27. August 1914 in Hamburg, war eine Volksschauspielerin, wie es sie heute kaum mehr gibt. Eine Bezeichnung, die sie übrigens "als Adelsprädikat" empfand. Dabei war sie keine Frau zum Anfassen. Dass begeisterte Fans sie berühren oder gar umarmen wollten, war ihr, so sagte sie selbst "zutiefst zuwider". Ein patenter Kumpeltyp wie ihr Kölner Kollege Willy Millowitsch (1909 - 1999), der das Bad in der Menge genoss und brauchte, ist sie nie gewesen. Auch darin war Kabel Hanseatin durch und durch.

Ihre berufliche Heimat hatte sie unglaubliche 66 Jahre lang auf der Bühne des Hamburger "Ohnsorg-Theaters", ihre Schauspielkarriere währte gar 75 Jahre. Das "Ohnsorg" ohne Heidi Kabel - für viele Hamburger jahrzehntelang undenkbar. Hier spielte sie Stücke wie "Tratsch im Treppenhaus", in dem sie neben dem unvergessenen Henry Vahl als vorlaute Klatschbase brillierte, oder "Manda Voss ward 106", in dem sie die krakeelig resolute Alte gab. Mehr als 200 Stücke spielte sie am "Ohnsorg", alle auf Plattdeutsch.

Doch es war das Fernsehen, das sie weit über Hamburgs Grenzen hinaus bekannt machte. 1954 wurde die erste Aufzeichnung aus dem "Ohnsorg Theater" gesendet (auf "missingsch", einer Art verhochdeutschtem Platt), später hatte sie Gastauftritte in "Tatort", "Großstadtrevier" und "Heimatgeschichten" und wirkte in diversen Fernsehspielen und TV-Serien mit.
Anfang der 1990er Jahre erlangte sie gemeinsam mit Erni Singerl Kultstatus in der TV-Serie "Heidi und Erni", in der die Hamburger Deern und ihre nicht minder resolute bayerische Kollegin Witwen spielen, die mit dem selben Mann verheiratet waren - was sie erst nach dessen Tod erfahren.

Am Sylvesterabend 1998 zog sich Heidi Kabel, 84jährig, ins Privatleben zurück. Zwei Jahre später nahm sie den Song auf "Ich bin die Oma aus dem Internet", der bei "youtube" zu sehen ist. Detlev Buck gelang es, die hochbetagte Seniorin im Jahr 2007 noch einmal vor die Kamera zu holen. Im Kinofilm "Hände weg, von Mississippi" sieht der aufmerksame Zuschauer, was ihre Familie (drei Kinder, zahlreiche Enkel und Urenkel) in den letzten Jahren nicht verheimlich hat: Heidi Kabel, die seit 2003 in einem Hamburger Seniorenstift lebte, litt an Altersdemenz.

Jetzt ist sie dort, mit 95 Jahren, gestorben. "Ohnsorg"-Intendant Christian Seeler bestätigt: "Sie ist friedlich eingeschlafen".

Nicht nur in Hamburg sagt man heute: "Tschüss, Heidi Kabel."

Susanne Sturm

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