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Zerbricht Boris Becker an seiner Haftstrafe?

Boris Bekcer
Zerbricht Boris Becker an seiner Haftstrafe? imago images / Hasenkopf

In London wurde nun das Urteil verkündet: Der ehemalige Weltranglistenerster im Tennis wurde schuldig gesprochen und muss für 2 1/2 Jahre ins Gefängnis.

Es war zweifellos der schwärzeste Tag im Leben von Boris Becker (54). Der frühere Tennisstar, jahrzehntelang ein Nationalheld, muss hinter Gitter. Ein Gericht in London verurteilte ihn am Freitag wegen mehrerer Insolvenzstraftaten zu zweieinhalb Jahren Haft. Anfang April hatte eine Jury Becker in 4 von 24 Anklagepunkten schuldig gesprochen. Der dreifache Wimbledon-Sieger wurde sofort in Gewahrsam genommen, er kann noch Rechtsmittel gegen das Urteil einlegen.

Der Journalist und Autor Christian Schommers hat 2013 mit Becker dessen aufsehenerregende Biografie "Das Leben ist kein Spiel" geschrieben und ihn lange begleitet. Im Gespräch mit BUNTE.de erklärt er, was das Urteil für die Tennislegende bedeutet.

BUNTE.de: Zweieinhalb Jahre Haft für Boris Becker – was sagen Sie zu diesem Strafmaß?

Christian Schommers: Das ist natürlich ein absolutes Hammerurteil, der Mega-Gau. Das Unvorstellbare ist eingetreten: Unsere deutsche Tennislegende muss in Haft. Er ist zu zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt worden, erst nach der Hälfte kann er laut Richterin auf Bewährung freikommen. Das ist an Dramatik für ihn und auch seine Familie – die Kinder, die Lebensgefährtin Lilian und auch seine Mutter – nicht zu überbieten. Er kann zwar Rechtsmittel einlegen, aber so, wie ich es von englischen und auch deutschen Juristen gehört habe, scheint das eher schwierig zu werden.

Boris Becker hatte während des Strafverfahrens mehrfach betont, dass er zuversichtlich sei. Es sei eine ernste Situation, er sei aber ein grundoptimistischer Mensch, glaube an das englische Rechtssystem – war er naiv?

Er ist nicht nur naiv gewesen, sondern auch ein Stück weit gerissen und hat die negativen Nachrichten und Dinge wieder einmal beiseite gerückt. Alle anderen sind schuld, der Buchhalter ist schuld, der Manager ist schuld und der Steuerberater. Aber er ist 54 Jahre alt und muss schon selbst die Verantwortung für sein Verhalten übernehmen. Bisher kam er immer irgendwie heil raus und konnte sich durchschlängeln durchs Leben – und das ist jetzt vorbei.

Becker ist es seit Jahrzehnten gewöhnt, unter Beobachtung eines Millionenpublikums zu stehen. Auch am Freitag war der Andrang vor und im Gericht sehr groß, er musste dann in einem Glaskasten auf sein Urteil warten. Wie wirkte Boris Becker an diesem entscheidenden Tag auf Sie?

Das war eine Mischform aus Angst in den Augen, aus Verzweiflung, aber andererseits hat er sich auch einen ordentlichen Anzug angezogen, hatte die Wimbledon-Krawatte an und ist aufrecht ins Gericht gegangen. Er hat versucht, noch mal etwas Optimismus auszustrahlen – zumindest vor Gericht. Im Gericht sah das anders aus. Da saß er mit hochrotem Kopf im Glaskasten und war in völliger Schockstarre, als das Strafmaß verkündet wurde. 

Biograf über Haftstrafe für Boris Becker: "Ich glaube, er wird nach dem Gefängnis nicht mehr derselbe sein."

Wie wird sich die Haftstrafe auf den Menschen Boris Becker auswirken? 

Ich glaube, er wird nach dem Gefängnis nicht mehr derselbe sein. Für so einen Weltenbürger, solch einen freiheitsliebenden Menschen, ist es ein traumatisches Erlebnis, hinter Gitter zu kommen. Die Tür geht zu, eine kleine Zelle, höchstwahrscheinlich mit einem zweiten Insassen, er darf nur zweimal im Monat besucht werden. Das macht was mit dem Menschen. Ich glaube, wir werden nach der Haft einen anderen Boris Becker erleben. Dann mit deutlich mehr Demut. Und ich hoffe, dass er nicht am Gefängnisaufenthalt zerbricht, sondern es ihm gelingt, ähnlich wie Uli Hoeneß danach mit Reue herauszukommen und es schafft, sich zu rehabilitieren. Denn das Leben ist ja noch nicht vorbei.

Boris Becker ist einen luxuriösen Lebensstil gewöhnt, der Alltag in britischen Gefängnissen wird als hart beschreiben – auch das Essen, die hygienischen Bedingungen. Wie wird er damit umgehen?

Das wird ganz, ganz schwer. Das Gefängnis, in das er vermutlich muss, Wandsworth, ist für harte Wärter bekannt, für schlechtes Essen, für richtig harte Jungs, die dort in Haft sind – da wird sich vielleicht auch der ein oder andere profilieren wollen an Boris. Da muss man gucken, dass man nicht irgendwelchen Angriffen ausgesetzt ist. Das ist eine Situation, in die man sich überhaupt nicht hineinversetzen kann, wenn man das noch nicht erlebt hat. Wenn im Gefängnis die Tür zugeht, dann ist man ganz unten – tiefer geht es nicht.

Es wird schwer für Boris Becker und seine Freundin Lilian

Er hielt seine Freundin Lilian auch am Freitag bei Ankunft am Gericht wieder fest an der Hand – sie scheint eine gewichtige Rolle gespielt zu haben in dieser Krisenzeit. 

Absolut. Sie hat ihn ja jedes Mal zu den Prozesstagen begleitet wie dann auch sein Sohn Noah. Sie hat geweint im Gericht. Sie war geschockt, wirkte geschockter als Boris selbst. Und sie muss jetzt auf ihren Lebensgefährten verzichten. Man muss sehen, wie eine so junge Beziehung eine solch dramatische Situation aushalten kann. Ich halte das für sehr schwer. Boris ist pleite, er muss hinter Gitter, er ist zweifelsohne noch ein sehr bekannter Mensch, aber es stellt sich natürlich schon die Frage, was kann er einer 20 Jahre jüngeren Frau bieten. Wenn es echte Liebe ist, was ich für Boris hoffe, wartet sie auf ihn. Aber das ist natürlich sehr, sehr schwer für eine relativ neue Beziehung. 

Er war am Freitagmorgen noch in der Kirche – wie bewerten Sie das? Auch als Signal an die Richterin?

Boris ist ja ein sehr gläubiger Katholik, insofern hat er das sicher gemacht, um selbst noch mal Kraft zu tanken und um zu beten. Das hat er nicht aus Showgründen getan, sondern wirklich um sich noch mal göttlichen Beistand zu holen.

Boris Becker kam zur Strafverkündung mit einer Wimbledon-Krawatte um den Hals

Symbolträchtig war auch die Wimbledon-Krawatte, die Becker zur Strafmaßverkündung trug – sehen Sie sie eher als Glücksbringer oder als eine Erinnerung Beckers an seinen Status als Tennisidol?

Eher das Zweite. Ich glaube, dass er da noch mal zeigen wollte, dass er auch England, Wimbledon, viel gegeben hat. Er hat ja begeistert und hat in England eigentlich noch einen ganz tollen Ruf als Tennislegende. Ich könnte mir schon vorstellen, dass das symbolischen Charakter hatte: 'Ihr wollt doch nicht eure Wimbledon-Legende hinter Gittern sehen.'

Es gibt sehr emotionale Fotos, auf denen zu sehen ist, wie Boris Becker sich am Donnerstagabend von seinem jüngsten Sohn Amadeus verabschiedet hat mit einem Kuss auf die Stirn. Am Freitag verließ er sein Wohnhaus in London mit einer gepackten Reisetasche, für den Fall einer Haftstrafe. Sie haben ihn lange begleitet – können Sie nachvollziehen, was in den letzten Tagen und Stunden in Boris Becker vorgegangen sein muss? 

Drama, Ausnahmezustand. Ich glaube nicht, so wie er aussah, dass er in den letzten Wochen auch nur halbwegs ein Auge zumachen konnte. Wenn man sieht, wie er seine Zigarillos geraucht hat – das ist eine Ausnahmesituation. Das will kein Mensch erleben. Dass das einem unserer größten Sporthelden widerfährt und dabei die ganze Welt zusieht, das ist an Dramatik nicht mehr zu überbieten. Es ist unvorstellbar, wie er damit klarkommen kann. Er ist jetzt unmittelbar in Haft, hat seine Tasche mitgenommen. Er liebt seine Kinder. Dass er jetzt von ihnen getrennt ist, ist sehr, sehr traurig – für ihn und auch für sie.

In einem Podcast sagte er Ende 2020, dass er sich für die Zukunft etwas weniger Aufmerksamkeit wünsche und ihn die öffentliche Person Boris Becker anstrenge. Glauben Sie, dass er sich nach seiner Haft zurückziehen wird?

Ich kann mir vorstellen, dass er reumütiger und defensiver wird. Andererseits hört man schon von Planungen für Dokumentationen in England über die letzten Jahre, die Boris als die härtesten fünf in seinem Leben bezeichnet hat. Was daraus wird, muss man abwarten. Dass er sich aber ganz aus der Öffentlichkeit zurückzieht, kann ich mir nicht vorstellen. Dafür mag er die Öffentlichkeit zu sehr. Und er wird immer wieder die Möglichkeit nutzen, in Interviews auch seine Sicht der Dinge zu schildern. 

Folgt eine weitere Boris Becker Biografie?

Könnten Sie sich vorstellen ein weiteres Buch – mit Boris Becker oder auch ohne ihn – über die Insolvenz und das Strafverfahren zu schreiben?

Ja, das kann ich mir vorstellen. Wir haben ja seine letzte große Biografie zusammen geschrieben, die nannten wir "Das Leben ist kein Spiel". Dass sich das so bewahrheitet, ist schon ein Wahnsinn. All das, was in den letzten fünf Jahren passiert ist, ist so spannend und so dramatisch, dass ich mir eine Aktualisierung absolut vorstellen kann.

Boris Becker sagte in seinem Podcast auch, er sei "überzeugt, dass es die dritte Frau Becker geben wird". Und er hoffe auch noch mal auf Kinder mit ihr. Glauben Sie, dass sich dieser Traum für ihn erfüllen wird, wenn er diesen Tiefpunkt überwunden hat?

Das würde ich ihm gönnen. Boris ist ein Familienmensch. Er war zweimal verheiratet mit Barbara und mit Lilly, aber aller guten Dinge sind drei. Warum nicht! Ich hoffe sehr auf ein Happy End in seinem Leben.