Für nicht wenige ist Josef Hader der beste Kabarettist deutscher Sprache. Spätestens seit den schwarzhumorigen Brenner-Krimis ("Komm, süßer Tod", 2000) ist der Österreicher auch noch als Schauspieler respektiert, nicht nur im komischen Fach. In seiner Rolle als Stefan Zweig in "Vor der Morgenröte" wurde er von der Kritik gefeiert. In "Wilde Maus" (2017) führte er erstmals Regie und stand zudem mit seiner Lebensgefährtin Pia Herzegger vor der Kamera, mit der er auch die ARD-Komödie "Die Notlüge" (24.Februar) drehte.

Wir haben den 55-Jährigen im Kaffeehaus Rüdigerhof zum Interview getroffen, mit Wolfgang Haas und Wolfgang Murnberger die Drehbücher für die poetisch-skur­rilen Kinokrimis um den Privatermittler Brenner geschrieben. Niemand blickt auf, als sich die Tür zum Café Rüdigerhof öffnet und ein eher unscheinbarer Mann den Gastraum betritt. Man kennt hier schließlich den Kabarettisten, Autor, Schauspieler und Regisseur.

Sender

Josef Hader in "Die Notlüge"

Wenn in Deutschland auf einem Sender ein Krimi läuft und auf den anderen eine Komödie, dann schaltet die Mehrheit den Krimi ein. Warum sehen so viele Zuschauer lieber sterbende als lachende Menschen auf dem Bildschirm?
Josef Hader: Vielleicht sind die Krimis im Fernsehen besser als die Komödien. Oder es ist einfach nur eine Gewohnheit der Zuschauer. Der Krimi ist ein klassisches Fernsehgenre, den gibt's jetzt schon seit Generationen. Als Kind bin ich mit deutschen Fernsehkrimis aufgewachsen, zum Beispiel "Der Kommissar". Deswegen war für mich München damals der Hort des Verbrechens. Als Kind habe ich geglaubt, dort wird alle zwei Tage eine Leiche aus der Isar gezogen. Erst als Erwachsener bin ich draufgekommen , dass sich in München die Kriminalität mehr in der Politik und in der Wirtschaft abspielt und Gewaltverbrechen eher selten sind.

Leichte Stoffe zu verfilmen, gilt unter Regisseuren als besonders schwer. Trotzdem genießt die Komödie kein hohes Ansehen. Woran liegt's?
Kino und Fernsehen folgen den Wertmaßstäben, die aus dem Theater stammen. Im Wiener Burgtheater wurden am Anfang gar keine Komödien gespielt, weil die Komödie als eine Belustigung für das niedere Volk galt. Ein wenig ist das noch immer so.

"Die Notlüge", die jetzt mit Ihnen im Ersten läuft, ist eine Komödie, bei der einem das Lachen gelegentlich im Halse stecken bleibt.
Gute Komödien sind so angelegt, dass sie bitter werden können. Die Frage ist, wie weit man gehen will. Beim Fernsehen haben die Redakteure in den Sendern oft Angst, man würde die Leute verschrecken. Der deutschsprachige Raum ist ja auch viel kleiner als der englischsprachige; auf Englisch können sie tiefschwarze Komödien drehen und es finden sich immer noch genug Menschen, die das toll finden. Im deutschen Sprachraum gibt's weniger Menschen und ein etwas böserer Humor ist nicht überall mehrheitsfähig.

Allerdings sehen vor allem junge Leute die tollen englischsprachigen Komödien auf Netflix und wundern sich, dass es das bei uns nicht gibt.
Das war sicher auch ein Grund, warum "Die Notlüge" gedreht werden konnte oder auch der Zweiteiler "Aufschneider" über einen Pathologen, den ich zusammen mit David Schalko geschrieben habe. Auch in den deutschen Sendern hat sich herumgesprochen: Wenn wir zu brav sind, laufen uns die jungen Leute weg.

Lügen sind etwas wertvolles

Verleih

Als Simon Brenner in "Komm, süßer Tod"

Es gibt ja auch neue interessante Typen in unserer Gesellschaft wie den Ökospießer, die sich wunderbar als Personal für Komödien eignen.
Das Bürgertum stirbt nicht aus, es ändert nur sein Aussehen. Wenn man heute durch die gentrifizierten Bezirke der Innenstädte geht und die gutverdienenden ökologisch angehauchten Paare mit einem Kind im Luxuskinderwagen sieht, dann ist das ja das neue Bürgertum. Und das hat genauso seine Lügen wie das alte Bürgertum. Glücklicherweise, denn Lügen sind ja etwas ganz Wertvolles.

Wie bitte?

Lügen bewahren uns davor, dass wir uns ständig gegenseitig den Schädel einschlagen. Ich denke, dass in der Steinzeit viel weniger gelogen wurde und es dafür mehr Tote gab.

Ein halbes Jahrhundert nach 1968, dem Jahr der Selbstenblößung der Körper und der Seelen, regiert wieder die Konvention?
Jede Generation, nicht nur die Achtundsechziger, nutzt ihre Weltanschauung leider vor allem zum eigenen Vorteil und nicht, um die Welt besser zu machen. Man könnte sogar, wenn man ein wenig gemein ist, sagen, dass keine Generation so großmäulig gestartet und so kläglich gescheitert ist wie die Achtundsechziger. Da ist die unmittelbare Nachkriegsgeneration um einiges anständiger geblieben. Sie brauchen nur Helmut Schmidt mit Gerhard Schröder zu vergleichen, da merken Sie sofort den Unterschied. Oder nehmen Sie eines meiner großen Vorbilder: Dieter Hildebrandt. So wie er würde ich gerne alt werden.

Aber anders als Dieter Hildebrandt kommentieren Sie weder in Ihren Filmen noch im Kabarett die Tagespolitik.

Ich habe drei Programme gemacht mit der Absicht, so wie Dieter Hildebrandt und Werner Schneyder zu sein, aber irgendwann habe ich bemerkt, ich kann das nicht so gut wie die, aber vielleicht kann ich was anderes. Da habe ich erst die andere Seite dieser Kunstform entdeckt, Leute wie Helmut Qualtinger und Gerhard Polt. Später habe ich Jonathan Swift gelesen, und zufällig in einem Plattenladen ein Album von Woody Allen entdeckt: Stand up Comedy, Ende der Sechzigerjahre in Las Vegas. Das waren wichtige Einflüsse, aus denen ich mir mein Kabarett zusammengebastelt habe.

In "Die Notlüge", aber auch in der realen Welt benehmen sich viele Menschen unglaublich narzisstisch: Die Klimakatastrophe rollt auf uns zu, aber wenn ich Leute reden höre, dann interessiert sie nichts brennender, ob man Fisch aus der Aquakultur oder aus dem Meer essen soll.

Es hat einen Hauch von Tschechow: Sorglose Menschen in einer untergehenden Welt. Ich denke, das trifft unsere Zeit ganz gut. Die Verteilung zwischen Arm und Reich in Europa ist heute ungefähr so wie zur Zeit Tschechows. Das sollte uns zu denken geben.

Wer hat es heute, kurz vorm Untergang, besser in der Gesellschaft: die Männer oder die Frauen?

Die Männer müssen von Dingen Abschied nehmen, und die Frauen sind dabei, sich freizuschwimmen. Gesellschaftlich haben es ganz klar die Frauen schwerer: Sie verdienen weniger, allein erziehende Mütter leben teilweise unter dem Existenzminimum. Wenn die Männer klagen, sie müssten die Stärkeren sein und schaffen das nicht, kann ich nur sagen: Hat Ihnen ja keiner angeschafft, die Stärkeren zu sein.

Die Leute versammeln sich in digitalen Bierkellern

Gibt es in "Die Notlüge" einen spezifisch österreichischen Humor?
Der Film spielt in einem bürgerlichen Milieu, und das ist in Österreich bis heute von der alten Monarchie geprägt. Gesellschaftlichen Aufstieg schaffte man damals, indem man nirgends aneckte und Konflikte eher unter den Teppich kehrte. Das ist heute noch immer so und schafft vielleicht den Nährboden für einen speziellen Humor.

In den sozialen Medien tobt dagegen der von keinerlei bürgerlichen Konventionen gemilderte Hass.
Wir sind auf dem Weg in neues Mittelalter, in dem jeder seine eigene Welt im Kopf hat und sich von niemandem überzeugen lassen will, dass er womöglich falsch liegt. Es wäre spannend, darüber ein Kabarettprogramm zu machen.

Aber damit erreichen Sie nicht die Dumpfbacken, sondern die Lehrer und Anwälte, die ins Kabarett gehen.
Ich würde nicht sagen, dass Lehrer und Anwälte so zielsicher vom Dumpfbacken - Dasein verschont bleiben. Und schon gar nicht, dass die Dumpfbacken nicht im Kabarett zu finden sind. Ich habe Vorstellungen in bestimmten Städten, da weiß ich, dass ein Teil der Zuschauer die rechtspopulistische FPÖ wählt. Man könnte das für ein Unglück halten, dass die zu mir kommen. Aber ich finde, es ist ein Glück. Es zeigt, dass sie sich auch für andere Meinungen interessieren, sofern man sie daneben gut unterhält.

Sie arbeiten fürs Kino und fürs Fernsehen. Gibt es da noch Unterschiede?
Die Dramaturgie ist unterschiedlich. Ich habe nur einmal ein Drehbuch fürs Fernsehen geschrieben, den Zweiteiler "Aufschneider", und da muss man den Zuschauer sofort packen, sonst zappt er in ein anderes Programm. Im Kino kann man interessanter beginnen, da muss man nicht sofort soviel verraten.

Es sei denn, man dreht eine Serie.
Das ist wahrscheinlich auch fürs Fernsehen die beste Form, aber nicht für mich. Ich liebe Geschichten, die man in 90 Minuten erzählen kann.

Ein Problem mit den Serien scheint mir auch zu sein, dass jeder etwas anderes sieht und man sich kaum noch über Fernsehen unterhalten kann.
Das ist eine Entwicklung, die man insgesamt in der Gesellschaft beobachten kann. Die Leute versammeln sich in gleichgesinnten Gemeinden, in digitalen Bierkellern, wo sie sich immer nur darin bestärken, dass sie recht haben. Das erinnert mich an die Zeit zwischen den Weltkriegen, abzüglich des Digitalen natürlich.

Was kann man dagegen tun?

Bürger sein. Das heißt, dass man teilnimmt an der Demokratie, in die Öffentlichkeit geht, wenn einem was nicht passt, und deutlich seine Meinung sagt, auch wenn es nicht die der Mehrheit ist. Bürger sein, das kann ja auch eine positive Bedeutung haben.