Die ZDF-Zuschauerforschung erhebt regelmäßig, welche Sendergesichter die höchste Glaubwürdigkeit beim Publikum genießen. Unangefochtener Spitzenreiter: Harald Lesch. Seit 2008 moderiert der Professor für theoretische Astrophysik das Wissenschaftsmagazin "Leschs Kosmos" - seriös, sachlich, fundiert. Doch wenn es darum geht, die Vernunft gegen ihre Feinde zu verteidigen, dann erwacht in dem nüchternen Wissenschaftler die Leidenschaft.

Wie haben 100 Folgen "Leschs Kosmos" den Kosmos von Harald Lesch verändert?

Harald Lesch: Mein Horizont hat sich geweitet. Unser Themenspektrum reicht ja über mein ursprüngliches Fachgebiet, die Astrophysik, hinaus, und das ist mir auch wichtig. Beiträge über schwarze Löcher sind großartig. Aber wir haben hier bei uns momentan genug andere Probleme, die wir nicht vergessen dürfen vor lauter Lust, sich gedanklich am Rand des Universums zu vergnügen. Ich bin vor dem Eskapismus der Wissenschaft geflüchtet.

Welche Themen reizen Sie besonders?

Was mich umtreibt, sind Instabilitäten: Wenn komplexe Systeme sich verändern und plötzlich neue Eigenschaften entwickeln. Das passiert beim Klima, in der Genetik, aber auch in historischen und gesellschaftlichen Prozessen. Wir haben mit dem ZDF gerade einen Dreiteiler über Luther und die Reformation gedreht. (läuft Ostern) Unglaublich interessant!

2016 wurde der Begriff "postfaktisch" zum Wort des Jahres gekürt. Was macht das mit Ihnen als Wissenschaftler?

Ich kriege Zustände! Zumal der Begriff verkehrt ist. "Postfaktisch" heißt wörtlich übersetzt "nach den Fakten". Es müsste heißen "kontrafaktisch", weil genau das Gegenteil von dem behauptet wird, was der Fall ist - etwa wenn Herr Trump sagt, der Klimawandel sei eine Erfindung der Chinesen. Ich bin übrigens Erdkugel- Faschist, wussten Sie das schon?

Was bitte?

Für unseren YouTube-Kanal "Terra X Lesch & Co." habe ich einen Beitrag über die Erde
als Scheibe gemacht. Es gibt tatsächlich eine Gemeinde, die diesem Glauben anhängt.
Wir wollten zeigen, wie Verschwörungstheorien funktionieren. Ich habe nie schlimmere Hass-Mails bekommen.

Wie kommt es, dass Verschwörungstheorien so stark auf dem Vormarsch sind?

Ich glaube, ein Grund ist, dass wir gesellschaftlich von einer Kultur des Vertrauens zu einem allgemeinen Misstrauensmanagement gekommen sind. Die Schulen, die Universitäten und die Arbeitswelt etwa sind immer stärker durch Leistungskontrollen geprägt. Wer ständig in Überwachungssituationen steckt, neigt vermutlich eher zu dem Glauben, dunkle Mächte würden alles lenken und uns manipulieren.

Hilft mehr naturwissenschaftliche Bildung?

Ich würde das gar nicht an Bildung festmachen, sondern an Know-how. Wer über ein Mindestmaß an Wissen verfügt, der erkennt leichter, dass bestimmte Behauptungen einfach nicht plausibel sind. Nehmen Sie die Mondlande-Verschwörung, also den Glauben, die Mondlandung hätte nie stattgefunden: Wenn die Russen damals festgestellt hätten, dass der Funkspruch "The Eagle has landed" nicht vom Mond kam, sondern aus Kalifornien, dies aber geheim gehalten hätten, dann gäbe es dafür nur die Erklärung, dass die Sowjet-Führung im Sold der CIA stand - was ganz offenkundig Blödsinn ist.

Wird das Fernsehen seinem Bildungsauftrag ausreichend gerecht?

Das öffentlich-rechtliche Fernsehen soll vor allem für Klarheit sorgen. Es soll in Zeiten, in denen gegen die Fakten argumentiert wird, standhaft bleiben und darstellen, was der Fall ist. Auch wenn andere noch so laut schreien "Lügenpresse" und "Systemmedien" - wurscht! Es gilt, Haltung zu bewahren und zu sagen: "Hier stehe ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir, Amen."

Interview: Christian Holst