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Warum "House of the Dragon" viel besser als die "Herr der Ringe"-Serie ist

House of the Dragon, Die Ringe der Macht, Kritik
Das Serienduell des Jahres: "House of the Dragon" vs. "Die Ringe der Macht". Unser Autor hat einen klaren Favoriten. HBO/Sky Deutschland / Amazon Prime Video, Montage: TVSPIELFILM.de

Meinung | Zwei große Fantasy-Serien duellierten sich 2022: "House of the Dragon" und "Der Herr der Ringe: Die Ringe der Macht". Für TVSPIELFILM.de-Redakteur Michael Hille ist die "Game of Thrones"-Vorgeschichte der klare Sieger.

Inhalt
  1. 1. Zuallererst: Der Drache bzw. Olifant im Raum
  2. 2. "Die Ringe der Macht" zeigte schon in Folge 1 Anlaufschwierigkeiten
  3. 3. "House of the Dragon" ist Drama first, Fantasy second
  4. 4. Spektakel weitet die Augen, doch Emotionen fesseln

Es war das große Streaming-Duell des Jahres 2022: HBO (bzw. in Deutschland WOW) und Amazon Prime Video starteten je fast zeitgleich eine sündhaft teure, atemberaubend ausschauende Fantasy-Serie aus je einer bekannten Marke. "House of the Dragon" erzählte bei HBO die Vorgeschichte des popkulturellen Phänomens "Game of Thrones" und entführte die Zuschauer zurück in die fiktive Welt von Westeros. "Die Ringe der Macht" hingegen sattelte bei Prime Video auf nach Mittelerde und erzählte ebenfalls eine Vorgeschichte, allerdings die von "Der Herr der Ringe".

Die Erwartungen an beide Formate waren unermesslich hoch – und beide Serien waren sicher nicht perfekt. Dennoch lässt sich, alleine schon mit einem Blick auf beliebte Bewertungsportale wie die IMDB oder RottenTomatoes ein klarer Sieger küren: "House of the Dragon" war das Serien-Ereignis des Jahres! Aber was hat die Serie besser gemacht als die "Ringe der Macht"-Konkurrenz?

Zuallererst: Der Drache bzw. Olifant im Raum

Eine Sache müssen wir schnell aus dem Weg räumen: Gerade im Zuge der ersten Folgen von "Der Herr der Ringe: Die Ringe der Macht" brach aus bestimmten Subräumen des Internets ein Shitshow über das Format her. Kritisiert wurde die diverse Besetzung (u.a. Schwarze Darsteller in Elben-Rollen) sowie die Wahl einer weiblichen Protagonistin in Gestalt von Galadriel (Morfydd Clark). Man möchte solchen Trollen möglichst keine Aufmerksamkeit schenken, doch lässt sich nicht leugnen, dass diese Ewiggestrigen bei den erstaunlich niedrigen Bewertungen im Netz teilweise ihre Finger im Spiel hatten.

Auch "House of the Dragon" bekam diese Kritik ab, wenn auch weniger prominent in den Medien debattiert. Hier mokierten sich vermeintliche Fans ebenfalls über eine diverse Besetzung, weil die Macher vermehrt Schwarze Darsteller in einer Welt besetzten, die in "Game of Thrones" noch sehr sehr weiß war. Auch hier störten sich genügende daran, dass mit Rhaenyra (erst Milly Alcock, dann Emma D'Arcy) und Alicent (erst Emily Carey, dann Olivia Cooke) zwei starke Frauenrollen im Mittelpunkt standen. In beiden Fällen ist dies – um es deutlich zu sagen – keine legitime Kritik, sondern das strikte Beharren auf eine rückschrittliche Agenda.

Und dennoch, die Trolle haben in beiden Fällen abgezogen: "House of the Dragon" hat überall im Netz die besseren Ratings als "Die Ringe der Macht". Und das hat einen simplen Grund: Es ist schlicht die deutlich bessere Serie.

"Die Ringe der Macht" zeigte schon in Folge 1 Anlaufschwierigkeiten

Foto: Amazon Prime Video, Klar: An spektakulären Bildern mangelte es "Die Ringe der Macht" wirklich nicht.

Schon von der ersten Folge an etablierte sich "House of the Dragon" als absolutes Highlight des Serienjahres. "Die Ringe der Macht" strauchelte jedoch schon da. Vergleicht man die jeweiligen Pilotfolgen, so fällt auf, wo der große Unterschied beider Serien liegt: "Die Ringe der Macht" eröffnet mit epischen, gewaltigen Bildern, sofort wird das unfassbare Budget der Produktion sichtbar. Die Vorgeschichte der Elben und ihrer großen Schlachten werden gezeigt, Galadriel erklimmt einen gefrorenen Wasserfall, bekämpft einen Höhlentroll. Ein nackter Mann fällt als flammender Meteor vom Himmel. Riesige Orkherden und Zwergenkönigreiche kommen vor und werden uns in optischer Perfektion vorgestellt.

Grandiose Bilder, epische Action, ein Haufen an Figuren, Orten und Welten: Alles prima, oder? Nun: Nicht ganz. Denn was man in all dem vergeblich sucht, sind Figuren, an die sich anknüpfen lässt. In all dem Spektakel gibt es kaum menschliches Element: Galadriel will Rache für den Tod an ihrem Bruder und sucht nach Sauron. So viel wird etabliert. Aber wohin werden die Handlungsstränge um die Harfüßer, den Fremden vom Himmel, die Menschen in Númenor, die Zwerge in Moria oder die Orkherden führen? Welchen Zusammenhang haben diese unabhängigen Geschichten? Welche Ziele verfolgen sie? Anders gesagt: Was wird hier eigentlich erzählt?

Zur Erinnerung: In den "Herr der Ringe"-Filmen wird, noch bevor die eigentliche Geschichte beginnt, etabliert, dass der kleine Hobbit Frodo den bösen Ring des dunklen Herrschers Sauron ins Feuer eines Vulkans werfen muss, ansonsten geht die Welt unter. Einen solchen eindeutigen Fokus gibt es bei "Die Ringe der Macht" selbst nach allen acht Folgen der ersten Staffel nicht.

"House of the Dragon" ist Drama first, Fantasy second

Foto: HBO / Sky Deutschland, Matt Smith stahl dieses Jahr in "House of the Dragon" oft die Show.

"House of the Dragon" verfolgt andere Ziele: Die erste Folge hatte brutale Action an Bord und auch ein paar der Drachen, auf die sich nach den Trailern alle gefreut hatten. Erzählt wurde aber eine intime Geschichte, um einen alternden König (Paddy Considine), der für sich eine Erbin bestimmt – und damit Konflikte und Streit unter seinen Beratern und anderen Familienmitgliedern auslöst. Statt schon für die erste Folge zig Millionen Dollar zu verpulvern, ließ man sich hier Zeit, die Figuren ruhig vorzustellen, den Schauspielern Raum zu geben, ihre Beziehungen untereinander aufzuzeigen und eine Fallhöhe aufzubauen. Nicht umsonst wurde Milly Alcock nach nur wenigen Wochen zum Shooting-Star der TV-Saison 2022, während kein einziger Akteur aus "Die Ringe der Macht" einen Popularitätsboost erfuhr.

"Die Ringe der Macht" war acht Folgen lang großes Fantasy-Kino, manch eine Folge geriet zur puren Effekt-Protzerei. Doch wirkte all dies erstaunlich leer, ohne echte Sympathieträger, die man begleiten sollte. Es war auch wenig hilfreich, dass manche Dialoge so sehr in Kitsch abdrifteten, dass es einem glatt die Schuhe ausziehen konnte. "House of the Dragon" hatte ebenfalls große Actionszenen parat, man denke nur an das grandiose Gemetzel in Folge 3, als Daemon Targaryen (der überragende Matt Smith) den Krabbenspeiser erledigte. Audiovisuell war das wuchtig. Im Kern jedoch war "House of the Dragon" nie – so wie "Die Ringe der Macht" – "nur" Fantasy. Es war ein kluges, wohlüberlegtes Figurendrama, in dem es zusätzlich Fantasy-Elemente gab. "Die Ringe der Macht" war wie die "Herr der Ringe"-Filme, aber ohne Seele. "House of the Dragon" ist dagegen ein bisschen wie "The Crown", nur mit Drachen als Bonus.

Spektakel weitet die Augen, doch Emotionen fesseln

Nun mag jeder Fan für sich entscheiden, in welchem Lager er sitzt. Weiter geht es in beiden Fällen: "Die Ringe der Macht" ist auf fünf Staffeln angelegt, bei "House of the Dragon" ebenfalls von insgesamt vier Staffeln die Rede. Wer seine Freude an den großen Bildern und eher flachen Figuren in Mittelerde hatte, dem sei dies unbenommen. Ein letzter Gedanke sei jedoch gestattet: Müsste man aus den zehn Folgen der ersten "House of the Dragon"-Staffel den absolut besten Moment auswählen, so wäre er wohl in Folge 8 zu finden. In einer mehr als drei Minuten langen Szene wackelt der uralte König in Richtung des Eisernen Thrones. Er kämpft um jeden Schritt.

Es wird kaum ein Wort gesprochen, der Fokus liegt ganz auf diesem alten, armen Mann, der mit seiner Verfassung kämpft. Es ist eine emotionale Tour de Force, eine Szene, die noch Wochen im Kopf herumspukt. Was wir in dieser Szene sehen, ist brillantes Schauspiel, für das Paddy Considine hoffentlich sämtliche TV-Preise gewinnen wird. Was wir in dieser Szene nicht sehen, sind Drachen. Findet sich auch nur eine Szene in "Die Ringe der Macht", die diese komplexen Emotionen hervorruft? Die einen so mitnimmt, so nachdenklich stimmt, so still werden lässt? Über diese drei stillen Minuten werden Serienfans noch lange sprechen. Woran wird man sich bei "Die Ringe der Macht" erinnern – wenn überhaupt?

Mit einem gigantischen Budget lässt sich ein großes Spektakel veranstalten, daraus lassen sich großartige Trailer erstellen, die genug Zuschauer anlocken, um mit der ersten Folge Rekorde zu brechen. Doch wer die Fans dauerhaft halten will, der muss ihr Herz berühren. Es bewahrheitet sich eine alte Roulette-Weisheit: Egal wie viel Geld man investiert, am Ende gewinnt immer das "House".