.

"Star Trek: Picard"-Recap: Ein Schritt in die richtig falsche Richtung

Star trek Picard
Die sechste Episode von "Star Trek: Picard" macht wieder Schritte in die richtige Richtung – aber leider auch in die falsche. Amazon, Montage: TV Spielfilm

Zuletzt nervte "Star Trek: Picard" mit Hinhalte-Taktiken. Doch in der mit 54 Minuten bislang längsten, sechsten Folge entwickelt sich die Handlung endlich deutlich vorwärts. Dabei offenbart die Serie aber neben ihren offensichtlichen Stärken auch ihre elementaren Schwächen.

Fünf Folgen hat sich "Star Trek: Picard" insgesamt Zeit genommen, um alle Handlungsstränge und Figuren in Stellung zu bringen. Nicht immer lief das so reibungslos, wie es die Autoren wohl gerne hätten. Insbesondere die fünfte Folge nervte mit einem völlig überflüssigen Fan-Service-Gastauftritt von Seven of Nine, die sich in ihrer gealterten Version als Rache-Braut à la "Kill Bill" entpuppte. Doch in Folge 6 erreichen Picard und seine Crew endlich den Borg-Kubus – und obwohl sich gerade das wie ein Befreiungsschlag für die Geschichten anfühlen müsste, bleiben wir erneut ratlos zurück.

Star Trek: Der letzte Kontakt

Wie in keiner Folge zuvor bekommt Patrick Stewart hier die Chance, zu glänzen. Vorbei sind die Zeiten, in denen er schlafwandlerisch seine Performance als gutmütiger, integrer Picard wiederholt. Das Erreichen des Borg-Kubus bringt sein Trauma aus "Raumschiff Enterprise: Das nächste Jahrhundert" wieder zum Vorschein – als er das letzte Mal einen Borg-Kubus betrat, war das als Folge seiner gewaltsamen Assimilierung in das Borg-Kollektiv im berüchtigten Zweiteiler "The Best of Both Worlds". Gleich zu Beginn gibt es einen wunderbar düsteren Moment, als Picard in den Archiven ein Bild seines Borg-Alter-Egos Locutus betrachtet und durch die Kameraeinstellung sein Gesicht mit Locutus verschmilzt.

Nein, die Zeit als Borg nagt an Picard. Das wissen wir seit 1996, als der Kinofilm "Star Trek: Der erste Kontakt" einen psychisch-angeschlagenen, rachsüchtigen Patrick Stewart im Kampf gegen die Borgkönigin zeigte. Und wir wissen es aus der letzten Folge, als er und Seven of Nine darüber debattierten, ob man das Borg-Kollektiv je wirklich ganz verlässt. Die neue "Picard"-Folge "The Impossible Box" ist für seinen Charakter gewissermaßen eine Erlösung. Um Soji zu retten, setzt er wieder einen Fuß auf einen Borgkubus, der jetzt wie er vom Kollektiv getrennt ist. Dort kommt es zum langerwarteten Wiedersehen mit Hugh.

Er führt Picard durch den gespenstischen Kubus, der von den Romulanern als eine Art Rehabilitationszentrum für befreite Opfer der Borg dient, die sich in unterschiedlichen Heil-Stadien befinden. Genau hier findet Picard eine Art Frieden mit seiner Locutus-Vergangenheit. Er bedankt sich bei Hugh, dass dieser sein Leben dafür einsetze, die Borg als das zu zeigen, was sie waren: Opfer, keine Monster. Eine tatsächlich runde Geschichte, die die Folge hier erzählt und die Mythologie des Charakters würdig fortsetzt – und die vor allem Spaß macht, weil Stewart als Schauspieler immer dann am besten ist, wenn er die gewohnten Pfade des edelmütigen Sternenflotten-Captains verlassen darf.

Wer bin ich? Und wenn ja, wie viele?

Doch der Hauptanteil der Folge handelt von dem Selbsterkennungsprozess von Soji – und genau hier zeigt "Star Trek: Picard", warum selbst eine wendungsreiche, narrativ nach vorne preschende Episode wie "The Impossible Box" nicht funktioniert, wenn die Vorarbeit ungenügend ist. Doch der Reihe nach: Soji plagen Albträume, die für sie auch Erinnerungen an ihre Kindheit sein könnten. Gemeinsam mit Narek versucht sie, ihrem synthetischen Ich auf die Spur zu kommen – obgleich sie von ihrem Androiden-Status im Gegensatz zu Narek ja noch nichts weiß. Narek gibt ihr immer wieder leichte Schubser in Richtung Selbsterkenntnis, ehe Soji bei einem romulanischen Ritual die herzzerreißende Wahrheit erkennt: Ihre Erinnerungen sind alle exakt 37 Monate alt. Sie ist keine Person, sondern ein Ding.

Narek, der offensichtlich Gefühle für Soji entwickelt hat, bringt sie dazu, in ihren eingepflanzten Erinnerungen an Orte zu blicken, die für sie nicht zugänglich sein konnten. Dabei beobachtet sie zwei rote Planeten in einem intergalaktischen Sturm: Genau darauf hatten es er und seine Schwester abgesehen. Mit einem lapidaren "Du bist nicht echt, Soji. Tut mir leid" lässt er seine Angebetete mit tödlichem Gas zurück. Doch das Schöne am Android sein ist, gerade dann wenn man selbst davon weiß: Man kann sich aktivieren und dem super-duper-Todesgas ganz schnell entkommen ­– und dem Retter in der Not (Picard) plump vor die Füße fallen.

Liebe Autoren, das alles ist im Kern eine interessante Geschichte, zumal sich Sojis Prozess mit dem von Jean-Luc Picard spiegelt. Beide müssen die Verarbeitung ihrer Vergangenheit lernen – mit dem Unterschied, dass es bei Soji darum geht, zu erfahren, dass sie keine hat. Doch so wie sie über die Staffel bislang aufgebaut wurde, könnte sie egaler nicht sein. Wir Zuschauer durften Soji nie als Charakter kennenlernen. Kann jemand spontan sagen, ob Soji besonders witzig, neugierig, schlau, frech, schüchtern, leichtgläubig oder dickköpfig ist? Von der ersten Folge an sollten wir Soji auf Gebühr hin mögen – einfach nur weil sie die Tochter von Data ist. So funktioniert das einfach nicht! Wenn wir mit diesen Charakteren fühlen sollen, müssen wir sie kennenlernen. Dafür gibt uns "Star Trek: Picard" bislang keinen Grund.

Offene Fragen, und keine Antworten in Sicht

Einen total konfusen Charakter-Moment leistet sich die Folge, als Agnes, die letzte Woche noch ihren Ex-Freund Bruce Maddox ermordet hat, plötzlich mit Captain Rios rumknutscht. Mal davon abgesehen, dass derlei Soap-Elemente in "Star Trek: Picard" generell fehl am Platz sind, kommt diese plötzliche gegenseitige Anziehungskraft gänzlich aus dem Nichts. Und das bleibt eben die Kernschwäche der Picard-Serie, an der auch schon "Star Trek: Discovery" krankte: Die Autoren werfen zu viele Fragen auf, ohne befriedigende Antworten zu liefern.

Was hat es mit den roten Monden auf sich? Warum hat Agnes ihren Lover ermordet? Warum hat Narek so lange gewartet, bis er Soji im Kopf herumspielt? Warum wurde Soji früher mehrfach als die Zerstörerin angekündigt? Welche Rolle spielt Seven of Nine in all dem? Und wie geht es mit Elnor weiter, der am Ende auf dem Borg-Kubus zurückbleibt, um Picard und Soji die gefahrenlose Flucht zu ermöglichen? Die Autoren lieben ihre Geheimnisse, doch der Plot ist schlicht zu verworren, damit Spannung und Mitgefühl für die Charaktere entstehen können. Die letzten vier Folgen sollten dringend noch einmal Zeit in unsere neuen Figuren investieren. Stattdessen steht wohl eher ein Wiedersehen mit Riker und Troi an – für alle, die die Serie nur der Nostalgie wegen gucken.

PS: Ein schönes kleines Trek-Detail – Der Raum-Trajektor, mit dem Picard und Soji eine sofortige Reise über 40.000 Lichtjahre antreten können, ist laut Hugh im Besitz der Borg, weil diese die Sikarianer assimiliert haben. Eine Rasse im Delta-Quadranten, die uns tatsächlich aus der Folge "Das oberste Gesetz" von "Star Trek: Raumschiff Voyager" bekannt ist. Bitte mehr hiervon!

Der Trailer zu "Star Trek: Picard" Amazon Prime Video