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Rückblick auf 2020: Kein gutes Jahr fürs Kino

Rückblick 2020, Tenet, Little Women, Kajillionaire
"Tenet", "Little Women" und "Kajillionaire" gehören zu den Film-Highlights 2020. Warner Bros. Deutschland / Syncopy / Sony Pictures Home Entertainment / Annapurna Pictures / Focus Pictures, Montage: TV Spielfilm

Düstere Aussichten für die Kinos: 2020 mussten sie lange Zeit schließen und durften wenn nur unter strengen Auflagen öffnen. Jetzt bewegt sich alles umso schneller Richtung Streaming. Fürs Kino war es kein gutes Jahr. An tollen Filmen mangelte es aber nicht.

Inhalt
  1. 1. Die ersten Monate: Oscar-Hits von 2019 jetzt in Deutschland
  2. 2. Corona schlägt zu: Eine Reihe an Verschiebungen
  3. 3. "Tenet" kämpft um die Kinos, "Mulan" wandert ins Streaming-Land
  4. 4. Klassiker laufen wieder in den Kinos
  5. 5. 2020 zeigt: Highlights gibt es auch abseits der Blockbuster

Das Filmjahr 2020 stand ganz in Zeichen der globalen Coronavirus-Pandemie. Weltweit hatten die Kinos größtenteils geschlossen. Die, die im Sommer öffneten, konnten nur einen Bruchteil der sonstigen Zuschauer in den Saal lassen. Und was sich dieses Jahr abzeichnete, als mancher fürs Kino gedachte Film direkt auf Streamingdiensten veröffentlicht wurde, wird nächstes Jahr noch vervielfacht. In den USA sollen alle großen Filmprojekte von Warner Bros. parallel zum Kinostart bei HBO Max abrufbar sein. Bedeutet das auf lange Sicht das Ende des Kino-Vergnügens, so wie wir es kennen?

Wer 2020 aber, sofern möglich, ins Kino gegangen ist, der konnte sich trotz der Weltsituation auf viele schöne Stunden freuen. So bedauerlich die Lage der Kinos gewesen ist, so exzellent war ihr Programm in diesem Jahr!

Die ersten Monate: Oscar-Hits von 2019 jetzt in Deutschland

Foto: Universal Pictures / 20th Century Fox, Schaffte 10 Oscar-Nominierungen und gewann 3 davon: "1917" ist einer der besten Kriegsfilme der letzten Jahre.

Ehe im März 2020 in Deutschland der erste Corona-Lockdown begann, ging das Kinogeschäft die ersten Wochen des Jahres noch seinen gewohnten Gange. Für Kinogänger hieß das wie jedes Jahr: Viele der großen Oscar-Favoriten (und späteren Gewinner), die in den USA schon im Winter des Vorjahres anliefen, starteten auch in Deutschland. Gleich am 2. Januar gab es mit dem ironischen, starbesetzten Krimi "Knives Out – Mord ist Familiensache" den ersten Höhepunkt. Zwei Wochen später startete mit "Bad Boys for Life" einer der nun erfolgreichsten Filme des Jahres, parallel lief auch "1917" an. Das ambitionierte Kriegsfilmepos galt als der Favorit für die Oscarverleihung 2020, gewann letztlich 3 Trophäen.

Ende Januar begeisterten außerdem noch die Oscar-Hits "Little Women", eine Buchverfilmung des Klassikers "Betty und ihre Schwestern", genau wie die Satire "Jojo Rabbit", in er ein Junge der Hitler-Jugend und sein imaginärer Freund Adolf Hitler im Mittelpunkt stehen.

Foto: Warner Bros. Deutschland, Margot Robbie spielte nach "Suicide Squad" zum zweiten Mal die irre Comicfigur Harley Quinn in "Birds of Prey".
Für Cineasten waren Januar und Februar zweifelsohne die besten Monate des Jahres: Im Februar startete "The Gentlemen", eine rasante, brillant inszenierte Gaunergeschichte von Guy Ritchie, die exzellente Kritiken bekam. Auch der Horrorfilm "Der Unsichtbare" erschien hier, und gehört zweifelsohne zu den besten Filmen des Jahres 2020, denn bei allem Grusel erzählt er auch eine Geschichte über weibliche Selbstbestimmung und toxisch aggressive Maskulinität. Für Blockbuster-Fans war Februar 2020 noch aus einem anderen Grund ein besonderer Monat: Hier erschien einer der wenigen Superheldenfilme des Jahres. Es handelte sich um "Harley Quinn: Birds of Prey". Später sollte noch der "X-Men"-Ableger "The New Mutants" folgen, lief aber unter Ausschluss der Öffentlichkeit – und war eine totale Gurke.

Corona schlägt zu: Eine Reihe an Verschiebungen

Foto: Eon Productions Limited / Danjaq LLC / Universal Pictures, Keine Zeit zum Veröffentlichen: Kommt der neue "James Bond"-Film mit Daniel Craig im Jahr 2021 endlich ins Kino?

Im März begann schließlich der erste Lockdown. Die Kinos machten zu. Gerade gestartete sichere Hits wie "Die Känguru-Chroniken" oder gar der Pixar-Animationsfilm "Onward: Keine halben Sachen" mussten pausieren. Geplante Starts wie "James Bond 007: Keine Zeit zu sterben" oder die Horror-Fortsetzung "A Quiet Place 2" wurden verschoben – beide sind bis heute nicht erschienen, sollen erst 2021 anlaufen. Wenn es dann möglich ist.

Auch Filmproduktionen stoppten überall auf der Welt. Die Ungewissheit um die neue Situation rund um das Virus sorgte für skurrile späte Filmerfolge: Im Streaming-Bereich wurde der 2011 erschienene "Contagion" plötzlich ein Oberhit. Schon da erzählte Regisseur Steven Soderbergh von einem Virus, dass sich von China aus über die ganze Welt verbreitet – und seine Ursprünge bei den Fledermäusen hat.

Foto: Warner Bros. Deutschland, In den USA startete "Der Fall Richard Jewell" schon 2019, bei uns lief der neue Film von Clint Eastwood erst in diesem Sommer.
Im Kino herrschte derweil Ebbe, doch die wenigen Filme, die nach den größeren Lockerungen ab Juni anliefen, waren top: "Der Fall Richard Jewell" erzählt eine tragische wahre Geschichte um das Attentat bei den Olympischen Spielen 1996 in Atlanta, fantastisch verfilmt von Clint Eastwood. Auch das sperrige deutsche Epos "Berlin Alexanderplatz" bekam in der ganzen Nation Aufmerksamkeit. Der derbe, aber etwas maue Thriller "Unhinged – Außer Kontrolle" wurde der erste international größere Kinostart seit Beginn der Pandemie und hatte immerhin Russell Crowe an Bord.

"Tenet" kämpft um die Kinos, "Mulan" wandert ins Streaming-Land

Foto: Warner Bros. Deutschland / Syncopy, In "Tenet" bewarb sich John David Washington in der Rolle eines cooler Agenten auf den Posten als schwarzer James Bond.

Der Sommer stand im Zeichen von Christopher Nolan. Der einflussreiche und gefeierte Filmemacher hinter modernen Meisterwerken wie der Comicadaption "The Dark Knight" oder dem künstlerischen Kriegsfilm "Dunkirk" entschied, seinen neuen Film im Sommer 2020 nach Verschiebungen doch noch ins Kino zu bringen. Trotz Corona. Damit verzichtete er freiwillig auf einen ansonst sehr wahrscheinlichen internationalen Hit, und wollte lieber die Kinos unterstützen. Ein großer Blockbuster bringt dem Lichtspielhaus einfach mehr Einnahmen als kleinere Thriller und Kunstkino. Sein komplexes Zeitreise-Meisterwerk "Tenet" wurde kontrovers besprochen, eines ist aber sicher: Die Veröffentlichungsgeschichte des Films war eine Liebeserklärung an die Kino-Fans.

Foto: Disney Deutschland, "Mulan" bekam ein Remake. Kinogänger guckten in die Röhre, bzw. bei Disney+ zu.

Andere hatten diesen Mut und Willen nicht. Der Disney-Konzern veröffentlichte gleich drei große geplante Kinostarts auf dem in Deutschland recht frisch gestarteten Streamingdienst Disney+. Einmal war das der Mitschnitt einer Aufführung des Broadway-Musicals "Hamilton", welches seit 2015 überall auf dem Globus zum Popkultur-Phänomen wurde. Auch die Realverfilmung von "Mulan" wanderte zu Disney+. Erst als kostenpflichtiger "VIP-Stream", seit Dezember aber auch für alle weiteren Nutzer. "Tenet" und "Mulan" stehen sinnbildlich für die zwei Extreme dieses Jahres. Jeder von ihnen war ein Testballon: Können Blockbuster trotz Pandemie im Kino funktionieren? Und geben Zuschauer für einen einzelnen Film als Stream extra Geld aus? Beide Fragen werden in Hollywood noch länger diskutiert werden, je nachdem, wie es mit der Pandemie weitergeht – Erfolge verzeichneten aber beide in ihrem Metier.

Für den dritten Kinofilm, der bei Disney+ seine Veröffentlichung fand, verzichtete der Konzern wieder auf den VIP-Stream für Extra-Geld: Der Animationsfilm "Soul" aus der Pixar-Schmiede erschien direkt für alle Nutzer am 1. Weihnachtstag.

Klassiker laufen wieder in den Kinos

Foto: Warner Bros. Deutschland, Wenn sonst nix Neues ins Kino kommt, müssen "Harry Potter" und seine Freunde das Kommando übernehmen.

Für Kinofans alter Tage hatte die Zeit ohne große Neustarts eine gute Seite: Viele Klassiker schafften es wieder ins Kino. Einige Ketten zeigten u.a. sämtliche Filme der "Harry Potter"-Reihe, auch die "Zurück in die Zukunft"-Trilogie oder gar der originale "Jurassic Park" kehrten auf die Leinwand zurück. Selbiges gilt für die Wiederaufführung von "Inception". Eine besondere Freude: Einige alte Filme schafften es (zumindest in dieser Fassung) erstmals auf die große Leinwand. Die Mutter aller Zombiefilme, "Dawn of the Dead" von 1978 wurde in einer aufgehübschten Version an Halloween gezeigt, und der beklemmende sowjetische Antikriegsfilm "Komm und sieh" schaffte es ebenfalls in neuer Bildquailtät in die deutschen Kinos. Die fürs Kino gedachte neu geschnittene Fassung von "Der Pate 3" erschien dagegen leider nur auf DVD und Blu-ray.

Im November war schließlich alles wieder vorbei. Der Lockdown Light, auf den dann der zweite richtige Lockdown folgte, schloss erneut die Kinos. Viele befürchten jetzt ein Aus für das Kino-Erlebnis, einen Bankrott der großen Kinoketten. Für eine Bekämpfung der Pandemie im Jahr 2021 gibt es Hoffnung, doch Kulturstätten werden es noch länger sehr schwer haben. Ob all die für 2021 geplanten Kinostarts stattfinden, steht in den Sternen. Nur mit alten Filmen werden sich die einzelnen Betreiber nicht über Wasser halten können, sie brauchen das Angebot aus Hollywood.

2020 zeigt: Highlights gibt es auch abseits der Blockbuster

Foto: Universal Pictures, Meta: Filmstar Kristen Stewart spielt Filmstar Jean Seberg. Die wirkte in den 50er und 60er Jahren in zahlreichen französischen Hits mit.

Wer sich aber auch abseits der Blockbuster fürs Kino interessiert, hat vielleicht im Zuge der Maßnahmen noch den ein oder anderen Geheimtipp verpasst: Kurz vor der erneuten Schließung startete Ende Oktober "Kajillionaire". Die dramatische Komödie mit Evan Rachel Wood um eine junge Frau und ihr Verhältnis zu ihren kriminellen Eltern ist für den Autor dieser Zeilen der beste Film 2020 – und dermaßen kraftvoll und wunderschön erzählt, dass man sich der Geschichte unmöglich entziehen kann. Auch die Doku "Für Sama", die international schon 2019, bei uns aber erst dieses Jahr startete, ist ein Meisterwerk. Sie erzählt vom Leben in Aleppo während des syrischen Bürgerkriegs und berührt zutiefst – wenn man sie gesehen hat.

Kristen Stewart überraschte in der Schauspielerinnen-Biografie "Jean Seberg – Against All Enemies" als seriöse Charakterdarstellerin, doch auch der Film selbst begeistert durch seine psychologisch-präzisen Dialogzeilen. Und die neueste, brillante "Pinocchio"-Verfilmung aus Italien lief zwar im Kino bei uns nur auf der Berlinale, schaffte aber wenigstens noch eine Heimkino-Veröffentlichung. Aber Vorwarnung: Für Kinder ist dieser schaurig-skurrile Märchenfilm des entrückten Regie-Genies Matteo Garrone garantiert nichts.

Vielleicht ist die aktuelle Kino-Krise auch eine Chance, die kleineren Filme zu entdecken, die trotzdem laufen, selbst wenn die Hollywood-Blockbuster aus Angst vor Einbußen einen Rückzieher ins Digitale machen. Vielleicht lohnt es sich, sobald wieder gefahrlos möglich, sobald die Infektionszahlen sinken, das heimische Kino zu unterstützen, obwohl gerade kein Superheldenspektakel läuft. Eines steht fest: Wenn es uns möglich sein wird, sitzen wir 2021 wieder im Kino – und freuen uns auf das hoffentlich genauso exzellente Angebot.