Aktuell macht es keinen großen Spaß, Filmfan zu sein. Egal auf was man sich freut, ob "Wonder Woman 1984", "Fast & Furious 9" oder das neue Sci-Fi-Spektakel "Dune": Kein großer Hollywood-Film bleibt derweil ohne Verschiebung aus. Überall steigen die Corona-Zahlen, vielerorts wird über neue Lockdowns diskutiert. Die großen Studios bringen ihre Schäfchen ins Trockene – und haben bereits jetzt das Kinojahr 2021 mit "alten" Projekten verplant.
Zuletzt sorgte die Verschiebung von "James Bond 007 – Keine Zeit zu sterben" für einen Paukenschlag: Als die Macher bekannt gaben, der Film käme nun doch erst nächstes Jahr im April ins Lichtspielhaus, kündigte der zweitgrößte Kinobetreiber der Welt Cineworld einen drastischen Schritt an und ließ vorübergehend alle seine Kinos in den USA, Großbritannien und Irland schließen. Die Studios leisten sich bei aller begründeten finanziellen Sorge ein gefährliches Spiel mit dem Feuer. Wenn das so weitergeht, wird es auch nach der Coronakrise kaum Filme in den Kinos geben – weil es keine Kinos mehr geben wird.
Ein Kampf um das Überleben
Ohne mögliche Kassenschlager ist die Branche "nicht überlebensfähig"– So zitierte die Sunday Times ein Schreiben von Cineworld, kurz nachdem "James Bond" sich ins Jahr 2021 zurückzog. Die Schließungen, die Cineworld aufgrund der 007-Verschiebung beschloss, kostete bereits 45.000 Angestellten den Job. Die Kinokette vermeldete Verluste von 1,37 Milliarden Euro – und das nur für''s erste Halbjahr 2020. Auch der CEO der britischen Kinokette Vue International Tim Richards befürchtet, seine Kinos in Großbritannen schließen zu müssen, wie er gegenüber Deadline erzählt. Er verstehe die Situation der Studios, macht aber auch klar: "Unser Plädoyer lautet: ''Wir sind bereit, aber wir brauchen Filme.''"
Dabei ist es ja nicht so, dass es an Filmen mangeln würde. Jeden Donnerstag kommen allein in Deutschland trotz Corona zwischen 10 und 15 Filmen ins Kino. Nur erreichen die selbst zusammengerechnet nicht das Publikum, welches ein großer US-Hollywood-Blockbuster erreichen würde. Kleine Kinoketten oder gar traditionell geführte alleinstehende Kinos stehen vor dem Ruin.
Kinoerlebnis vs. Streaming at home
Tatsächlich wurden nicht alle größeren Filme verschoben – einige flüchten ins Streaming. Große geplante Kinoveröffentlichungen landeten so direkt auf dem heimischen Bildschirm. Disney verfrachtete das "Mulan"-Remake und den Musicalmitschnitt von "Hamilton" auf Disney+, der fürs Kino vorgesehene "Greyhound" mit Superstar Tom Hanks wurde am Ende für Kunden von Apple TV+ verfügbar gestellt.
Bei alle dem geht für Filmfans vor allem eins verloren: die Magie des Kinos. Kein Heimkino-System der Welt kann das Gemeinschaftsgefühl ersetzen, in einem Kinosaal vor rotem Samtvorhang zu sitzen. Die Tüte Chips beim Netflix-Gucken kann kaum mit dem Popcorn-Geruch im abgedunkelten Lichtspielhaus konkurrieren. Ins Kino zu gehen bedeutet, sich ganz in die Welt eines Films fallen zu lassen, sich den ganzen Tag auf den abendlichen Besuch im Kino zu freuen, sich die Zeit für Hin- und Rückfahrt zu nehmen und dann bei Start des Films alle Sorgen baumeln zu lassen und zwei Stunden lang einer Illusion zu glauben.
Genau das also, was wir alle (mit genügend Sicherheitsvorkehrungen, gewaschenen Händen und Maskenpflicht) brauchen: Eskapismus. Der Realität zumindest kurzzeitig entfliehen und fantastische, bildgewaltige Erlebnisse zu machen. Wenn wir schon unser Leben einschränken müssen, dann sollten wir wenigstens im Kino noch etwas erleben dürfen. Möglich wäre das trotz Pandemie problemlos: Vor ein paar Monaten zeigte eine Studie des Hermann-Rietschel-Instituts der Technischen Universität Berlin, dass ein Gang ins Kino weniger Corona-Infektionsgefahr bietet als die Arbeit in einem Büroraum, wie PNP berichtete.
Nicht umsonst wurden Kinobetreibern extreme Corona-Hygienevorschriften auferlegt, die die Sicherheit der Zuschauer gewährleisten sollen. Eines ist dabei klar: Natürlich ist man aktuell nirgendwo sicherer als in den eigenen vier Wänden. Doch alleine oder zu zweit ist ein Kinobesuch für viele Personen unter den aktuellen Auflagen möglich – wie zum Beispiel auch Restaurant-Besuche. Nur während die Speisekarten dort nach wie vor gefüllt sind, wird das Menü im Kino immer dürftiger. Große Filme schaffen Anreize!
"Tenet" oder: Der Versuch, die Kinolandschaft zu retten
Zumindest ein Studio hatte in den letzten Monaten den Mut, einen antizipierten Blockbuster ins Kino zu bringen: Warner Bros. Gemeinsam mit ihrem Prestige-Regisseur Christopher Nolan veröffentlichten sie den actiongeladenen Blockbuster "Tenet". Dem rätselhaften Action-Epos blieb zwar den weltweiten Umständen entsprechend ein echter Erfolg verwehrt, doch die Stars John David Washington und Robert Pattinson lockten genug Zuschauer in die Kinos, um diese erstmal über Wasser halten zu können. "Tenet" weckte wieder Interesse und Sehnsucht nach dem Kino-Erlebnis. Allein in Deutschland sahen ihn trotz Corona-Maßnahmen mehr als eine Million Menschen, so InsideKino.
Als ich "Tenet" im Kino gesehen habe, ist mir schmerzlich bewusst geworden, wie leer die Filmwelt ohne Kinos wäre. Wenn Christopher Nolan dort die spektakuläre Crash-Szene eines Flugzeugs in fulminante Bilder packt, gehört das auf die größtmögliche Leinwand. Und wenn er einen komplexen Zeitreise-Plot erzählt, gebührt dem Film unsere volle Aufmerksamkeit. Große Blockbuster werden für das Kino gedreht – und wenn die Studios ihre Filme auf immer spätere Termine verschieben, gibt es vielleicht gar nicht mehr genügend Kinos.
Überall wird gerade zur Solidarität aufgerufen. Das sollte auch für Hollywood gelten. Liebe Studios: Bekundet eure Solidarität mit den Kinos. Veröffentlicht eure Filme. Lebt mit den finanziellen Einbußen. Wir kommen nur gemeinsam durch die Krise. Ihr habt die Zukunft des Kinos in der Hand.