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Unsere wunderbaren Jahre: Peter Prange über sein Stück Familiengeschichte

"Wir haben allen Grund, uns zu vergegenwärtigen, welches Glück wir haben, hier und heute in Deutschland zu leben"

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"Unsere wunderbaren Jahre": Ulla Wolf (Elisa Schlott) strahlt Tommy Weidner (David Schutter) an, als sie hinter ihm auf dem Motorrad sitzt. WDR/UFA Fiction/Willi Weber

Der Roman heißt "Unsere wunderbaren Jahre". Wann und wie haben Sie den Titel gefunden?

Der Titel stand von Anfang an fest – eine Augenblicksentscheidung. Dabei hatte ich die ja wirklich "wunderbare" Entwicklung Deutschlands vor Augen, von den Anfängen in den Trümmern des Nazi-Regimes hin zu dem Gemeinwesen, in dem wir heute leben. Ein Journalist hat mich mal gefragt, in welcher Zeit ich, als Autor von historischen Romanen, gerne leben würde. Meine spontane Antwort: hier und jetzt, zu Beginn des 21. Jahrhunderts. In diesem Interview ist mir zum ersten Mal klargeworden, was für ein unglaubliches Glück es ist, im großen Raum-Zeit-Koordinaten-System 1955 in Altena im Sauerland geboren worden zu sein. Dreißig Jahre früher wäre ich in die Nazi-Katastrophe geraten, 500 Kilometer weiter östlich hätte ich die Segnungen des Arbeiter-und-Bauern-Staates erlebt. Wir haben allen Grund, uns zu vergegenwärtigen, welches Glück wir haben, hier und heute in Deutschland zu leben und ich denke, dass eine Geschichte wie "Unsere wunderbaren Jahre" dazu beitragen kann. Sie zeigt, aus was für dunklen Anfängen heraus unsere Eltern und Großeltern es geschafft haben, einen so lebenswertes Land wie das heutige Deutschland zu schaffen. Es geht uns objektiv gesehen besser, als es Deutschen jemals ging und trotzdem ist die Wahrnehmung oft so, als stünden wir am Rande des Abgrunds. Vielleicht können wir mit Geschichten wie dieser erkennen, dass es keine Selbstverständlichkeit ist, wie gut es uns heute geht und dass wir allen Grund haben, uns zu wehren, wenn wieder irgendwelche Rattenfänger uns weismachen wollen, dass dieses Land dem Untergang geweiht sei und deshalb andere Seiten aufgezogen werden müssen – und zwar genau jene, an denen Deutschland 1945 zugrunde ging.

Die Jahre nach dem Krieg waren durch Verdrängung und Amnestie geprägt, einiges wurde nicht so aufgearbeitet, wie es vielleicht wünschenswert war. Aber dahinter steckten auch klare wirtschaftliche Absichten. Die Wirtschaft sollte schnell wieder angekurbelt werden. Wie haben Sie die Figuren im Roman in Bezug darauf angelegt?

In meinem Roman steht dafür die Figur Böcker. Er gehört zu den sogenannten Funktionseliten. Gegen Ende des Krieges gab es bekanntlich den Morgenthau-Plan [damaliger US-Finanzminister, Anm. d. Red.]. Danach sollte Deutschland in einen Agrarstaat verwandelt werden, damit von diesem Land aus nach zwei Weltkriegen nie wieder Krieg ausgehen sollte. Von diesem Plan ist man allerdings schnell abgerückt, weil in der geopolitischen Situation ein neues Freund-Feind-Verhältnis entstand: zwischen Ost und West, Kommunismus und Kapitalismus, Russland und Amerika. Amerika brauchte starke Verbündete in Europa. Das war unser Glück, deshalb ist uns die Demontage weitestgehend erspart geblieben. Man hat uns sogar mit dem Marshall-Plan [Konjunkturprogramm der USA, Anm. d. Red.] wieder auf die Beine geholfen und auf der Schuldenkonferenz in London 1953 wurde der Bundesrepublik ein Großteil der Kriegsschulden erlassen. Die Betriebe der DDR sind dagegen gnadenlos demontiert worden, unsere Brüder und Schwestern im Osten bekamen keine Unterstützung und mussten alle Schulden zurückzahlen. Das westdeutsche Wirtschaftswunder verdankt sich also äußerst glücklichen Umständen. Auf diesem Hintergrund wird verständlich, warum man sich damals entschied, die früheren Funktionseliten, also Böcker und Co., wieder mitmachen zu lassen, statt sie hinter Schloss und Riegel zu bringen – weil man eben glaubte, sonst keine funktionierenden Strukturen in Verwaltung, Wirtschaft und Justiz aufbauen zu können. Daran krankte die Bundesrepublik noch jahrzehntelang. Die Revolten in den Sechzigern waren dann Ausdruck des Unmuts darüber, dass es diese braune Grundierung unter der pastellfarbenen Tapete des Wirtschaftswunders gab.

"Es war nicht alles märchenhaft"

Ihr Roman hat den Untertitel "ein deutsches Märchen". In einem klassischen Märchen gibt es ja diese Grundfiguren: Das Gute und das Böse. Ist das in ihrem Roman auch so einfach?

Für mich war die Entwicklung Deutschlands – die Wiederauferstehung in so kurzer Zeit aus den Trümmern des Nazi-Regimes - das märchenhafte Element der Geschichte. Aber es war eben nicht nur alles märchenhaft, zur ganzen Wahrheit gehört auch, dass unter dieser pastellfarbenen, schönen Oberfläche eben diese braune Grundierung lag. Diese Widersprüchlichkeit bestimmt auch die Frage nach Gut und Böse. Im Buch habe ich versucht zu zeigen, dass auch die Helden, die positiven Figuren, ihre Schattenseiten hatten und umgekehrt die Schurken nicht nur Schurken waren. Im Roman gibt es eine rührende Szene mit Böcker. Er ist mit Ruth alias Margot liiert, dem schwarzen Schaf der Familie. Als sie von einer bedrückenden Weihnachtsfeier, in der sie ihr Außenseitertum sehr eindringlich zu spüren bekommt, aus der elterlichen Villa in ihre kleine Wohnung zurückkehrt, überrascht Böcker sie mit einer zweiten Feier an diesem Heiligen Abend, die er sehr liebevoll für sie vorbereitet hat, mit einem Weihnachtsbaum und wunderbaren Geschenken. Nein, kein Mensch ist ausschließlich gut oder ausschließlich böse, das gibt es nicht im wirklichen Leben. Deshalb finde es viel spannender, auch in fiktiven Geschichten die Menschen in ihrer Widersprüchlichkeit darzustellen statt einfach in Schwarz oder Weiß.

Sie haben die Geschichte in Altena spielen lassen. Was bedeutet Heimat für Sie?

Ich habe zwei Heimaten. Ich komme aus Altena im Sauerland, lebe aber seit über vierzig Jahren in Tübingen bei den Schwaben. Das ist ein riesiger Kulturbruch. Wenn ich von Zuhause rede, meine ich komischerweise immer noch Altena. Dabei lebe ich schon mehr als doppelt so lange in Tübingen. Meine zwei Heimaten charakterisiere ich gerne so: Ich habe eine Heimat zum Schützenfest- und Weihnachtenfeiern, das ist Altena, und dann habe ich eine Heimat zum "Schaffen" und das ist Tübingen (lacht).

Würden Sie sich über eine Fortsetzung der Serie / Filmreihe freuen? [Anm. d. Red.: In der Mediathek sind die drei Filme als sechsteilige Serie zu sehen.]

Klar, es wäre natürlich großartig, wenn wir irgendwann den ganzen Bogen des Romans auch im Film schlagen könnten: Die Geschichte der Bundesrepublik vom ersten Tag der D-Mark bis zur Einführung des Euro.

Warum sollten junge Zuschauer einschalten?

Um zu begreifen, warum Oma und Opa so bekloppt sind – oder auch nicht (lacht). Im Ernst, man kann sich selbst nicht verstehen, wenn man seine Wurzeln nicht kennt. "Unsere wunderbaren Jahre" erzählt, wie wir wurden, was wir sind. Ein Beispiel: Brot soll man nicht wegwerfen. Das gilt auch heute noch, stammt aber aus dieser Zeit, die geprägt war von schierer Not. Ganz viele Denkmuster und Verhaltensweisen, die uns heute selbstverständlich scheinen, hatten damals ihren Ursprung.

Vielen Dank für das Gespräch!

"Unser wunderbaren Jahre" läuft am Mittwoch, 18.3., Samstag, 21.3. und Mittwoch 25.3., jeweils um 20:40 Uhr in der ARD. Vorab ist die Sendung bereits in der Mediathek zu sehen.

Hinweis: Das Interview wurde Ende Januar 2020 geführt.