"Wie wir wurden, was wir sind", das wird in Peter Pranges Roman "Unsere wunderbaren Jahre" auf über 900 Seiten am Beispiel der Familie Wolf in Altena gezeigt. Die drei Schwestern Ruth (in der Verfilmung Margot), Ulla und Gundel starten nach Kriegsende einen Neuanfang - jede auf ihre Weise. In Hamburg trafen wir Peter Prange nach der Sichtung des ersten Teils (Erstausstrahlung: 18. März, 20:40 Uhr, ARD), in dem u. a. Katja Riemann, Anna Maria Mühe, Elisa Schlott und Vanessa Loibl zu sehen sind. Der in Tübingen lebende Sauerländer Prange zeigte sich begeistert: "Es ist ein bisschen so, als würde man durch seine eigenen Träume spazieren. Das habe ich mir ja irgendwann einmal alles so ausgedacht und jetzt haben sich meine Fantasien materialisiert", sagte er mit einem Lächeln im Gesicht. Bereits bevor die ersten Worte geschrieben waren, war für ihn klar, dass sich der Stoff seiner Geschichte für die Erzählform im TV eignet. Warum ihn die deutsche Geschichte so fasziniert, hat er uns im Gespräch erläutert.
Peter Prange im Interview
TVSPIELFILM.de: Herr Prange, hatten Sie beim Drehbuch zur Geschichte ein Mitspracherecht oder Handlungsspielraum?
Peter Prange: Wenn man als Romanautor die Lizenz verkauft, kann der Produzent juristisch damit machen, was er will. Doch zum Glück haben Benjamin Benedict [Filmproduzent, Anm. d. Red.] und ich seit Jahren ein freundschaftliches Verhältnis, darum wurde ich zusammen mit dem Regisseur [Elmar Fischer, Anm. d. Red.] und den beiden Drehbuchautoren [Robert Krause und Florian Puchert, Anm. d. Red.] in den Entwicklungsprozess einbezogen. Hoffentlich nicht zum Schaden für das Endergebnis. (lacht)
Gab es denn einen inhaltlichen Aspekt, bei dem sie unterschiedlicher Meinung waren?
Bei mir ist der Vater der drei Schwestern, Eduard Wolf, der einzige Gerechte in Altena, der ausgerechnet dadurch, dass er einem Juden zur Flucht verhilft, zum Mittäter wird. Er kann seinem Freund nur helfen, indem er woanders Konzessionen macht. Mit dieser Figur wollte ich zeigen, dass es im Nazi-System nahezu unmöglich war, schuldlos zu bleiben. In der Serie dagegen handelt Eduard eher aus materiellem Interesse.
Schade ist auch, dass eine Figur ganz auf der Strecke geblieben ist, Bernd Wilke. Im Roman steht er für das deutsche Wirtschaftswunder schlechthin. Er kauft von seinen 40 Mark "Kopfgeld" eine gebrauchte Betonmischmaschine, um sich als Bauunternehmer am Wiederaufbau zu beteiligen – damals, als alles in Trümmern lag, die nächstliegende Geschäftsidee. Aber ich bin mir im Klaren, dass nicht alles wiedergegeben werden kann, was ich im Roman erzähle. Eine Verfilmung verhält sich zum Roman wie ein Klavierauszug zu der vollorchestrierten Symphonie. Man erkennt die Melodie und die Leitmotive, aber man darf nicht erwarten, dass der Film die komplette Orchestrierung der eigenen Ideen liefert. Dann bräuchten wir eher zehn statt drei Mal neunzig Minuten. (lacht)
Hatten Sie beim Schreiben des Romans bereits im Sinn, dass sie es gerne verfilmt hätten?
Ich bin mit meiner Idee zu Benjamin Benedict gegangen, noch bevor ich den Roman geschrieben habe. Wir kannten uns von einem anderen Projekt und ich hatte das Gefühl, dass meine Geschichte ihn interessieren müsste. Zu Recht, er sprang auf die Idee sofort an: Das passt ja wunderbar, so seine spontane Reaktion, die Geschichte ist ja zeitlich und thematisch die organische Anknüpfung an "Unsere Mütter, unsere Väter" – damals ein riesiger Erfolg.
Die Idee kam ihm an der Ladenkasse
Warum wollten Sie diese Geschichte erzählen?
Die Idee kam mir am 2. Januar 2002, als ich zum ersten Mal an einer Ladenkasse mit Euro bezahlte. Da fiel mir ein, dass es 1948 schon einmal neues Geld in Deutschland gab: die D-Mark. Mir war in der Sekunde klar, dass in der Idee zwei Themen steckten, die mich brennend interessierten. Zum einen die biblische Frage: Was hast du mit deinen Talenten gemacht? Ein urliterarisches Thema! Und zum anderen die Möglichkeit, entlang des Geldes die Geschichte der Bundesrepublik zu erzählen. Die Entwicklung des Geldes war der Entwicklung der Gesellschaft und der Politik ja immer einen Schritt voraus. Damals wusste ich allerdings noch nicht, wo ich die Geschichte verorten, mit welchen Figuren ich sie verkörpern könnte. Als ich später nach dem Tod meiner Eltern deren Liebesbriefe fand, fiel es mir bei der Lektüre wie Schuppen von den Augen. Ich musste für diese Geschichte meine eigene Familiengeschichte und die meiner Heimatstadt Altena nutzen. Erst danach erinnerte ich mich, dass in Altena früher die Rohlinge der D-Mark produziert wurden. Es war wie ein Fingerzeig Gottes: Die Geschichte kann nur in Altena spielen! Aus dieser überschaubaren Provinzsituation mit den sechs Freunden ließ sich die Geschichte des ganzen Landes erzählen. Das war meine Motivation, schließlich bin ich ein Kind der 50er Jahre. Alles, was damals passiert ist, hat mich und mein Leben bis heute geprägt.
Wann war für Sie klar, dass es Familie Wolf mit den drei Töchtern ist, die den Mittelpunkt ausmachen?
Das war eine Entscheidung aus dem Bauch heraus. Ich sah die drei Schwestern einfach vor mir, wie in meiner eigenen Familie, die Figuren heißen deshalb auch wie meine Tanten, bis auf Margot, die im Roman Ruth heißt. Wenn ich also Elisa Schlott, Vanessa Loibl und Anna Maria Mühe sehe, sehe ich meine Tanten (lacht).
Die Figur der Margot wurde in der Serie stark verändert, deshalb auch die Namensänderung. Finden Sie das schade?
Da ich das konkrete und in Teilen sehr harte Schicksal meiner Tante vor Augen habe, bin ich wahrscheinlich nicht der Richtige, um darüber zu urteilen. Am Schluss kommt es immer darauf an, dass die Geschichte in sich stimmig ist, im Film wie im Roman. Und das ist sie.