Ein mit namhaften US-Stars in Spanien gedrehter Western eines französischen Arthouse-Filmemachers gewinnt 2018 den Regiepreis beim wichtigen Filmfestival in Venedig – "The Sisters Brothers" von Jacques Audiard hat eine ganze Menge Unmöglich­keiten zu bieten, von Brutalität und Toten ganz zu schweigen.
Audiard, geboren 1952 in Paris, hat schon viele Preise gewonnen, nicht nur in Venedig, für dramatisch-wirkungsvolle Filme wie "Ein Prophet" und zuletzt "Dämonen und Wunder – Dheepan". "The Sisters Brothers" ist sein Debüt in englischer Sprache.

Ein Western aus Frankreich? Er selbst kenne nur einen französischen Regisseur, der in den 1920er-Jahren irgendwo im Süden Frankreichs, vermutlich in der Camargue, Western gedreht habe, so Audiard. Ihm gehe es auch gar nicht so sehr um das Genre, die meiste Recherche-Arbeit habe die vielfach preisgekrönte Kostüm­designerin Milena Canonero ("Grand Budapest Hotel") sowie die Ausstattungsabteilung geleistet. Der Regisseur ist kein Fan von Cowboyhüten und Colts. Western, sagt er, seien eigentlich langweilig, wichtig allein die Charaktere und wie man sie im Laufe der Story transformiere – das kleine Einmaleins der filmischen Dramaturgie.

Joaquin Phoenix und John C. Reil­ly sind als titelgebende Kopfgeldjäger und Brüder Charlie und Eli Sisters auf der Suche nach einem flüchtigen Goldgräber. Ihnen stets einen Schritt voraus ist Privatdetektiv John Morris, gespielt von Jake Gyllenhaal. Ein Gespräch unter Männern, vielleicht Brüdern im Geiste…

Joaquin, Sie und John sind die
Sisters Brothers. Wie haben Sie es geschafft, dass die Chemie zwischen Ihnen so stimmig ist?

Joaquin Phoenix Das war natürlich ein wichtiger Bestandteil des Films, dass es zwischen uns passt; diese beiden Typen machen ja alles gemeinsam. Es lag auch entscheidend an der Umgebung, das ist jedenfalls oft meine Erfahrung.
Inwiefern war das entscheidend?
Phoenix In diesem Fall waren wir zwei lange Zeit die einzigen Amerikaner in einem fremden Land unter einer fremden Crew. Ein bisschen hat das die Erfahrung unserer Fi­guren gespiegelt, wenn sie im Film  sich auf ihre ­Reise begeben. Ich weiß nicht, wie es geworden wäre, wenn wir den Film in Los Angeles gedreht hätten.
Sie waren aufeinander angewiesen.
Phoenix Ja, es gab niemanden sonst. Deshalb haben wir eine Menge Zeit miteinander verbracht, und das war wichtig. Die Filmbrüder haben ja eine gemeinsame Vorgeschichte.

John, Sie haben selbst mehrere Brüder. Haben Sie zu einem von ihnen eine ähnliche Beziehung wie jetzt zu Joaquin?
John C. Reilly Gute Frage. Tatsächlich erinnert Joaquin mich an ­einen meiner Brüder, um die Augen herum und von der Persönlichkeit her. Auch die Dynamik zwischen mir und Joaquin lässt mich an einige Episoden aus brüderlicher Vergangenheit denken. (lacht) Aber wenn man eine Rolle angeht, basiert das nie nur auf einer Sache, einer Person oder einer Beziehung. Bei mir liegt es vielleicht auch daran, dass ich schon in vielen Duos gespielt habe.

Wie mit Will Ferrell in "Stiefbrüder" oder zuletzt "Holmes & Watson"?
Reilly Genau. Irgendwie scheinen mich solche Rollen, solche Geschichten anzuziehen. Ich hatte mein ganzes Leben lang schon sehr intensive brüderliche Verbindungen zu Menschen, ob Freunde, Schauspieler, Filmemacher oder wirkliche Brüder. Diesen Verbindungen entkommst du nie mehr, ob du willst oder nicht.
Jake Gyllenhaal Was wirklich cool an diesem Film ist: Es gibt zwar eine Menge Gerede über Männlichkeit und darüber, wie die Generationen vor ihnen diese Männer beeinflusst haben, wie sie wurden, was sie sind, was sie suchen. Aber jeder dieser Charaktere hat eine ganz besondere Beziehung zu seinem Vater. Deshalb bewundere ich auch auf bestimmte Art die Figur des John Morris. Auch deshalb habe ich sofort die Gelegenheit ergriffen, hier mitzumachen, neben anderen Gründen.
Phoenix Für mich waren diese Jungs im Grunde noch Kinder, Eli und Charlie. Wir haben über sie immer als eine Art Kindersoldaten gesprochen, so jung sind sie in diesen Kreislauf aus Gewalt geraten. Sie sind nie erwachsen geworden, trotz des Killerjobs, den sie machen.

Wie ist eigentlich Ihre eigene Beziehung zum Westerngenre?
Phoenix Ich weiß nicht mal, ob ich Western wirklich mag, was vielleicht daran liegt, dass ich noch nie einen wirklich guten Western gesehen habe. (lacht) Sorry, ich tue vielen jetzt sicher Unrecht, es gibt bestimmt ganz tolle Filme und Figuren, aber mich hat das nie so interessiert.
Was hat Ihr Regisseur dazu gesagt?
Phoenix Als ich Jacques gebeichtet habe, dass ich gar nicht weiß, ob ich Western wirklich mag, meinte er nur, das sei völlig in Ordnung, ihm gehe es ähnlich. (lacht)
Reilly Ich habe die Western, die ich heute mag, erst später entdeckt. Zum Beispiel liebe ich den Klassiker "12 Uhr mittags", aber den habe ich als Kind nie gesehen, dafür solche Filme wie "Der Texaner" und "Zwei glorreiche Halunken".

Basieren die Sisters Brothers eigentlich auf realen Vorbildern?
Reilly Das wäre jetzt eher eine Frage für Patrick DeWitt, den Autor der Romanvorlage, aber nein, das tun sie nicht. Zumindest gibt es keine historischen Vorbilder, aber viele historische Details sind korrekt, gerade was die Zeit des Goldrauschs in und um San Francisco betrifft. Ich habe ein unfassbares historisches Archivfoto gesehen, das die San Francisco Bay zeigt, die aussieht wie ein Wald ohne Blätter, wie Hunderte von Bäumen. Aber es sind die Masten der vielen Schiffe, die damals nach Kalifornien kamen. Und wissen Sie, was passierte, sobald der Kapitän anlegte?
Nein, was?
Reilly Er verlor sofort seine Crew. Die gesamte Besatzung haute einfach ab, um nach Gold zu suchen! Schiffe aus aller Welt wurden teils einfach aufgegeben. Bis heute liegen in der Bay etliche Schiffswracks. Das alles war der Goldrausch.

Sie haben in Spanien und Rumänien gedreht. Wie war's?
Gyllenhaal Ich mag es, mal aus New York rauszukommen, in die Wildnis. Das Tolle war: Manchmal brauchte es anderthalb Tage, um dahin zu kommen, wo wir uns einfinden sollten, und dann noch zwei Stunden bis zur nächsten Location – wo es meist kein Netz gab und wir als Gruppe darauf warteten, von Jacques aufgerufen zu werden. Man hat meist nicht viel Geduld beim Filmemachen, aber da hatten wir sie.

John, Sie sind auch Produzent des Films. Ist es richtig, dass im Grunde Sie Jacques Audiard als Regisseur dafür ausgesucht haben?
Reilly Die Wahrheit ist: Jacques hat uns alle ausgesucht. (lacht) Aber es stimmt, ich habe ihm das Projekt angeboten, vielmehr wir, denn eigentlich war es die Idee meiner Frau (Produzentin Alison Dickey). Sie war schon lange ein großer Fan von
Jacques' Filmen. Und dann haben wir uns entschlossen, hier etwas anders als üblich vorzugehen.
Nämlich?
Reilly Normalerweise kaufen Produzenten die Rechte an einem Stoff, sammeln das nötige Geld ein und ­engagieren die Leute, die alles genau so ausführen sollen, wie sie sich das vorstellen. Da es für mich das erste Mal als Produzent war, haben wir ­damit angefangen, die Leute zusammenzusuchen, mit denen wir dieses Projekt exakt so machen wollten – Regisseur, Autor, Schauspieler. Erst dann haben wir uns auf die Suche nach dem Geld gemacht.
Gyllenhaal Tatsächlich stalke ich Jacques Audiard schon sehr lange auf allen möglichen Filmfestivals. Ich war in der Jury in Cannes, als er für "Dheepan" die Goldene Palme gewann, und ich dachte, das wäre für mich die Gelegenheit, ihn herzlich zu umarmen. Daraus ist eine ziemlich unangenehme Situation geworden, für uns beide. (lacht) Deshalb ging es mir gar nicht um das Buch oder die Geschichte der "Sisters Brothers" oder gar das Westerngenre. Mir ging es allein um Jacques. Wenn er mir gesagt hätte, ich solle mich für irgendeinen seltsamen Genrefilm kopfüber anzünden, ich hätte es getan. Ich gehe hin, wohin auch immer er möchte.