Es ist eine traurige Wahrheit: Wer Fan von guten Sci-Fi-Serien ist, hat es aktuell nicht leicht. Ein meisterhaftes Epos wie "Westworld" läuft derzeit in der vierten Staffel und hat in den USA und in Deutschland Quoten, die Fans Sorgen bereiten dürfen. Vor Kurzem gab in den USA HBO Max bekannt, dass die geniale und experimentell-epische Sci-Fi-Parabel "Raised by Wolves" nach zwei Staffeln abgesetzt wird – und damit offen endet und nur einen Haufen frustrierter Fans hinterlässt.

Amazon Prime Video schließt sich jetzt an. Noch im Mai war beim Anbieter das Drama "Night Sky" als eine ihrer bislang aufwendigsten Produktionen gestartet und konnte sich über tolle Kritiken freuen. Doch die starbesetzte Weltraum-Serie ist nun schon wieder Geschichte. Eine weitere Staffel wird es nicht geben – erneut bleibt ein offenes Ende offen. Eine Entscheidung, die verärgert und wiederholt das Vertrauen in Streaminganbieter erschüttert.

Romantische Science-Fiction: Die Story von "Night Sky"

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Sissy Spacek und J.K. Simmons sind hinreißend als Liebespaar in "Night Sky".

Dass eine Serie wie "Night Sky" es im aktuellen Streamingdschungel überhaupt bis zur Veröffentlichung geschafft hat, ist schon für sich eine Leistung. Die Serie dreht sich um das ältere Ehepaar Franklin (J.K. Simmons) und Irene York (Sissy Spacek), die vor Jahren in ihrem Schuppen im Garten eine Kammer entdeckt haben, in der sich ein Portal zu einem anderen, verlassenen Planeten befindet. Gemeinsam nutzten sie das Portal über die Jahre, um sich die Sterne auf eine ganz andere Art anzuschauen und sahen den fremden Planeten als ihr Liebesnest, das ihnen in schlechten Zeiten Trost spendete. Ihr Geheimnis droht aber ans Licht zu kommen, als ein junger Mann (Chai Hansen) in ihr Leben tritt und mehr zu wissen scheint, als er sollte.

"Night Sky" war dabei weniger Mystery à la "Lost", als es klingt. Es handelte sich hier um eine langsame, ruhige und meditative Liebesgeschichte zweier Senioren, die sich über die Jahrzehnte ihre Fähigkeiten bewahrt haben, zu staunen, sich von den Sternen begeistern zu lassen und sich dabei noch lieben wie am ersten Tag. Als das Portal in Gefahr gerät, ist das für beide eine Katastrophe, denn damit stehen auch viele ihrer gemeinsamen Erinnerungen auf dem Spiel. Gleichzeitig wecken die Geschehnisse ihre Neugierde: Woher kommt das Portal eigentlich? Warum ist es in ihrem Garten? Und ist das alles überhaupt wichtig?

Sci-Fi-Fans werden "Night Sky" vermissen

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Im Englischen spricht man bei Szenen vom "Sense of Wonder", wenn sie einen staunen lassen. "Night Sky" ist voll von solchen Momenten.

Man merkt es an der Beschreibung des Inhalts: "Night Sky" ist kein "Star Wars", keine Actionserie, keine Serie mit viel Tempo. Aber damit traf sie unter Sci-Fi-Fans einen Nerv, der lange unberührt blieb: Menschen erzählen sich Sci-Fi-Geschichten seit über 100 Jahren. Es gab Geschichten über Reisen zum Mond, lange bevor Neil Armstrong geboren wurde. Sci-Fi als Genre führt uns in Welten, die wir uns im Traum nicht vorstellen könnten. Es lässt unsere Augen groß werden, uns staunen. Es macht Erwachsene wieder zu Kindern. Deshalb ist "2001: Odyssee im Weltraum" bis heute der wichtigste Sci-Fi-Film aller Zeiten, deshalb ist "Unheimliche Begegnung der dritten Art" trotz angestaubter Effekte bis heute ein Meisterwerk.

"Night Sky" war genau das: Eine Serie über und für Menschen, die noch staunen können und wollen, die sich Zeit nehmen, die kleinen und großen Dinge gleichermaßen zu schätzen – sowohl das geheimnisvolle Portal direkt zu den Sternen als auch das bescheidene Leben in Zweisamkeit. Doch mit dieser langsamen, einfühlsamen Erzählweise war "Night Sky" vielleicht zu langsam in einer schnelllebigen Streamingwelt, in der Content längst ein wichtigeres Schlagwort als Inhalt geworden ist.

Nach zig Absetzungen: Verlieren Streamingdienste unser Vertrauen?

Aber nur deshalb "Night Sky" mit offenem Ende jetzt abzusetzen, ist eine Fehlentscheidung – so oder so. Nach der großen Absetzungswelle von Netflix in vergangener Zeit, der etwa "Glow" und "Jupiter's Legacy" zum Opfer fielen, und der Entscheidung von HBO Max, die Prestige-Produktion "Raised by Wolves" (hierzulande bei WOW) ohne vernünftigen Abschluss abzusägen, hat jetzt auch Amazon Prime Video bewiesen, dass ihnen nicht zu trauen ist.

Warum sollten Zuschauer noch Energie, Zeit und Liebe in neue Serien investieren, wenn sie nie sicher sein können, ob es die Mühe wert sein wird? Die Absetzung von "Night Sky" sollte uns daher alle traurig stimmen.

Wenn es Geschichten um Liebe und Begeisterung nicht mehr wert sind, bis zum Ende erzählt zu werden – was denn dann?