Die "James Bond"-Ära von Daniel Craig ist Geschichte. Sein fünfter und letzter 007-Einsatz ist angelaufen, hat in Deutschland trotz Pandemiegeschehen beeindruckende Zuschauermassen ins Kino gelockt, über fünf Millionen Menschen sahen das Finale für diesen Bond. Craig hinterlässt vier Bond-Filme, die allesamt ihre Anhänger haben: Sein Einstand "Casino Royale", der große Achtungserfolg "Skyfall", die nostalgische Retro-Show "Spectre" und seinen krönenden Abschluss "Keine Zeit zu sterben".

Und dann ist da noch dieser eine Film mit ihm, über den niemand gerne spricht, den sogar die Bond-Macher Barbara Broccoli und Michael G. Wilson gerne ignorieren und ausblenden: "Ein Quantum Trost". 2008 als Craigs zweiter Bond-Einsatz gestartet, ist der Film vielen Anhängern des britischen Agenten ein Dorn im Auge. Nur: Wieso eigentlich? Vielleicht ist es an der Zeit, den Film mit frischem Blick zu würdigen und festzustellen: Für zukünftige Bond-Filme gibt es keine bessere Blaupause als – richtig – "Ein Quantum Trost".

Von wegen Weltzerstörung: Eine reale Bedrohung

Eon Productions Ltd / Danjaq LLC

Mathieu Amalric (r.) war als Dominic Greene ein ganz anderer Schurke für die Bond-Reihe.

Mit "Casino Royale" war es das erklärte Ziel der Produzenten, Bond mehr in der Realität zu verankern. Daher jagte Craig in seinen ersten beiden Filmen Börsenspekulanten und korrupten Politikern hinterher. Mit "Skyfall" kippte dieser Ansatz wieder: Von nun an dominierten größenwahnsinnige Hacker, globale Überwachungsprogramme und im jüngsten Teil der Reihe sogar Nanobots die Filme. Die reale Bedrohung wurde fallengelassen und – der Nostalgie wegen – durch die alten Weltuntergangsszenarien ersetzt, an die Fans sich noch aus den Filmen mit Roger Moore oder Pierce Brosnan erinnern.

Dabei hatte "Ein Quantum Trost" einen der spannendsten aller Bond-Plots. Versimpelt gesagt geht es um den Terror-Chef Dominic Greene, der dem korrupten bolivianischen General Medrano seine Dienste anbietet. Das Duo macht einen Deal: Greene hilft mit Bestechung und Mord, die bolivianische Regierung zu stürzen und Medrano an die Macht zu bringen, dafür überlässt der General ihm nach der Übernahme von Bolivien ein wertloses Stück Land mitten in der Wüste. Um ungestört zu operieren, verbrüdert sich Greene sogar mit dem amerikanischen Geheimdienst CIA: Er suggeriert ihnen, auf dem Stück Wüstenland befänden sich Ölreserven. Und da die USA dringend Öl brauchen, sehen sie bei Greenes illegalen Machenschaften in Südamerika großzügig weg.

Doch wie Bond herausfindet, ist das eine Lüge: Auf Greenes Stück Land befindet sich kein Öl, sondern ein von ihm unterirdisch angelegter Damm, mit dem er die Wasserreserven des Landes staut und so eine künstliche Dürre herbeiführt. Als Medrano an die Macht kommt, haben Greene und seine Organisation Quantum den Staatsmann in der Hand: Wenn er nicht will, dass sein Land verdurstet, muss er große Mengen Geld an Greene und Quantum zahlen.

James Bond gegen die Ängste unserer Zeit

Ein realistischer Actionfilm-Plot, der sich sogar traut, das Vertrauen in die Geheimdienste der "freien Welt" zu erschüttern? Viele Fans vermissten hier den Glamour alter Bond-Filme. Doch damit verstanden sie ihre eigene Reihe nicht: Früher haben Schurken wie Blofeld in "Feuerball" oder Stromberg in "Der Spion, der mich liebte" mehrere Atombomben in ihren Besitz gebracht, um die Welt zu bedrohen. Was heute ein Klischee ist, war damals nah an der Wirklichkeit: Im Zuge der Kuba-Krise 1962 und den Hochphasen des Kalten Kriegs war ein atomarer Erstschlag der Supermächte die bestimmende Angst dieser Zeit. "Ein Quantum Trost" war so viel besser als seine Nachfolger, weil er vor lauter Nostalgie nicht alte Plots wiederkäute, sondern eine moderne Antwort auf die Frage formulierte: Was soll ein Bond-Film heute sein?

Vor einem Atomangriff der Russen fürchtet sich heute niemand. Doch im Zeitalter nach den Anschlägen vom 11. September 2001 sind zwei Themen in den Fokus gerückt: Terrorismus und das unehrliche Treiben der Geheimdienste. "Ein Quantum Trost" greift beides auf und spinnt daraus eine Weltverschwörung, die unter unser aller Nase so ablaufen könnte. Das große Vorbild für den Film ist dabei offensichtlich: Die "Jason Bourne"-Trilogie mit Matt Damon. Die verknüpfte Geheimdienst-Thriller bereits mit modernen, realistischen Ansätzen. Von ihr klaute sich 007 nicht nur den Ansatz, sondern für diesen Film auch den Stil.

Kritik an der Action: Ja, aber …

Eon Productions Ltd / Danjaq LLC

Niemand war länger James Bond als Daniel Craig.

Regisseur Marc Forster orientierte sich für seinen Bond-Film an dem Actionstil der Bourne-Filme. Für viele Fans ging das gar nicht: Die Action ist oft mit Handkamera gefilmt, weshalb das Bild leicht wackelt. Geschnitten wird teils im Sekundentakt: So ist die Action arg rasant, sah aber auf der großen Leinwand auch etwas konfus aus. Vor allem ältere Zuschauer störten sich an der Schnelligkeit der Bilder und konnten den Aktionen nicht mehr richtig folgen. Das ist unschön, da anders als die Bourne-Filme die Bond-Reihe stets den Anspruch hat, Unterhaltung für alle Altersstufen zu sein – und mit dieser Inszenierung ein Teil des Publikums nicht mithalten kann.

Der Ärger über die Action des Films ist individuell verständlich. Dennoch verdient der Film jedes Lob dafür, versucht zu haben, Bond zu modernisieren, ohne ihn als Figur zu verraten. Der Actionstil passt zu einem Mann, der nach den Ereignissen von "Casino Royale" traumatisiert ist und von Wut angetrieben wird. Und je weiter der Film voranschreitet, umso ruhiger wird die Action, ehe sich zum Schluss weder Wackelkamera noch Temposchnitt finden lassen – genau dann, wenn Bond sein Quantum Trost findet.

Jenen Quantum Trost kann man auch nur den Fans wünschen. Sie sollten "Keine Zeit zu sterben" und die Radikalität, mit der die Ära von Craig endete, nutzen, um "Ein Quantum Trost" neu zu bewerten. Der Film bot eine Chance für die Bond-Reihe, ihre Identität neu zu definieren, endlich mit der Figur im 21. Jahrhundert anzukommen. "Skyfall", "Spectre" und "Keine Zeit zu sterben" mögen traditioneller sein, klassischer, "bondiger". Aber sind sie mit ihren vielen Retro-Anleihen nicht auch das Kino von gestern und vorgestern? Und wäre es nicht schön, einen der größten Kinohelden der Geschichte endlich in der Gegenwart ankommen zu sehen? Hoffentlich werden sich die Produzenten für kommende Filme an den revolutionären Spirit von "Ein Quantum Trost" erinnern und die Modernisierung der Reihe wieder aufgreifen – für den Bond von Morgen. Denn wie die treuen Bond-Fans wissen: Der Morgen stirbt bekanntlich nie.