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Streamingtipp: "1923" ist ein spätes Highlight für Hollywood-Legende Harrison Ford

Meinung | Mit der Westernserie "1923" ist Harrison Ford noch einmal ein spätes Karriere-Highlight gelungen. Dabei ist der "Indiana Jones"-Star nicht einmal das Beste an diesem Meisterwerk, wie TVSpielfilm.de-Redakteur Martin Arnold findet.

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Inhalt
  1. 1. Darum geht's in "1923"
  2. 2. "1923" bei Paramount+: Western trifft auf Ernest Hemingway
  3. 3. Bei "1923" sind die Frauen die wahren Helden
  4. 4. Wer Paramount+ noch nicht hat, sollte es sich wegen "1923" holen

Mit Panik im sonnenzerfurchten Gesicht eilt ein verletzter Mann durch den Wald. Hinter ihm eine alte Frau mit eine doppelläufigen Flinte im Anschlag. Ein Schuss jagt durch die landschaftliche Idylle, der Mann fällt zu Boden. Noch ist es aber nicht vorbei. Hektisch kramt er Munition für seinen Revolver aus der Tasche. Auch die alte Frau muss nachladen. Doch sie ist schneller. Noch bevor das Echo des Schusses aus ihrer Flinte verhallt, liegt der Mann tot am Boden. Der Frau entfährt ein wütender Schrei.

So beginnt die erste Staffel der Western-Serie "1923", die seit 27. Mai bei Paramount+ verfügbar ist. Nach "1883" ist sie der zweite Ableger der Neo-Western-Serie "Yellowstone" mit Kevin Costner in der Hauptrolle, die in den USA regelmäßig Quotenrekorde bricht. Und genau wie in der Mutterserie geht es auch hier wieder um die mächtige Farmerfamilie der Duttons, die ihr kostbares Land verteidigen müssen – vor Neidern, Eindringlingen, der sich verändernden Welt. Und genauso wie mit "Yellowstone" und "1883" hat Schöpfer Taylor Sheridan ("Hell or High Water") auch mit "1923" einen Serien-Hit erschaffen – und Harrison Ford und Helen Mirren ("Die Queen"), die hier die Hauptrollen spielen, ein spätes Karriere-Highlight beschert.

Darum geht's in "1923"

Foto: Paramount+, Spätes Karriere-Highlight: Harrison Ford (l.) und Helen Mirren brillieren in "1923".

Montana, 1923: Nach dem Tod seines Bruders (in "1883" gespielt von Tim McGraw) und dessen Frau (Faith Hill) hat Jacob Dutton (Harrrison Ford) die Yellowstone-Ranch gemeinsam mit seiner Frau Cara (Helen Mirren) übernommen. Bis die sogenannte Große Depression die noch jungen Vereinigten Staaten von Amerika in eine Krise stürzen wird, sind zwar noch ein paare Jahre hin. Doch die ersten Anzeichen der nahenden Katastrophe lassen sich in Montana bereits erkennen. Eine Dürre sucht den US-Bundesstaat heim, lässt die Rinderherden verenden. Was an Weideland noch übrigbleibt verheeren die Heuschrecken. Gesellschaftlich sitzt den Menschen die Prohibition wie ein Dorn im Fleisch.

In dieser prekären Lage schaukelt sich ein Konflikt immer weiter nach oben. Aus Verzweiflung wegen der schwindenen Weidemöglichkeiten treiben schottische Schäfer unter Banner Creighton (Jerome Flynn) ihre Herden auf das Land der Duttons, verjagen deren Rinder und schießen auf deren Cowboys. Die Familie lässt das nicht auf sich sitzen. Und nach einem dramatischen Ereignis entfesselt sich ein blutiger Krieg zwischen den beiden Parteien.

"1923" bei Paramount+: Western trifft auf Ernest Hemingway

Foto: Paramount+, Die epische Liebesgeschichte von Spencer (Brandon Sklenar, l.) und Alexandra (Julia Schlaepfer) hat Hemingwaysche Ausmaße.

Taylor Sheridan kann wohl nicht enttäuschen: "1923" fügt sich nahtlos in das "Yellowstone"-Universum ein und fungiert perfekt als Brücke zwischen "1883" und "Yellowstone". Und das nicht nur, weil die Serie erzählerische Lücken schließt, sondern auch in ihrer Machart. Ist "Yellowstone" doch ein Neo-Western mit Soap-Anleihen, besann sich "1883" zurück auf das harte Western-Genre. "1923" liegt genau dazwischen und balanciert die Stärken beider Serien hervorragend aus, fügt gleichzeitig aber auch genug Neues, Eigenständiges hinzu.

"1923" ist eine Art romantisierte Version von "Yellowstone". Denn anders als bei der Mutterserie sind die Hauptfiguren in dem Ableger deutlich sympathischer und zugänglicher. Als Zuschauer fiebert man bei ihrem Kampf gegen ihre Feinde mit und hat Mitleid, wenn sie ein Schicksalsschlag trifft. Gleiches gilt für ihre ständige Fehde gegen die Moderne. Man lacht mit den Duttons, wenn sie sich über den neuesten Trend der Damenrasur lustig machen, leidet aber auch mit ihnen, wenn sie immer öfter merken, dass die Gier der Menschen, der Kapitalismus, der vermeintliche Fortschritt ihre heile, idyllische Welt und ihre Art des Lebens langsam aber sicher auffrisst. Gleichzeitig punktet "1923" mit den Schauwerten des Western: blutige Schießereien, miese und kernige Typen, hübsche und toughe Frauen sowie wunderschöne Landschaftsaufnahmen, bei denen man direkt einen Urlaub zu den Drehorten buchen möchte. Der Ableger ist demnach der ideale Mix aus "Yellowstone" und "1883" und damit zugänglicher als die beiden Serien.

Neu hingegen ist die Exkursion nach Afrika – das heimliche Highlight von "1923". Ein großer Teil der Handlung spielt nämlich im Osten des Kontinents. Dorthin ist Spencer (grandios gespielt von Brandon Sklenar), der Neffe von Fords Figur, geflüchtet, um seinem Trauma aus dem Ersten Weltkrieg zu entkommen – allerdings vergeblich! In Afrika arbeitet er als Großwildjäger, der speziell Raubtiere zur Strecke bringt, die Menschen angreifen. Dadurch ist er sogar zu einer Art Berühmtheit avanciert. Mit seiner Art – nach außen ultramännlich, hart, abgebrüht und innerlich sensibel, zerrissen, schwerst traumatisiert – erinnert er stark an eine Figur aus einem Roman von Ernest Hemingway. Der Schauplatz Afrika tut sein Übriges, damit dieser Eindruck erhalten bleibt – genauso wie die Geschichte mit seiner späteren Verlobten Alexandra (ebenfalls grandios gespielt von Julia Schlaepfer). Wie in einer guten Hemingway-Geschichte geht es in diesem Erzählstrang um die ganz großen Themen und Gefühle, darunter Liebe und Freiheit. Mit den wunderschönen Landschafts- und Tieraufnahmen, der dramatischen Liebesgeschichte sowie gefährlichen Begegnungen mit einem Elefanten und einem Löwenrudel glaubt man gar eine Serienadaption von "Jenseits von Afrika" anzuschauen.

Bei "1923" sind die Frauen die wahren Helden

Foto: Paramount+, Aminah Nieves ist als Teonna Rainwater eines der Highlights von "1923".

Doch trotz der männlich konnotierten Genres des Western und des Abenteuerfilms, in dessen Fahrwasser "1923" fährt, sind es nicht die Männer die am meisten begeistern. Keine Frage: Harrison Ford ist spektakulär. Kurz vor dem Kinostart von "Indiana Jones und das Rad des Schicksals" zeigt er, warum er den Ruf als Schauspiel-Legende innehat. Ebenfalls grandios sind die Schurken. Jerome Flynn gibt wunderbar den ekligen Schläger, während Ex-007 Timothy Dalton den skrupellosen, sadistischen Geschäftsmann Donald Whitfield, mimt, der im Hintergrund eigentlich die Fäden zieht. Aber sie alle verblassen gegen die zwei großen Frauenrollen in "1923"!

Helen Mirren ist eine Wucht und spielt die Matriarchin der Duttons mit einer Intensität, die begeistert wie schockiert. Nicht umsonst ist sie in der eingangs erwähnten Anfangsszene zu sehen. Mirrens Cara ist nämlich der eigentliche Held der Geschichte. Während die Männer mit Revolver und Repetiergewehr in den Kampf ziehen, trägt sie den Krieg mit ihrem Verstand aus. Und so läuft es einem in der Szene, in der sie Flynns Figur droht, gar kalt den Rücken runter. Da merkt man: Sie ist deutlich klüger als der Rest und allen um Welten voraus!

Mindestens genauso beeindruckend wie Mirren ist Aminah Nieves als Ureinwohnerin Teonna Rainwater, eine Vorfahrin von Chief Thomas Rainwater (Gil Birmingham) aus "Yellowstone". Die hat ihren Kampf in einer katholischen Schule auszutragen. Dort wird Teonna – wie die anderen indigenen Mädchen – von den Nonnen und Priestern physisch, psychisch und sexuell missbraucht, während die sich als überlegen aufspielen. Es ist ein Albtraum, der leider genauso passiert und für den Zuschauer streckenweise kaum zu ertragen ist. So abscheulich ist der Umgang der europäischen Kolonialisten und der katholischen Kirche gegenüber der indigenen Bevölkerung. Und mittendrin kämpft und schreit sich Aminah Nieves als Teonna ihren Weg aus diesem unmenschlichen Schrecken. Sie ist das heimliche Highlight von "1923", genauso wie ihre packende Geschichte. So etwas hat es im Serienbereich noch nicht gegeben!

Wer Paramount+ noch nicht hat, sollte es sich wegen "1923" holen

Wer bisher also noch gezögert hat  Paramount+ zu abonnieren, sollte dies nun endlich tun. Nach "Yellowstone" und "1883" sowie der grandiosen Mafiaserie "Tulsa King" mit Sylvester Stallone hat der Streamingdienst mit "1923" ein weiteres Highlight in petto, das zweifellos zu den besten Serien der letzten Jahre zählt. Außerdem ist für allerlei Nachschub gesorgt. Nicht nur bekommt "1923" eine zweite (und letzte) Staffel spendiert, es sind auch noch weitere Ableger geplant, die das "Yellowstone"-Universum vergrößern sollen. Da erträgt man als Fan die Nachricht gleich besser, dass die Mutterserie nach der fünften Staffel enden soll. Bleiben die Spin-offs nämlich auf dem gleichen Niveau wie es "1923" gehalten hat, dann erwarten uns in den kommenden Jahren noch einige starke Serien.

Die ersten zwei Episoden der ersten Staffel von "1923" sind ab 27. Mai bei Paramount+ verfügbar. Danach erscheint wöchentlich eine neue Folge. Insgesamt hat die erste Staffel von "1923" acht Episoden.