Eine Frage vorweg an Amazon Prime Video: Für wie vergesslich haltet ihr euer Publikum? Die Frage muss erlaubt sein, immerhin beginnt ausnahmslos jede Folge von "Star Trek: Picard" mit einem "Was zuletzt geschah"-Segment, das hier epische Ausmaße annimmt. Über zwei Minuten lang werden aus fast allen vorherigen neun Folgen Szenenschnipsel wiederholt. So als hätte nicht jeder, der das Staffelfinale sieht, auch die vorherigen Folgen geschaut.

Allzu viel muss man eh nicht mehr parat haben: Picard sitzt in "Androidenhausen" fest, Soji und der Rest der Zerstörerinnen wollen höher entwickelte künstliche Intelligenzen kontaktieren und die Romulaner stürmen zur Schlacht heran. Die größte Schwäche von "Picard" ist, dass der abschließende, recht typische Zweiteiler mit einer verworrenen, achtfolgigen Vorgeschichte vorbereitet wurde. Funktioniert wenigstens das Finale? Nicht wirklich. Die emotionalen Töne stimmen nicht, das Ende verwirrt und mit "Star Trek" hat der Action-Bombast wenig gemein. Aber fangen wir vorne an. Es folgen selbstverständlich Spoiler.

Gehetzte Bündnisse und CGI-Effekte pur

Gleich mehrere Figuren wechseln im Finale wie erwartet die Seiten. Narek ist doch kein so schlechter Kerl und schließt sich mit Raffi und Rios zusammen. Agnes stellt sich doch gegen die Androiden und befreit Picard, auch Dr. Soong entscheidet sich für die Menschen. Alles andere war von einer neuen Rolle für Brent Spiner auch nicht zu erwarten. Das alles geht im Eiltempo und hoppla di hopp, denn in den letzten 54 Minuten will "Star Trek: Picard" noch eine große Raumschlacht zeigen.

Die hat es auch in sich: Die Romulaner kämpfen erst gegen die intergalaktischen Orchideen, dann nimmt die La Sirena mit Picard an Bord den Kampf auf. Doch den Sieg können sie erst dank unerwarteter Hilfe erlangen: Tatsächlich hat die Föderation auf Picard gehört und eilt zur Rettung – auch Riker ist mit dabei und kommt seinem Freund erneut zur Hilfe. Das anschließende Action-Gewusel erinnert an die jüngeren "Star Wars"-Filme, hat aber mit "Star Trek" insgesamt wenig zu tun. Vom Entdeckergeist und der pazifistischen Grundidee des Ur-Trek-Schöpfers Gene Roddenberry war in "Picard" aber von Anfang an nicht viel übrig.

Er ist tot, Jim… Ne, halt, doch nicht

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Was wäre ein Captain ohne seine Crew?

Und dann scheint "Picard" doch noch einen emotionalen Knüller parat zu haben. Picard stirbt an seiner Hirnerkrankung. Gerade als Soji das Portal zerstört und die Ankunft der höheren Wesen doch noch vereitelt. In einer Art Traumvision/Simulation begegnet Picards Geist dann einer Essenz von Data.

Harter Tobak? Es kommt noch härter. Dr. Soong und die anderen haben Picards Geist aus seinem toten Körper extrahiert und in einen leerstehenden Androiden-Körper, einen Golem, transformiert. Jetzt muss Picard in seiner Vision Data ein letztes Mal Lebewohl sagen, ehe dessen Essenz gänzlich gelöscht wird. Warum genau Trekkies Data in dieser Folge ein zweites Mal sterben sehen müssen, nachdem er sich einst im Kinofilm "Star Trek: Nemesis" für die Enterprise opferte? Keiner weiß das. Vermutlich wollten die Autoren die mangelnde Bindung zu ihren Figuren durch Nostalgie und Fanservice kaschieren.

Fazit: So enttäuschend war "Star Trek: Picard"

Ernüchternd bleibt zum Abschluss zu sagen, dass "Star Trek: Picard" eine recht dünne Geschichte, die in "Raumschiff Enterprise: Das nächste Jahrhundert" für einen Zweiteiler gereicht hätte, auf zehn Folgen ausgedehnt hat und nur selten den wahren Geist von "Star Trek" traf. Das Auftreten alter Bekannter fühlte sich nie organisch an, die Auftritte von Brent Spiner oder Jonathan del Arco, dessen Charakter Hugh in einer sinnlosen Nebenhandlung starb, blieben unmotiviert. Was in einer zweiten Staffel jetzt erzählt werden soll, ist fragwürdig. Doch da Patrick Stewart sich bereits eine Rückkehr von Whoopie Goldberg als Guinan aus Old Trek wünscht, bleiben zumindest die Nostalgie-Köder erhalten.

Nächstes Mal aber bitte mit mehr "Energie", Captain.

Den Trailer zu "Star Trek: Picard" seht ihr hier: