Immer mehr Geld fließt in die Produktion exklusiver Inhalte. Netflix investiert allein in diesem Jahr wieder mehr als 15 Milliarden US-Dollar, um Serien wie "Stranger Things", "Haus des Geldes", "Dark" oder "Black Mirror" für seine fast 152 Millionen Abonnenten bereitzustellen. Serielle Originals sind dabei längst nicht das einzige Standbein, mit dem Netflix Exklusivität und Attraktivität garantieren will.
Filme mit namhaften Hollywoodstars wie Adam Sandler ("Murder Mystery") oder Sandra Bullock ("Bird Box") werden ebenfalls zum immer größeren Kostenfaktor. Hinzu kommen Millionen-Deals mit den erfolgreichsten Kreativen der Branche: "American Horror Story"-Schöpfer Ryan Murphy wechselte für 250-300 Millionen Dollar zu Netflix und entwickelt in den nächsten fünf Jahren Stoffe für den Streamingdienst. "Grey's Anatomy"-Macherin Shonda Rhimes unterschrieb für kolportierte 150 Millionen und hat mit "Bridgerton" ihr erstes Serienprojekt auf den Weg gebracht. Doch wenn bei gleichbleibenden Einnahmen die Kosten steigen, steht Netflix vor einem Dilemma.
Immer höhere Kosten, immer weniger Lizenzen
Bisher konnte das vor 22 Jahren als DVD-Verleih gegründete Entertainment-Unternehmen auf eine feste Größe zählen: den stetigen Wachstum der zahlenden Kunden. Diese scheinbare Gewissheit nahm nun erstmals Kratzer. Im abgelaufenen Quartal kamen nur 2,7 Millionen neue Abos und damit deutlich weniger als die 5 Millionen, die sich Netflix selbst zum Ziel gesetzt hatte. In den USA musste der Streamingservice sogar einen Mitgliederschwund hinnehmen: 130 000 Kunden kündigten ihr Netflix-Abo.
Die Gründe für diesen Trend sind unterschiedlich. Einerseits wird der Streaming-Markt immer umkämpfter, mehr und mehr Anbieter buhlen um die Gunst der Zuschauer. HBO Max von Warner Media, Disney+ vom wertvollsten Entertainment-Konzern der Welt oder Apple TV+, die sogleich Deals mit Steven Spielberg, Jennifer Aniston und Co. geschlossen haben. Durch diese zahlungskräftige Konkurrenz werden in Zukunft die Preise für Produktionen, aber auch für Regisseure, Darsteller und andere Kreative der Branche steigen.
Außerdem bekommt Netflix Lizenzprobleme. Der Luxus, mit Serien wie "Friends" oder "The Office" trumpfen zu können, könnte bald ein Ende haben. Die Rechteverwalter von Warner und Co. werden ihre einstigen Zuschauermagneten zurückordern, sobald sie eigene Streamingdienste auf den Markt bringen. Der Verlust sämtlicher Marvel-Serien von "Jessica Jones" bis "Daredevil" trifft Netflix zumindest nicht unvorbereitet. Die Superhelden-Produktionen hatten im Verhältnis zu ihrem Kostenaufwand nie funktioniert, der Abgang war bereits beschlossen, bevor Disney seine Streamingpläne preisgab.
Preiserhöhung ist ein zweischneidiges Schwert
Für Netflix führte dies in diesem Frühjahr zu einer seltenen Maßnahme: Der Streamingdienst erhöhte seine Abo-Preise. In Deutschland und etlichen weiteren der 190 Netflix-Länder (nur China, Syrien, Nord-Korea und die Krim fehlen) wurden monatlich je nach Tarif ein oder zwei Euro mehr fällig. Wie Netflix nun einräumen musste, entwickelten sich die Mitgliederzahl insbesondere in den Regionen schlecht, in denen die Gebühren stiegen. Doch nicht alle Analysten an der Börse sehen den vergangenen Preisanstieg als das Ende der Fahnenstange an.
Laut Handelsblatt sehe Douglas Mitchelson von der Schweizer Bank Credit Suisse noch sehr wohl "Preisgestaltungsmacht bei Netflix". Der Preisanstieg von über 10 Prozent habe eher geringe Auswirkung auf die Nutzerzahlen gehabt, so der Börsenfachmann. Auch andere Experten sehen den Mitgliederschwund nicht in der Preisschraube begründet, sondern beispielsweise in der Saisonalität. So zeichne sich das 3. Quartal traditionell eher durch schwächere Monate aus, ein Sommerloch gäbe es demnach nicht nur im linearen Fernsehen. Allerdings verwundert diese Sichtweise angesichts der starken Netflix-Starts in diesem Sommer. Sowohl "Stranger Things", "Orange Is the New Black", "Haus des Geldes" als auch "Dark" gingen in den vergangenen Monaten an den Start. All diese Produktionen gehören zu den besten Netflix-Serien, die der Streamingdienst zur Verfügung hat.
Zwar wird Disney seinen VoD-Service in den USA zu einem Kampfpreis von 6,99 Dollar launchen, aber andere Anbieter wie Warner denken über einen teureren Abodienst nach. So schwebe den Machern von HBO Max mindestens 16 bis 17 Dollar pro Monat vor. Angesichts dieser Entwicklungen ist es durchaus denkbar, dass Netflix weiter an der Preisschraube dreht. So lange, bis die Nutzerzahlen gar nicht mehr wachsen. Dann gäbe es nur noch eine Möglichkeit, um die hohen Kosten zu decken: Werbung schalten oder Kooperationen mit anderen Diensten eingehen. Wer das teils aggressive Product Placement von Netflix kennt, ahnt, auf welchen Strategiewechsel sich Abonnenten künftig einstellen müssen.