Als Anfang Mai Gerüchte aufkamen, wonach Netflix künftig Werbung ausspielen will, war die Aufregung groß. Der Streamingdienst hatte sich stets damit gerühmt, seinen Nutzern ein werbefreies Angebot zur Verfügung zu stellen. Wären künftig werbliche Einblendungen oder gar Werbepausen während der Netflix-Nutzung aufgetreten, hätte sich das größte Versprechen und damit das Alleinstellungsmerkmal des Streaming-Riesen in Luft aufgelöst.

Dabei ist Werbung auf Netflix nichts Neues. Längst hat Reed Hastings Film- und Serienkonzern Erlösquellen der Werbebranche für seine Zwecke genutzt. Allerdings nicht im herkömmlichen Sinne. Bislang beschränkten sich Werbedeals auf sogenanntes Product-Placement. Das prominenteste Beispiel dafür stammt aus der Mystery-Serie "Stranger Things": Der Fast-Food-Gigant KFC soll laut Branchenexperten zwischen 300.000 und 1 Millionen Dollar dafür überwiesen haben, dass eines seiner berühmte "Buckets" in dem 80er-Genremix auftaucht.

Bei wachsender Konkurrenz auf dem Streamingmarkt - Disney kommt im November, Apple Ende des Jahres, Warner spätestens im März 2020 mit einem eigenen Dienst - dürfte diese Methode künftig eine wichtige Rolle spielen. Schließlich muss auch Netflix zusehen, wie die wachsenden Kosten für exklusive Filme und Serien aufgefangen werden. Allein im Jahr 2019 steckt der Streaminganbieter 15 Milliarden US-Dollar in seine Content-Produktionen.

Product Placement: Prominente Beispiele

In der Vergangenheit hat Netflix mit Product Placement - kurz: Schleichwerbung - offenbar gute Erfahrungen gemacht, denn "Stranger Things" ist längst nicht das einzige Beispiel aus dem breiten Fundus der Eigenproduktionen, bei denen versteckte Werbebotschaften platziert werden. Von "Black Mirror: Bandersnatch" über "House of Cards" bis hin zu der SciFi-Serie "Lost in Space": überall stecken Produkte, für die Netflix Geld kassiert. Laut einer Analyse des Fernsehkritikers Walulis nutzen nur zwei der zehn beliebtesten Netflix-Serien diese Finanzierungsmethode nicht. Die Analyse stammt aus dem Juli 2018, damals war "Black Mirror" noch werbefrei und neben "Making a Murderer" offenbar eine Ausnahme. Am 28. Dezember 2018 veröffentlichte Netflix dann den interaktiven "Black Mirror"-Film "Bandersnatch", indem sich der Nutzer direkt zu Beginn zwischen den Müslisorten Frosties oder Sugar Puffs entscheiden muss.

Die Geldmaschine wird im Auftrag von Netflix durch die Firma "Branded Entertainment Network" betrieben. Ein Unternehmen, das unter productplacement.com im Netz zu finden ist und angibt, im Jahr 2018 mehr als 6000 Werbeplatzierungen im Wert von 1,2 Milliarden Dollar umgesetzt zu haben. Mal subtil im Hintergrund, mal in Form des gesprochenen Wortes. So erzählt die "Stranger Things"-Figur Steve Harrington (Joe Keery) in der ersten Folge der zweiten Staffel, sie liebe Fast Food von Kentucky Fried Chicken. Eine komplette Szene spielt an einem Esstisch, der vollgestellt ist mit Bechern und Pappeimern der Restaurantkette. "Ich liebe KFC", tönt Harrington. Im englischen Original verliest er sogar den offiziellen Werbeslogan: "It's finger lickin' good."

Schleichwerbung ist längst keine neue Erfindung, "Forrest Gump" nutzte diese Methode bereits 1994. Doch bei Netflix geht es so weit, dass Werbung und Handlung ineinander übergehen, die Grenzen zwischen freigeistigem Storytelling und durch Werbung geleiteten Entscheidungen verwischen. Das beste Beispiel stammt wieder aus "Stranger Things": Dort hat die mit übernatürlichen Kräften ausgestattete Hauptfigur Eleven einen wahnhaften Appetit auf Fertigwaffeln der Marke Eggo. Dass die Waffeln im Verlauf der Geschichte zum handlungsentscheidenden Element werden, ist möglicherweise Zufall. Vielleicht aber auch ein gewollter und gut bezahlter Deal gewesen für den Streamingdienst.

Auch Amazon Prime voller Werbung

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Na, noch Kekse? Die Werbung in "Lost in Space" kommt nicht gerade schleichend daher

Bei Netflix sollen etwa drei Viertel des Contents Werbung enthalten, doch der sich mit so zahlreichen Originals schmückende Streaminganbieter ist nicht allein. Experten gehen davon aus, dass beim VoD-Dienst von Amazon fast alle selbstproduzierten Serien und Filme mit Werbung zugekleistert sind. Als die erste deutsche Eigenproduktion von Amazon 2017 über die Bildschirme flackerte, staunten die Zuschauer nicht schlecht: In "You Are Wanted" von Matthias Schweighöfer wimmelte es vor weltberühmten Energydrinks. Der Hauptdarsteller (Produzent, Drehbuchautor und Regisseur) Schweighöfer war sich nicht zu schade, die Dosen prominent in die Kamera zu halten. In die Science-Fiction-Serie "The Expanse", deren erzählte Welt wenig mit der Gegenwart zu tun hat, schafften es sogar ein paar Fedex-Container.

Amazon Prime Video bekam aufgrund von Schleichwerbung bereits auf den Deckel: Die Bayerische Landeszentrale für neue Medien (BLM) hatte Anfang des Jahres die Veröffentlichung einer Episode der achten Staffel "Pastewka" wegen des Verdachts auf Schleichwerbung untersagt. Die Folge spielte zu großen Teilen in einem Media-Markt. Die Produktionsfirma Brainpool bestritt eine Produktplatzierung und Media-Markt beteuerte, keine Produktplatzierung gebucht zu haben. Der Fall löste sich schließlich außergerichtlich: Auf Amazon sahen Zuschauer eine neue Schnittfassung der Folge.

Wie lange Streamingdienste diese Erlösquellen in dieser Form umsetzen dürfen, muss die Europäische Union entscheiden. In den USA mag das anders sein, doch hierzulande findet der Rundfunkstaatsvertrag Anwendung. Demnach sind Produktplatzierungen nur zulässig, wenn sie am Anfang der Sendung markiert werden. Ob "Stranger Things", "Lost in Space" oder "You Are Wanted": Keine der dort aufkommenden Marken wurde explizit angekündigt. Ob das unzulässig ist, darüber streiten Streamingdienste, Gesetzgeber und Experten. 2018 beschloss das Europäische Parlament, den Umgang mit Werbung bei Streamingdiensten stärker zu reglementieren. Hintergrund: Kinder sollen besser vor Werbung geschützt werden. Produktplatzierungen sind den neuen Richtlinien zufolge weiter zulässig, wenn sie entsprechend gekennzeichnet werden und das Produkt nicht hervorgehoben wird. Umgesetzt sind sie bislang jedoch nicht.

Solange wird die schleichende Werbebotschaft weiterhin Bestand haben, mal mehr, mal weniger auffällig, aber stets ohne expliziten Hinweis.