Es war dem mexikanischen Filmemacher einfach nicht vergönnt, seine Herzensangelegenheit Hellboy 3 zu verwirklichen. Jahrelang musste ich mit ansehen, wie Wiederbelebungsversuche des Projekts scheiterten. Der Traum platzte (R.I.P.). Den Hobbit konnte er nach zweijähriger Vorarbeit auch nicht verfilmen. Dann kam lange nichts mehr, bis plötzlich eher enttäuschende Filme wie - ach, lassen wir es hinter uns. Der König ist tot, lang lebe der König!

Selbstgefälligkeit als Qualitätssiegel

Guillermo del Toro (Pans Labyrinth, Hellboy 2 - Die Goldene Armee) ist mit Shape of Water auf dem vorläufigen Zenit seiner Kariere angelangt. Seit der Verleihung des Goldenen Löwen bei den Filmfestspielen in Venedig ist das Retro-Märchen auf einem Siegeszug durch alle möglichen Preisverleihungen, gewann unter anderem bei den Critics‘ Choice Awards und den Golden Globe Awards 2018. Genügend Rückenwind also, um mit breiter Brust bei den anstehenden Academy Awards am 4. März auf ganze 13 Auszeichnungen, inklusive Bester Film, zu hoffen.

Und warum auch nicht? Was diesen Film unter anderem kennzeichnet, gefällt der Academy bekanntermaßen: Selbstbezug. Filme, die sich auf sich, ihr Medium und vor allem auf Hollywood beziehen, stehen ganz oben in der Gunst der Preisverleiher. Wenn dann auch noch ein historischer Aspekt thematisiert und Nostalgie versprüht wird, ist man ganz oben auf dem Olymp angekommen. Man denke etwa (unweit) zurück an die als Bester Film ausgezeichneten Werke Birdman, The Artist oder Argo. Dass diese Rechnung aber nicht immer aufgeht, hatte letztes Jahr La La Land mit der größten Oscar-Panne aller Zeiten bewiesen, als Damien Chazelles Musical irrtümlicherweise als Gewinner des Abends verkündet, letztendlich jedoch von Barry Jenkins Moonlight ausgestoßen wurde. Ist aber auch unerhört nach diesem Verführungstanz. Hütet euch vor politisch oder gesellschaftlich relevanten Filmen!

"The Shape of Water" (Oder "Shape of Water - Das Flüstern des Wassers" wie er auf Deutsch heißt) vereint tatsächlich all das, was einen Oscar-Film auszeichnet, kleidet sich noch dazu in ein Toleranz-Märchengewand und positioniert sich damit in denkbar bester Ausgangsposition im Rennen um die renommierte Trophäe. Nicht, dass ich den genannten Oscar-Gewinnern Anbiederung vorwerfen möchte, aber von ihnen hätte "The Shape of Water" die letzte Auszeichnung des Filmjahres wohl am meisten verdient, weil er eben alles einfängt, was die Academy so liebt. Weil dessen durchgreifende Selbstreferenz die 10%, das i-Tüpfelchen sind, das Hollywoods Herz höher schlagen lässt. Wirklich bemerkenswert finde ich allerdings die übrigen 100% del Toro. Das schließt zwar leider auch altbekannte Schwächen mit ein. Doch zugleich war der Filmemacher noch nie so stark.

"Je fremdartiger oder albern die Prämisse ist, umso mehr fühle ich mich hingezogen, Kunst daraus zu machen. Und ich schraube nicht an der Prämisse herum. Ich versuche sie und die Genre-Merkmale lächerlich zu belassen und arbeite drum herum."

Wo viele sich verbiegen, geht der Regisseur und Co-Drehbuchautor 123 Minuten lang seinen eigentümlichen Weg, bis auch der letzte Augenroller einsehen muss, dass hier nicht Hollywood, sondern das Kino gefeiert wird. Natürlich ist del Toros Film etwas vorhersehbar und naiv, es ist ja auch ein Kunstmärchen, durch und durch. Die scheinbare Schwäche ist die eigentliche Stärke dieses Films. Es war einmal im Kalten Krieg Anfang der 60er, als noch alles "great" war. Da verliebte sich die stumme Putzangestellten eines US-Militärforschungslabors Elisa (Sally Hawkins) in eine dort eingesperrte amphibische Kreatur (Doug Jones), die - platt ausgedrückt - halb Mensch, halb Fisch ist. Klingt komisch, ist auch so. Die Prämisse ist so fantastisch und ein so offensichtlicher Aufruf zu mehr Toleranz, dass man gar nicht anders konnte, als eine gehörige Portion Humor einfließen zu lassen. Und das gelingt dem Film grandios. Charmant schamlos wird das Geschehen eingefangen. Viele Szenen wirken fast schon grotesk, so plakativ wie sie sind, werden aber immer mit einem Augenzwinkern präsentiert.

"Shape of Water" ist durch und durch ein typischer del Toro

Handlungsabläufe sind weniger offensichtlich, als vielmehr angriffslustig. Der ein oder andere kritisiert es als langweiligen Kitsch. Nochmal: Frau - liebt - Fisch oder Frau - liebt - Monster.... Natürlich haben wir das schon tausend Mal gesehen. Natürlich ist das kitschig. Aber überhaupt nicht langweilig. Der ein oder andere hat vielleicht nicht ganz verstanden, worum es geht. Del Toro bedient keine Klischees, er bedient sich dieser und dreht den Spieß ganz einfach um (*hust* Get Out!). Das ist intelligent, macht ungeheuer Spaß und sieht fabelhaft aus. Apropos, die Machart erinnert nicht zuletzt aufgrund der tollen Musik von Alexandre Desplat an Jean-Pierre Jeunets Die fabelhafte Welt der Amélie. Darauf angesprochen, sagt del Toro, dass eher Terry Gilliam (Die Abenteuer des Baron Münchhausen, 12 Monkeys) ein erkennbarer Einfluss sei. Dem kann ich im besten Sinne nur beipflichten!

Wie eh und je, ist der Look des Films typisch für einen del Toro-Film. Farbenfrohe und große detailverliebte Bühnenbilder, wenig CGI-Effekte, sondern echtes Material. Ein theatralischer Stil alter Schule, der ganz offen zeigt, dass es sich um ein Schauspiel handelt. Und was für eines! Sally Hawkins brilliert als stumme Hauptfigur, wie eigentlich der gesamte Cast (u.a. Richard Jenkins, Octavia Spencer). Trotz der Künstlichkeit vergisst man alles um sich herum und taucht in die wundervolle blau-grün gestrichene Welt ein, in der wir als Zuschauer doch so viel von unserer schwarz-weißen Realität wiedererkennen. Nur ausgerechnet hier nistet sich ein Problem ein.

So korrekt er auch sein mag und so sinnreich er auf wirklich allen Ebenen seine Botschaft transportiert, so offenkundig erbarmungslos geht er mit den Antagonisten im Film um. Das Böse wird im Laborleiter Strickland (Michael Shannon) schnell ausgemacht und zur Schau gestellt. Zum Glück geschieht dies absolut überspitzt, sodass man auch hier gut unterhalten dem Regisseur zurückzwinkert - gerade auf struktureller Ebene ist das wiederum goldenes Handwerk! Nichtsdestotrotz schadet es dem Erzählen der Geschichte erheblich. Es ist nie langweilig aber auch nie so richtig spannend. Zwischen Gut und Böse muss freilich kein schmaler Grat verlaufen. Aber damit man nicht nur verzaubert, sondern auch mitgerissen wird, braucht es mehr als ein schwarz-weiß-Denken. Und bei The Shape of Water steckt nicht viel mehr dahinter. (Irgendwie witzig: Unter anderem störten mich diese Dinge bereits bei seinem ersten Hellboy; mit der Fortsetzung Die Goldene Armee erhörte der Regisseur Kritiker. Diese war viel, viel besser als ihr Vorgänger und wurde direkt zu meinem Lieblings-del Toro. In The Shape of Water erfolgt derselbe Prozess innerhalb eines Films.)

Alle Figuren bekommen die Chance, sich vorzustellen und Empathie zu wecken. Es gibt nichts, wofür man sich schämen muss. Sie alle sind unvollkommen und fühlen sich fehl am Platz oder ihnen fehlt ein Platz in der Gesellschaft. Die unterschiedlichsten Makel, Sehnsüchte und Bedürfnisse entwickeln bereits auf dem Papier eine tolle Dynamik. "Charakterschwäche", wie Strickland in einer urkomischen Szene zu Beginn erklärt, dürfe es nicht geben. Recht hat er! Beim Picknick mit Elisa und dem Fischmann grinst man nur so vergnügt auf die Leinwand. Ist das süß! Aber unmittelbar nach dem nächsten Schnitt muss man den Angebeteten in einer dramatischen Befreiungsaktion vor dem Fiesling retten. Da ist nicht viel mit Vorarbeit, es geht gleich zur Sache - holla, wir hatten erst ein Date! Ich brauche mehr Zeit!

Ein Oscar für das Hollywoodkino

Immerhin geht die Handlung über Free Willy hinaus. In welchem Märchen wird schon erzählt, was nach dem vermeintlichen Happy End mit Prinz und Prinzessin passiert? Mit welchen Problemen müssten sie fertig werden? Ein Gang ins Kino klärt auf. Es ist erstaunlich, dass der Film hier noch so gut die Kurve kriegt und sich ab der Hälfte schön entfaltet.

Der größte Kitsch wäre es, wenn The Shape of Water bei der 90. Oscar-Verleihung abräumen würde -oder? Hier kommt ausgerechnet ein Mexikaner, der die Mauern in unseren Köpfen niederreißen möchte... jaja. Egal, es ist ein toller Film! Was ihn trotz seiner Schwächen so fantastisch macht und mich die alljährliche Diskussion um Hollywoods notorische Selbstgefälligkeit vergessen lässt, ist del Toros Liebe für die Sache. Liebe vor allem zum Kino und für alle, die es immer wieder dorthin verschlägt, hat man auch noch so viele Filme bereits gesehen. Dieses Werk ist ein Konfetti an Ideen mit einem wasserdichten Konzept und unvergesslichen Szenen. Mehr davon!