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"Joker" und die Angst vor der Gewalt – Eine Chronik

Joaquin Phoenix in Joker
Joaquin Phoenix in "Joker" Verleih

Der düstere Comic-Blockbuster "Joker" ist jetzt in den Kinos gestartet und wird nicht nur von klingelnden Kassen begleitet, sondern auch von vielen Kontroversen. Dabei dreht sich viel um Gewalt – aber nicht nur um die filmische. Tatsächlich sorgt der Film für Befürchtungen, dass er reale Taten auslösen könnte. Hier ist eine Übersicht zu Berichten über Warnungen und andere Vorkommnisse.

Woher kommt die Furcht vor dem Joker eigentlich? Klar, der legendäre Comic-Bösewicht und Batman-Widersacher ist ein wirklich schlimmer Finger, der mit durchgeknallter Lache und Clownsschminke nicht nur die Coulrophobie (Angst vor Clowns) vieler Menschen befeuert, sondern mit seiner ausgeprägten kriminellen Ader stets Chaos und Anarchie anstrebt. Wirklich furchteinflößend, in der Tat – aber am Ende des Tages doch nur Fiktion.

Doch beim neuen Film "Joker" ist die Angst auf einmal ganz real, denn die Darstellung von Arthur Flecks (Joaquin Phoenix) Abstieg in den Wahnsinn scheint einen empfindlichen Nerv zu treffen, dass sogar schon die Frage aufkam, ob das Werk von Regisseur Todd Phillips nicht unter Umständen auch Menschen zu Gewalttaten inspirieren könnte. Als "gefährlich" wird er eingestuft, obwohl schon Gegenstimmen laut wurden, die den Film als sehr menschlich verteidigen. Trotzdem wird der Kinostart von einer diffusen Gefahr begleitet, wie mehrere Berichte zeigen.

2012 in Aurora, Colorado

Neben der Erzählung wie Inszenierung an sich, die als kontrovers gelten, wird "Joker" auch in Zusammenhang mit dem Amoklauf vom 20. Juli 2012 in Aurora, Colorado gesetzt. Damals eröffnete ein Mann in einem Kino während einer Vorstellung von "The Dark Knight Rises" das Feuer und tötete dabei zwölf Menschen. "The Dark Knight Rises" ist der dritte Teil in Christopher Nolans Batman-Trilogie, wodurch sich eine Nähe zum Joker ergibt, der auch schon im Vorgänger zu sehen war – damals gespielt von Heath Ledger. Zudem wurde damals behauptet, der Täter habe sich selbst als Joker bezeichnet. Das wurde allerdings später von offizieller Seite abgestritten.

Angehörige und Freunde der Opfer von damals haben vor der Veröffentlichung von "Joker" einen Brief an das produzierende Studio Warner verfasst, in dem sie ihre Sorge gegenüber dem Film kundtaten, wie Variety berichtete. Zum Boykott des Films riefen sie nicht auf, wollten aber für das Thema Schusswaffenkontrolle in den USA sensibilisieren und das große wie einflussreiche Unternehmen mit in die Verantwortung nehmen, aktiv etwas daran zu ändern.

Wie Deadline vermeldete, antwortete Warner und betonte, dass weder Film noch Figur reale Gewalt propagieren und der Joker nicht als Held dargestellt werden soll. Trotzdem glaube man daran, dass Filme durchaus komplexe Diskussionen zu schwierigen Themen provozieren dürfen und sollen. Zudem wurde gemeinsam mit dem Betreiber die Entscheidung getroffen, dass "Joker" nicht im selben Kino gezeigt wird, in dem 2012 das tragische Ereignis stattfand.

Fox Business meldete außerdem, dass Landmark Theatres, die größte Kinokette der USA für fremdsprachige und unabhängige Filme, Besuchern verbietet, sich wie der Joker zu verkleiden – insbesondere Masken und Gesichtsbemalung sind betroffen.

Der PR-Effekt

Am 24. September schrieb The Wrap, dass Offiziere eines US-Militärstützpunktes vor möglicher Gewalt in Bezug auf "Joker" gewarnt wurden, da zum damaligen Zeitpunkt geheimdienstliche Hinweise vorgelegen haben sollen, die auf einen Amoklauf deuteten. Angeblich habe es "verstörende und sehr spezifische Gespräche im Dark Web" gegeben.

Doch auch schlechte Presse ist gute Presse, oder? Doch darauf wollte es Warner scheinbar nicht anlegen: Kurz vor der Premiere des Films in Los Angeles wurde nämlich laut The Hollywood Reporter bekannt, dass alle zuvor eingeladenen Journalisten nicht mehr teilnehmen durften – nur noch Fotografen wurden zugelassen. In einem Statement von Warner habe es geheißen, dass "so viel über ‚Joker‘ gesagt wurde, dass wir jetzt einfach der Meinung sind, dass ihn die Leute endlich sehen sollen."

Das Timing der Entscheidung machte jedenfalls stutzig, zumal nur wenige Tage vorher Hauptdarsteller Joaquin Phoenix aus einem Interview stürmte, als die Frage nach Gewalt und mögliche durch den Film inspirierte Täter aufkam. Es wirkt zumindest so, als wollte das Studio den öffentlichen negativen Diskurs zum Film dadurch beeinflussen, nachdem er noch nach seiner Premiere bei den Filmfestspielen in Venedig frenetisch gefeiert wurde und sogar den Goldenen Löwen gewann.

"Joker": finaler deutscher Trailer

Alarmbereitschaft bei Polizei und Publikum

Die Polizei in Los Angeles versprach Ende September jedenfalls, ihre Präsenz in der Nähe von Kinos zu erhöhen. Keine schlechte Idee, wie sich später herausstellen sollte: Am 4. Oktober berichtete Variety, dass ein Kino in der kalifornischen Stadt Huntington Beach, unweit von Los Angeles, vorübergehend geschlossen wurde. Die örtliche Polizei hatte nämlich glaubwürdige Informationen über eine Bedrohung erhalten und entsendete deshalb mehrere Beamte zum Filmtheater, das dann den Betrieb einstellte. Zwei "Joker"-Vorstellungen fielen dadurch aus. Am nächsten Tag öffnete das Lichtspielhaus aber wieder regulär.

Nur zwei Tage später, am 6. Oktober, kam es zu einem weiteren Zwischenfall in Long Beach: Während einer "Joker"-Vorstellung soll laut der Long Beach Post ein Mann aufgestanden und zum vorderen Ende des Saals gelaufen sein, von wo er das Publikum beobachte. Da er einen Rucksack bei sich hatte, befürchteten Personen, dass er vielleicht im Besitz einer Waffe sein könnte. Die Gäste hätten sich daraufhin "selbst evakuiert". Der Mann wurde dann von der Polizei in Gewahrsam genommen. Er hatte keine Waffe bei sich.

Spaßvögel nutzen Angst aus

Mittlerweile nutzen Einzelne die Angst um "Joker" für vermeintliche Späße aus: In einigen US-Kinos sind falsche Hinweise aufgetaucht, auf denen Personen ohne Begleitung der Zutritt zum Film verboten wird. Auf einem stand sogar geschrieben, dass männliche Singles vor dem Betreten des Kinos überprüft werden. Hintergrund ist der, dass der Film angeblich ganz besonders bei der Incel-Subkultur groß ankommt. Als Incels ("involuntary celibacy", auf Deutsch "unfreiwilliges Zölibat") werden vornehmlich weiße, heterosexuelle Männer beschrieben, die ungewollt keinen Geschlechtsverkehr haben und darüber frustriert sind. Diese finden sich im "Joker" offenbar wieder – die Sorge ist also, dass besonders diese Bevölkerungsgruppe zu Gewalttaten neigen könnte, ganz wie die Titelfigur.

"Joker" startet am heutigen 10. Oktober 2019 in deutschen Kinos. Hier sind einige Tweets mit Bildern der falschen Hinweise: