Wikinger waren keine Chorknaben, so viel ist klar. Jeder weiß, dass es bei den nordischen Völkern ganz schön brutal zuging. Erst recht, seit vor einigen Jahren die Serie "Vikings", die grob wahre Ereignisse der Wikinger-Ära verfilmt, einen Hype auslöste. Schon die Serie machte keine Gefangenen, hielt voll drauf, wenn Schwerter und Äxte in den gewaltigen Schlachten zum Einsatz kamen.

Und doch muss gesagt werden: Wer ab dem 21. April im Kino sitzt und sich "The Northman" anschaut, muss einiges abkönnen. Was dem gefeierten Regisseur Robert Eggers hier gelingt, ist – vorneweg – herausragend. Es ist aber auch teils, wie schon die Trailer andeuteten, unerträglich gewalttätig und abscheulich. Wenn man das abkann, muss man allerdings unbedingt ins Kino. Eine vergleichbare Erfahrung wird sich 2022 wohl nicht noch einmal bieten.

The Northman: Rache unter Wikingern

Im Jahr 895 kehrt Wikingerkönig Aurvandil (Ethan Hawke) aus der Schlacht in sein Inselreich Hrafnsey zurück. Da er spürt, dass sein Ende naht, soll sein zehnjähriger Sohn Amleth (Oscar Novak) die Macht übertragen bekommen. Doch Aurvandils Halbbruder Fjölnir (Claes Bang) überfällt das Königreich, tötet den König, nimmt dessen Frau Gudrún (Nicole Kidman) gefangen und schlachtet ein Großteil des Gefolges ab. Nur Amleth gelingt die Flucht. Er schwört: "Ich werde dich rächen, Vater. Ich werde dich retten, Mutter. Ich werde dich töten, Fjölnir."

25 Jahre später ist Amleth (jetzt: Alexander Skarsgård) ein Wikinger-Krieger geworden und hat seine Versprechen fast vergessen. Bei einem Überfall auf ein Dorf erscheint ihm eine Seherin (Björk Guðmundsdóttir), die ihm sein Schicksal wieder ins Gedächtnis ruft. Um Fjölnir zu finden, der sich auf Island versteckt, gibt er sich als Sklave aus und landet so in dessen Königreich. Dort plant er heimlich, seinen Onkel zu töten. Kompliziert wird es, als er sich in die Sklavin Olga (Anya Taylor-Joy) verliebt – und nun erstmals in seinem Leben wieder jemanden hat, den er nicht verlieren will.

Mythologisches Gemetzel: Ein Muss für "Vikings"-Fans

Universal Pictures Germany/Focus Features

Der mit dem Wolf brüllt: Alexander Skarsgård übertrifft sich in "The Northman" selbst.

Robert Eggers machte in der Vergangenheit mit zwei kleinen Filmen auf sich aufmerksam: der Horrorperle "The Witch" und dem in Schwarzweiß gefilmten, mystischen Kammerspiel "Der Leuchtturm". Beide waren schräg, hässlich, aber auf ihre Weise visionär. Sie zeigten historische Settings so real und unverfälscht wie möglich. Bei seinem dritten Film "The Northman" hat er nun erstmals mit großem Budget gearbeitet und sich völlig ausgetobt: In Irland wurden für die Dreharbeiten ganze Dörfer nachgebaut, und allein die Arbeit der Stuntabteilung und die vielen Eimer Filmblut, die hier vergossen wurden, dürften mächtig ins Geld gegangen sein.

Wikinger-Filme gibt es nur wenige. Bis auf "Vikings" war lange nichts Gutes zu sehen. "The Northman" ändert das und übertrifft die Hit-Serie sogar, weil er wie nie zuvor tief in die Wikinger-Kultur eintaucht, in die damaligen Bräuche und Gebaren. Ein irrer, beispielloser Auftritt von Willem Dafoe, der bei einem Ritual eine Art "Wikinger-Schamane" spielt, ist nur ein Beispiel dafür, wie herausragend dieser Film auf das Leben der Wikinger eingeht. In einer anderen wunderschönen Traumsequenz sieht Amleth beispielsweise eine Vision seines Todes, in der er von einer Walküre zu den Toren Valhallas gebracht wird. Die Liebe, die in solchen Momenten steckt, wird insbesondere "Vikings"-Fans verzaubern.

Eine sinnliche, blutgetränkte Erfahrung

Universal Pictures Germany/Focus Features

Für seine Rache riskiert Amleth alles – selbst die Liebe zu Olga (Anya Taylor-Joy).

Logisch also, dass es heftig zur Sache geht. Aufgeschlitzte Bäuche, gepfählte Köpfe und auch sexuelle Gewalt gegen Frauen sind omnipräsent in dieser durch und durch verdorbenen Welt. Amleth ist da keinesfalls ein Held, der seine Mutter vor dem tyrannischen Onkel befreit. In seiner ersten Szene als Erwachsener mordet und plündert er mit einem Wikinger-Stamm ein unschuldiges Dorf. Eine brillante Actionszene, die ihresgleichen sucht. Gänzlich ohne Schnitt wird hier ein Inferno des Grauens entfesselt und es ist allein der fantastischen Schauspielleistung von Alexander Skarsgård zu verdanken, dass Amleth trotz seiner Grausamkeit irgendwo eine nachvollziehbare Figur bleibt. Alle anderen Schauspieler treten übrigens ähnlich grandios auf, wobei insbesondere Nicole Kidman einige starke Szenen erhält.

Die Geschichte, die grob auf einer realen Wikinger-Sage beruht, mag nur wie ein simpler Rachetrip wirken, doch dahinter verbirgt sich trotz aller Brutalität ein intimer Film, eine Meditation über Glauben und Spiritualität. Viel gesprochen wird nicht, und Eggers erzählt weniger eine Geschichte, als er vielmehr Szenen ausstellt, Stimmungen und Eindrücke vermittelt. Wer also "Taken" mit Wikingern erwartet, dürfte enttäuscht werden. Ein wenig erinnert "The Northman" stattdessen entfernt an "Gladiator", doch am ehesten lässt sich dieses epische Meister- und Kunstwerk mit famosen Dramen wie "The Revenant", "Michael Kohlhaas" oder "The Green Knight" vergleichen. Wer unterdessen den Film "Walhalla Rising" kennt und liebt, wird "The Northman" vergöttern. Die beiden sind mehr als nur verwandt in Stil und Drastik.

Wenn man die extreme Gewalt und die menschlichen Grausamkeiten dieses Films erträgt, reißt "The Northman" einen mit, wie schon lange nichts mehr. Es ist eine sinnliche, blutgetränkte Erfahrung, diesen Film auf der großen Leinwand zu sehen. Und – das ist sein größter Triumph – es ist ein Film, der einem das echte, unverfälschte Wikinger-Leben näherbringt, als je zuvor in bewegten Bildern gelungen ist.