Piraten, Cowboys und Ritter gehören zu den klassischen Heldenfiguren des Kinos. Filme und Serien über Wikinger gibt es aber nur erstaunlich wenige – vom großen Hype um die TV-Serie "Vikings" der letzten Jahre mal abgesehen. Schön also, dass sich nun der gefeierte Filmemacher Robert Eggers der nordischen Völker angenommen hat. Und noch schöner, dass sein "The Northman" (seit dem 21. April in den deutschen Kinos) die Wikinger-Kultur nicht nur ernstnimmt, sondern auch so grandios episches Kino ist, dass er schon jetzt ein Highlight des Filmjahres darstellt.

Aber was hat Eggers dazu verleitet, eine Wikinger-Sage aus dem 12. Jahrhundert zu verfilmen? Wie aufwendig ist es, einen Actionfilm im verregneten Irland unter freiem Himmel zu drehen? Und kennt der Regisseur die "Vikings"-Serie eigentlich? TVSPIELFILM.de-Redakteur Michael Hille hat ihn im Interview dazu befragt.

The Northman: Robert Eggers im Interview

Universal Pictures Germany/Focus Features

Das internationale Poster zu "The Northman".

TVSPIELFILM.de: Gratulation, Herr Eggers – Ihr "The Northman" ist nicht nur großartig, sondern dürfte schon jetzt den Titel "Brutalster Film des Jahres 2022" gewonnen haben.

Robert Eggers: (lacht) Ich danke Ihnen. Vielen Dank.

Meine erste Frage nach dem Kinobesuch war daher: Wie viel (Kunst-)Blut kam bei den Dreharbeiten zum Einsatz? Wissen Sie das genau?

Ich bin sicher, dass das viele interessieren wird. Ich werde mal versuchen, es herauszufinden. Es sind auf jeden Fall sehr viele Eimer gewesen, so viel kann ich sagen.

Gleich schon in der ersten Actionszene des Films, in der die Wikinger ein Dorf überfallen, dürften einige dieser Eimer vergossen worden sein. In der Szene gibt es ja kaum Schnitte, alles passiert in einer Kamerafahrt. Wie lange muss man sowas planen?

Die Szene hat von allen Momenten im Film am meisten Vorbereitungszeit gefordert. Wir haben Monate daran gefeilt. Das ganze Dorf wurde so gebaut, dass es perfekt für die Szene war, die wir drehen wollten.

Ich stelle mir das schwierig vor, in so einer komplexen und langen Szene noch mit Tieren zu arbeiten. Selbst die Pferde müssen ja ihren Job richtig machen, sonst geht's an den Anfang zurück und alle müssen von vorne beginnen.

Wir hatten auf dem Boden genau abgeklebt, wer sich auf welchen Bahnen bewegen muss, wann die Kamera an welcher Stelle anhält und welche Perspektive wir dann bekommen werden. Und die Tiertrainer mussten diesen Plan dann so abstimmen, dass die Pferde zum richtigen Zeitpunkt im Bild waren und trotzdem auch immer in Sicherheit standen, weil wir ja noch mit Feuer und Pyrotechnik hantierten. Also ja, es war ein unglaublicher Aufwand. Der eigentliche Dreh der Szene dauerte dann allerdings nur vier Tage.

Der Film ist enorm physisch, wirkt echt und dreckig. Wie viel von dem, was man sieht, ist denn tatsächlich echt – und wie viel wurde durch Computereffekte bearbeitet?

Natürlich haben wir viele Elemente durch die Computer noch verstärkt oder überarbeitet. Es gibt Details, die sind am PC einfacher zu machen und fallen niemandem störend auf. Zum Beispiel, wenn Pfeile abgeschossen werden und durch die Luft fliegen, dann sind das in der Regel Computereffekte und niemanden stört sowas. Aber wir haben auch mit echten Pfeilen geschossen. Das ist mir wichtig, es muss so viel wie möglich real sein. Wenn das große Wikingerschiff durch die Meere prescht, dann machen wir sowas natürlich aus Sicherheitsgründen am Computer. Aber selbst das erfordert viel praktische Arbeit, denn wir müssen uns tonnenweise Material zu echten Wikingerschiffen aus der damaligen Zeit angucken und diese einscannen. Nur so kann es hinterher real aussehen.

Es ist natürlich viel anstrengender, in Irland bei Wind und Wetter zu drehen, als es im gemütlichen Studio zu machen.

Absolut. Jeden Tag an einer großen Klippe zu hocken und durchnässt zu arbeiten, hat uns alle sehr gefordert. Man kann es im Film nicht sehen, weil wir viele Szenen so beleuchtet haben, dass man es nicht erkennt, aber es hat während der Aufnahmen fast die ganze Zeit geregnet. Es waren sehr harte Dreharbeiten. Keine einfachen Bedingungen. (lacht)

Parallelen zu "König der Löwen"? Robert Eggers fühlt sich "ertappt"

Focus Features

Beeindruckend: Für "The Northman" ließ Robert Eggers ganze Dörfer bauen.

Was hat für Sie den Reiz ausgemacht, die Sage von "Prinz Amleth" zu verfilmen? Das Original ist ja schon fast eintausend Jahre alt.

Ich wollte einen Film machen, der tief in die Wikinger-Mythologie eintaucht. Allein schon, weil es für viele Zuschauer eine ganz neue Erfahrung wäre. Es gibt schließlich nicht viele Filme über Wikinger, die sich Mühe geben, einigermaßen akkurat zu sein. Aber man darf dem Publikum nicht nur Neues und Fremdes vorsetzen, es muss auch vertraute Elemente geben. Das Großartige an der Geschichte von "Prinz Amleth" ist, dass sie eigentlich jeder kennt – weil William Shakespeare die Sage auch kannte und sie unter dem Titel "Hamlet" neugeschrieben hat. Und "Hamlet" war dann wieder die Vorlage für "Der König der Löwen" und den hat wohl wirklich jeder gesehen.

Ich finde es witzig, dass Sie "Der König der Löwen" erwähnen. Das große Finale von "The Northman", bei dem – ohne zu viel zu verraten – die beiden Erzfeinde in einem ausbrechenden Vulkan kämpfen, hat einige erstaunliche Parallelen zum Endkampf des Disney-Films zwischen den Löwen Simba und Scar.

Darauf bin ich nicht stolz. (lacht) Uns sind diese Ähnlichkeiten an irgendeinem Punkt während der Produktion auch aufgefallen, aber da war es schon zu spät und wir konnten es nicht mehr ändern. Obwohl ich es gerne geändert hätte. (lacht) Es war jedenfalls keine tiefere Absicht dabei. Ich habe wohl einfach gehofft, es würde mich keiner in Interviews darauf ansprechen. Aber Gratulation: Sie haben uns ertappt.

Ich möchte die Szene gar nicht schmälern, sie ist absolut bildgewaltig und spektakulär umgesetzt.

Vielen Dank, wirklich. Wir freuen uns alle, sowas zu hören.

"The Witch", Ihr erster Film, war zwar ein Horrormärchen, handelte aber in meinen Augen vor allem von Selbstentdeckung. Ihr zweiter Film "Der Leuchtturm" (im Original: "The Lighthouse") handelte dann von Selbstzerstörung. In "The Northman" spielt nun beides eine gleichgroße Rolle.

Sowas plane ich nicht im Vorfeld. Ich setze mich nicht hin und überlege mir, welche Message oder welche Aussage mein Film haben soll. Diese Parallelen passieren einfach. Wichtig ist mir nur, dass das, was auch immer wir erzählen, am Ende beim Publikum auf Resonanz stößt. Wenn das nämlich nicht passiert, wozu sollte ich dann überhaupt Filme machen?

Was glauben Sie denn, was das Publikum fühlen wird, wenn es Ihren Film gesehen hat? Er ist ja nicht einfach nur sehr brutal, sondern hat auch eine bemerkenswerte Sensibilität.

Ich hoffe ganz ehrlich zuallererst, dass die Leute sich unterhalten fühlen. Bei meinen ersten beiden Filmen war das noch ein bisschen anders, aber dieses Mal möchte ich, dass die Leute sich setzen, ihr Popcorn essen und eine gute Zeit haben. Ich hoffe aber auch, dass sie über den Film sprechen, über das Ende und vielleicht sogar diskutieren, wie sie ihn deuten und wie sie zu den Figuren stehen. Das war die Schwierigkeit bei diesem Film: Ich musste eine wirklich alte Geschichte so erzählen, dass ein modernes Publikum etwas damit anfangen kann. Ich kann meinen Film bei aller Detailliebe ja nicht für Wikinger drehen. Die sind alle tot.

Welche Filme inspirierten Robert Eggers zu "The Northman"?

IMAGO / Independent Photo Agency Int.

Mit nur drei Filmen hat sich Robert Eggers den Status als einer der besten Regisseure seiner Ära erarbeitet.

Haben Sie sich im Vorfeld andere Wikinger-Filme angesehen? Sie sagten ja, es gäbe nicht so viele, aber die letzten Jahre war die TV-Serie "Vikings" ein großer Publikumserfolg.

Ein paar "Vikings"-Folgen habe ich gesehen, aber das ist alles sehr weit weg von der echten Welt der damaligen Wikinger. Deshalb ist es nicht wirklich mein Fall. Ich habe mir tatsächlich nochmal "Die Wikinger" von Richard Fleischer aus dem Jahr 1958 angesehen. Das ist denke ich der ikonischste Film überhaupt über Wikinger – allein, weil Kirk Douglas und Tony Curtis unglaublich darin sind. Es ist wirklich ein ganz toller Film und wenn Kirk Douglas sich einen Bart hätte wachsen lassen, wäre er sogar noch authentischer. (lacht) Für die 1950er hat mich der sehr beeindruckt. Es gibt noch einen isländischen Film namens "Vikings – Die Gisli Saga", der hat mir gefallen, und ich kenne noch ein paar interessante Wikinger-Filme aus der Sowjetunion, aber da hört es dann schon auf.

Wie kam die erneute Zusammenarbeit mit Willem Dafoe zustande? Seine Figur ist eine der verrücktesten Typen, die es seit langer Zeit im Kino zu sehen gab.

Ich wollte unbedingt eine Rolle für Willem. Ich habe bei "The Lighthouse" so gerne mit ihm zusammengearbeitet. Und er ist, um es so deutlich zu sagen, einer der besten Schauspieler, die es je gegeben hat. Ich bin also in erster Linie nur überglücklich, dass er gerne mit mir arbeitet. Er spielt hier eine Sagenfigur, die wir in unseren Kulturkreisen nicht kennen. Es ist eine Mischung aus einem Hofnarren und einem Schamanen. Sowas kann nur Willem Dafoe spielen.

Mit Ethan Hawke ist noch ein weiterer großer Charakterschauspieler in einer kleinen Rolle mit an Bord. Er spielt den Vater von Alexander Skarsgård – nicht die offensichtlichste Wahl, oder? Sein echter Vater Stellan Skarsgård ist ja selbst ein erfolgreicher Hollywood-Star.

Stimmt natürlich. Wenn ich ihn mir jedoch ansehe, dann ähnelt Ethan vielleicht nicht wirklich Stellan, aber er hat eine Ähnlichkeit mit Alex. Wichtiger ist allerdings: Ich habe Ethan oft in New York auf der Theaterbühne gesehen. Er ist großartig. Als wir uns zum ersten Mal sprachen, über Zoom, habe ich ihm gesagt: "Ich weiß, dass dir diese Rolle liegt. Du weißt, dass dir diese Rolle liegt. Aber niemand wird so eine Rolle von dir erwarten." Das hat ihn wohl überzeugt. Und er ist wunderbar. Wenn man ihn in seiner Rüstung reiten sieht, denkt man: "Das ist ein Wikingerkönig."

Nicole Kidman und Alexander Skarsgård spielen hier Mutter und Sohn – zuletzt sah man beide in "Big Little Lies" noch als Ehepaar. Hatten Sie das beim Casting im Hinterkopf?

Absolut. Wir waren uns dessen sehr bewusst. Es gibt in Hollywood diesen verstörenden Hang dazu, Frauen als Mütter zu besetzen, die nur höchstens zehn Jahre älter sind als die Darsteller, die ihre Söhne spielen. Das hat eine lange Tradition, schon im Theater bei Hamlet war das meistens nicht anders. Wir wollten hier damit spielen – und brauchten zugleich eine Schauspielerin, die in zwei Altersspannen glaubhaft wirkt. Nicole muss in diesem Film eine 30-Jährige und eine 55-Jährige verkörpern. (lacht) Sie ist in beiden Parts sehr glaubwürdig.

Es gelingt ihr fabelhaft. Und sie hat mit Skarsgård eine faszinierende dunkle, düstere Chemie.

In der Tat. Ich denke, ich sage nicht zu viel, wenn ich verrate, dass wir sie auch genau deshalb hier wieder vereinen wollten.

Wie sind Sie eigentlich auf den Titel des Films gekommen? Eine gewisse Ironie hat er ja: Alexander Skarsgård ist bei vielen erst durch die Vampirserie "True Blood" bekannt geworden. Damals spielte er einen Eric Northman.

(hält sich die Hände vors Gesicht) Erst "Der König der Löwen", jetzt kommen Sie mir mit "True Blood". (nimmt die Hände runter, lacht) Das ist mir so peinlich. Ich habe das lange Zeit nicht einmal gewusst. Sonst hätte ich den Film vielleicht anders genannt. Ich fand einfach, "The Viking" klingt ein bisschen zu doof und einfach. Aber wie dann dieser Titel zustande kam … Nun, wenn ich mir meine bisherigen Filme anschaue, gefallen mir wohl einfach Zwei-Wort-Titel, die mit "The" beginnen. (lacht)

Vielen Dank für das Gespräch!