Unglaubliche Karriere: Kultfigur Horst Schlämmer wird Kanzlerkandidat. Zum Glück nur im Kino.
Der Mann stinkt nach Schnaps. Sein ockerfarbener Kurzmantel spannt über der Plauze, die letzte Rasur ist mindestens drei Tage her, und die strenge Fuselfahne, die ihn schon frühmorgens umwabert, macht jeden, der sie nur von Weitem riecht, sturztrunken. Horst Schlämmer, Jahrgang 1957, ist stellvertretender Chefredakteur des "Grevenbroicher Tagblatts" und ein Schmierenjournalist, wie er im Buche steht.
Seit seinem ersten öffentlichen Auftritt im Jahr 2005 hat der Mann mit der Herrenhandtasche ("der Schnapper aus Nappa") eine irrwitzige Karriere hingelegt: Aus dem niederrheinischen Lokalreporter wurde eine landesweit berühmt-berüchtigte fiese Type. Ihr Schöpfer Hape Kerkeling (44), der mit Bühnenfiguren wie Hannilein und Siegfried Schnäbli so seine Erfahrung hat, staunt selbst über das Eigenleben, das sein zotenreißender Schreiberling aus der Provinz inzwischen führt.
"Dabei war das gar nicht meine Absicht. Es war nur ein Versuch, auch mal eine eklige Figur zu entwickeln. Dass die dann so beim Zuschauer ankommt - man wundert sich; ist aber schön." Kerkeling spricht so gut wie gar nicht über Schlämmer. TV SPIELFILM verriet er immerhin, dass es ein reales Vorbild für den Mann mit der Wampe gibt, doch dessen Identität mag der Künstler nicht preisgeben.
Der wahre Horst
"Wozu auch", sagt Kerkeling, "Horst Schlämmer reflektiert nicht, und der Herr, der gemeint ist, der reflektiert auch nicht. Insofern besteht überhaupt keine Gefahr, dass er jemals merken wird, dass er gemeint ist."
Mit diebischem Vergnügen überschreitet der privat eher zurückhaltende Kerkeling als Schmuddelschreiber jede Grenze. Mit wohl kalkulierter Dreistigkeit und vermeintlich harmloser Jovialität entlarvt er bei seinem Gegenüber politisches Unwissen, totale Humorlosigkeit und haarsträubende Dummheit.
Oft merken die Gefoppten nicht mal, dass sie sich gerade zum Affen machen (lassen). Doch anders als Zyniker Sacha Baron Cohen ("Borat", "Brüno") lässt Kerkeling seinen "Opfern" wenigstens das
letzte bisschen Würde. Bei seinem Schlämmer kennt er dagegen weder Scham noch Taktgefühl.
Vor Auftritten als Horst S. gurgelt Hape K. mit Doornkaat und gießt sich den Rest des Fläschchens über den Mantel. Getreu seinem Motto "Immer janz discht dran und knallhart nachjefracht" rückt er seinen Gesprächspartnern so penetrant wie müffelnd auf die Pelle. Ist das Objekt seiner Begierde weiblich, legt der Macho sich ins Zeug. Schlämmer entflammt schnell und geht gleich aufs Ganze. "In jedem Mann steckt ein Terrier, nur meiner darf nachts raus", nuschelt er lüstern durch die schlecht sitzenden Dritten, um sabbernd nachzusetzen: "Schätzelein, sind die Zähne erst mal raus, hat die Zunge freies Spiel."
Ungehobelter Klotz mit grauer Vokuhilamatte
Die scheinbar spontane Unverfrorenheit, mit der er andere überrumpelt, kommt an bei den TV-Zuschauern, die einschalten, wann immer der ungehobelte Klotz mit der grauen Vokuhilamatte auf dem Bildschirm erscheint. Meist jammert er dabei über seine Wehwehchen, die er stets mit "Isch habe" einleitet, gefolgt von dem jeweils gerade schmerzenden Körperteil. Als er bei der TV-Gala "Stars in der Manege" auf einem Kamel ritt, klagte er: "Isch habe Rücken. Au, jetzt hab' isch mir wat einjeklemmt."
Er sang bei "Let's dance" mit Ute Lemper im Duett und japste: "Isch habe Kreislauf und Füße." Das Publikum johlte. Sein Meisterstück lieferte er 2006 bei Günther Jauchs "Wer wird Millionär"; sprach: "Isch habe Rücken. Ist Ihr Stuhl besser gefedert als meiner? Isch meine, ja", wuchtete sich kurzerhand auf den Moderatorenplatz und ließ den verblüfften Quizmaster raten. "Jetzt werden Sie gegrillt, Herr Jauch." Doch der schaffte die 500000-Euro-Frage.
Über Schlämmers Schlagfertigkeit lachten damals nicht nur die Promi-Rategäste Tim Mälzer, Rudi Völler und Barbara Schöneberger Tränen, auch 10,6 Millionen TV-Zuschauer amüsierten sich wie Bolle. Für die Unterhaltung der Extraklasse gab's den Deutschen Fernsehpreis und den Deutschen Comedypreis. Ein Jahr darauf gelang Kerkelings zauseliger Kunstfigur der nächste Coup. In einer Online-Werbekampagne warb sie für den neuen Golf. Als Internetblog für Schlämmers Fahrstunden getarnt, toppten die Clips alle Erwartungen.
Schlämmer for Bundeskanzler
Auf dem Höhepunkt der Schlämmer-Mania beschlossen Kerke ling und Lebens- und Arbeitsgefährte Angelo Colagrossi ("Kein Pardon", "Ein Mann, ein Fjord"), das Superwahljahr 2009 zu nutzen, um den Politjournalisten via Bundestagswahlkampf ins Kino zu schicken. Promi-Unterstützung ist den Parteien immer willkommen.
Doch Schlämmer will nicht für andere die Werbetrommel rühren. Er gründete seine eigene Partei - die "HSP" - und stürzte sich in den Wahlkampf. In seiner Heimatstadt Grevenbroich baute er im Juni mittwochs und samstags einen Wahlstand auf dem Marktplatz auf und mischte sich unters Volk. Anschließend trug er sich ins Goldene Buch der Stadt ein, der Bürgermeister strahlte an seiner Seite in die Kameras. "Horst Schlämmer hat den Bekanntheitsgrad der Stadt um 100 Prozent gesteigert. Wenn wir das mit einer Werbekampagne hätten erreichen wollen, hätten wir das niemals bezahlen können", sagt Norbert Häke, Pressesprecher der Stadt.
Schlämmer zog in die Hauptstadt weiter und warb vorm Reichstag hintersinnig in eigener Sache. "Die HSP steht für Gerechtigkeit. Gerechtigkeit für jeden. Unsere konkrete, klare Ansage ist: Es muss mehr von weniger sein. Weisse Bescheid." Wie bei seinem grandiosen Auftritt als falsche Königin Beatrix, die 1991 vorm Schloss Bellevue vorfuhr, weil sie mit dem Bundespräsidenten "lecker Mittagessen" wollte, foppt Kerkeling auch als Schlämmer die Ahnungslosen, die ihm begegnen. Er textet sie zu mit Slogans wie "Yes Weekend" oder "Wir sind konservativ, wir sind liberal, wir sind links", und die Kamera fängt ihre (meist tumben) Reaktionen ein.
Aber Schlämmer sucht auch die Nähe zu "echten" Politikern. Angela Merkel konnte oder wollte nicht, drum spielt Kerkeling im "Kanzlerduell" eine Doppelrolle, ist Herausforderer und Kanzlerin. Andere Volksvertreter stellten sich der seltsamen Begegnung, wie Jürgen Rüttgers oder Cem Özdemir. Letzteren verblüffte Schlämmer mit der Ansage: "Damit isch nisch so viel reisen muss, ist eine unserer Forderungen: Grevenbroich wird Bundeshauptstadt."
Schlämmers Ausflug in die Politik endet natürlich nicht im Kanzleramt, sondern ab 20. August auf der Leinwand. Dann läuft "Isch kandidiere" im Kino an.
S. Sturm
Der Mann stinkt nach Schnaps. Sein ockerfarbener Kurzmantel spannt über der Plauze, die letzte Rasur ist mindestens drei Tage her, und die strenge Fuselfahne, die ihn schon frühmorgens umwabert, macht jeden, der sie nur von Weitem riecht, sturztrunken. Horst Schlämmer, Jahrgang 1957, ist stellvertretender Chefredakteur des "Grevenbroicher Tagblatts" und ein Schmierenjournalist, wie er im Buche steht.
Seit seinem ersten öffentlichen Auftritt im Jahr 2005 hat der Mann mit der Herrenhandtasche ("der Schnapper aus Nappa") eine irrwitzige Karriere hingelegt: Aus dem niederrheinischen Lokalreporter wurde eine landesweit berühmt-berüchtigte fiese Type. Ihr Schöpfer Hape Kerkeling (44), der mit Bühnenfiguren wie Hannilein und Siegfried Schnäbli so seine Erfahrung hat, staunt selbst über das Eigenleben, das sein zotenreißender Schreiberling aus der Provinz inzwischen führt.
"Dabei war das gar nicht meine Absicht. Es war nur ein Versuch, auch mal eine eklige Figur zu entwickeln. Dass die dann so beim Zuschauer ankommt - man wundert sich; ist aber schön." Kerkeling spricht so gut wie gar nicht über Schlämmer. TV SPIELFILM verriet er immerhin, dass es ein reales Vorbild für den Mann mit der Wampe gibt, doch dessen Identität mag der Künstler nicht preisgeben.
Der wahre Horst
"Wozu auch", sagt Kerkeling, "Horst Schlämmer reflektiert nicht, und der Herr, der gemeint ist, der reflektiert auch nicht. Insofern besteht überhaupt keine Gefahr, dass er jemals merken wird, dass er gemeint ist."
Mit diebischem Vergnügen überschreitet der privat eher zurückhaltende Kerkeling als Schmuddelschreiber jede Grenze. Mit wohl kalkulierter Dreistigkeit und vermeintlich harmloser Jovialität entlarvt er bei seinem Gegenüber politisches Unwissen, totale Humorlosigkeit und haarsträubende Dummheit.
Oft merken die Gefoppten nicht mal, dass sie sich gerade zum Affen machen (lassen). Doch anders als Zyniker Sacha Baron Cohen ("Borat", "Brüno") lässt Kerkeling seinen "Opfern" wenigstens das
letzte bisschen Würde. Bei seinem Schlämmer kennt er dagegen weder Scham noch Taktgefühl.
Vor Auftritten als Horst S. gurgelt Hape K. mit Doornkaat und gießt sich den Rest des Fläschchens über den Mantel. Getreu seinem Motto "Immer janz discht dran und knallhart nachjefracht" rückt er seinen Gesprächspartnern so penetrant wie müffelnd auf die Pelle. Ist das Objekt seiner Begierde weiblich, legt der Macho sich ins Zeug. Schlämmer entflammt schnell und geht gleich aufs Ganze. "In jedem Mann steckt ein Terrier, nur meiner darf nachts raus", nuschelt er lüstern durch die schlecht sitzenden Dritten, um sabbernd nachzusetzen: "Schätzelein, sind die Zähne erst mal raus, hat die Zunge freies Spiel."
Ungehobelter Klotz mit grauer Vokuhilamatte
Die scheinbar spontane Unverfrorenheit, mit der er andere überrumpelt, kommt an bei den TV-Zuschauern, die einschalten, wann immer der ungehobelte Klotz mit der grauen Vokuhilamatte auf dem Bildschirm erscheint. Meist jammert er dabei über seine Wehwehchen, die er stets mit "Isch habe" einleitet, gefolgt von dem jeweils gerade schmerzenden Körperteil. Als er bei der TV-Gala "Stars in der Manege" auf einem Kamel ritt, klagte er: "Isch habe Rücken. Au, jetzt hab' isch mir wat einjeklemmt."
Er sang bei "Let's dance" mit Ute Lemper im Duett und japste: "Isch habe Kreislauf und Füße." Das Publikum johlte. Sein Meisterstück lieferte er 2006 bei Günther Jauchs "Wer wird Millionär"; sprach: "Isch habe Rücken. Ist Ihr Stuhl besser gefedert als meiner? Isch meine, ja", wuchtete sich kurzerhand auf den Moderatorenplatz und ließ den verblüfften Quizmaster raten. "Jetzt werden Sie gegrillt, Herr Jauch." Doch der schaffte die 500000-Euro-Frage.
Über Schlämmers Schlagfertigkeit lachten damals nicht nur die Promi-Rategäste Tim Mälzer, Rudi Völler und Barbara Schöneberger Tränen, auch 10,6 Millionen TV-Zuschauer amüsierten sich wie Bolle. Für die Unterhaltung der Extraklasse gab's den Deutschen Fernsehpreis und den Deutschen Comedypreis. Ein Jahr darauf gelang Kerkelings zauseliger Kunstfigur der nächste Coup. In einer Online-Werbekampagne warb sie für den neuen Golf. Als Internetblog für Schlämmers Fahrstunden getarnt, toppten die Clips alle Erwartungen.
Schlämmer for Bundeskanzler
Auf dem Höhepunkt der Schlämmer-Mania beschlossen Kerke ling und Lebens- und Arbeitsgefährte Angelo Colagrossi ("Kein Pardon", "Ein Mann, ein Fjord"), das Superwahljahr 2009 zu nutzen, um den Politjournalisten via Bundestagswahlkampf ins Kino zu schicken. Promi-Unterstützung ist den Parteien immer willkommen.
Doch Schlämmer will nicht für andere die Werbetrommel rühren. Er gründete seine eigene Partei - die "HSP" - und stürzte sich in den Wahlkampf. In seiner Heimatstadt Grevenbroich baute er im Juni mittwochs und samstags einen Wahlstand auf dem Marktplatz auf und mischte sich unters Volk. Anschließend trug er sich ins Goldene Buch der Stadt ein, der Bürgermeister strahlte an seiner Seite in die Kameras. "Horst Schlämmer hat den Bekanntheitsgrad der Stadt um 100 Prozent gesteigert. Wenn wir das mit einer Werbekampagne hätten erreichen wollen, hätten wir das niemals bezahlen können", sagt Norbert Häke, Pressesprecher der Stadt.
Schlämmer zog in die Hauptstadt weiter und warb vorm Reichstag hintersinnig in eigener Sache. "Die HSP steht für Gerechtigkeit. Gerechtigkeit für jeden. Unsere konkrete, klare Ansage ist: Es muss mehr von weniger sein. Weisse Bescheid." Wie bei seinem grandiosen Auftritt als falsche Königin Beatrix, die 1991 vorm Schloss Bellevue vorfuhr, weil sie mit dem Bundespräsidenten "lecker Mittagessen" wollte, foppt Kerkeling auch als Schlämmer die Ahnungslosen, die ihm begegnen. Er textet sie zu mit Slogans wie "Yes Weekend" oder "Wir sind konservativ, wir sind liberal, wir sind links", und die Kamera fängt ihre (meist tumben) Reaktionen ein.
Aber Schlämmer sucht auch die Nähe zu "echten" Politikern. Angela Merkel konnte oder wollte nicht, drum spielt Kerkeling im "Kanzlerduell" eine Doppelrolle, ist Herausforderer und Kanzlerin. Andere Volksvertreter stellten sich der seltsamen Begegnung, wie Jürgen Rüttgers oder Cem Özdemir. Letzteren verblüffte Schlämmer mit der Ansage: "Damit isch nisch so viel reisen muss, ist eine unserer Forderungen: Grevenbroich wird Bundeshauptstadt."
Schlämmers Ausflug in die Politik endet natürlich nicht im Kanzleramt, sondern ab 20. August auf der Leinwand. Dann läuft "Isch kandidiere" im Kino an.
S. Sturm