Ob CSU-Chef Horst Seehofer, AfD-Politikerin Beatrix von Storch, Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender von Axel Springer, oder jetzt DER SPIEGEL: Die Abneigung gegen den Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk scheint in den letzten Jahren zum Konsens geworden zu sein. Nur die Gründe sind so verschieden und schleierhaft, dass einem ganz schwindelig wird. Horst Seehofer kritisierte im Februar 2016, dass "zu oft die persönliche Überzeugung der Autoren der Maßstab für die Berichterstattung sei". Beatrix von Storch wiederholte schlichtweg den Vorwurf ihres Parteikollegen Sven Tritschler, "der zwangsfinanzierte #Staatsfunk muss mitsamt seinem arroganten Propagandistenstadl weg".

Mathias Döpfner sieht in Angeboten wie tagesschau.de eine beitragsfinanzierte Konkurrenz privater Verleger. Er polterte: "Nur Staatsfernsehen und Staatspresse im Netz - das wäre doch eher etwas nach dem Geschmack von Nordkorea." Und DER SPIEGEL? Er lässt seinen Kolumnisten Jan Fleischhauer behaupten: "Wer von einer Gebühr abhängt, die wie eine Steuer erhoben wird, hat ganz schlechte Karten, wenn er auf Staatsferne pocht."

Wir notieren: Die persönliche Überzeugung der Autoren, das arrogante Propagandistenstadl, die Staatspresse im Netz und eine steuergleiche Gebühr. Vier Kommentatoren, vier Meinungen, vier Irrpfade.

Rundfunkbeitrag als Steuer? Nicht doch!

Warum vergisst die Kritik stets die Grundlage des dualen Mediensystems, das Grundgesetz? Das Rundfunkrecht basiert im Wesentlichen auf verfassungsgerichtlich entwickelten Leitlinien und das hat seinen historischen Grund. Deutschland zog Lehren aus dem Propagandaregime der Nationalsozialisten und formte nach dem Vorbild der BBC einen demokratischen Rundfunk, der Distanz zu direkter staatlicher und parteipolitischer Einflussnahme gewährleistet.

Womit wir schon beim Kommentar von Jan Fleischhauer "Vorsicht, Staatsfunk" wären: Falsch, es handelt sich hier mitnichten um eine Steuer. Ganz im Gegenteil ist der Rundfunkbeitrag eine Haushaltsabgabe, die ganz bewusst von der Steuer entkoppelt ist. Denn wer würde dann über den Einsatz der Mittel entscheiden? Die deutsche Bundesregierung mit seiner jeweligen regierungsbildenden Mehrheit. Das, lieber Herr Fleischhauer, würde wirklich alle Türen für die direkte Einflussnahme der Politik aufstoßen. Die Unabhängigkeit von ARD und ZDF wird durch die (zivil)gesellschaftliche Finanzierung gestützt - nur so kann auf Staatsferne gepocht werden.

"Das bedeutet nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts allerdings nicht völlige Staatsfreiheit", betont Medienrechtler Gostomzyk in einem Interview mit, ja, tagesschau.de. Gemeint sind die Aufsichtsgremien, die ARD und ZDF kontrollieren und alle "gesellschaftlich relevanten Gruppen" repräsentieren sollen. Das können Kirchenvertreter genauso wie Gewerkschafter oder Bauernverbände, aber eben auch Vertreter von Parteien und Landesregierungen sein. "Staatliche Akteure dürfen in den Rundfunk- und Verwaltungsräten allerdings keinen maßgeblichen Einfluss bekommen", so Gostomzyk weiter.

Womit wir bei berechtigter Kritik wären: 2014 erklärte das Bundesverfassungsgericht den ZDF-Staatsvertrag in Teilen für verfassungswidrig, weil zu viele Vertreter von Bund, Ländern und Parteien in den Aufsichtsgremien saßen. Der überarbeitete ZDF-Staatsvertrag sieht seitdem vor, maximal ein Drittel von staatsnahen Vertretern zuzulassen. Klingt gesund: Die Kontrollinstanzen nehmen das Programm von ARD und ZDF unter die Lupe, während das Bundesverfassungsgericht prüft, ob die Kontrollinstanzen ausgewogen zusammengesetzt sind. Das ist keine Selbstverständlichkeit.

Staatsfernsehen sieht man oft, nur nicht in Deutschland

In Spanien kann das aktuell gut beobachtet werden. Dort wird der Sender Radiotelevisión Española (RTVE) zu einem großen Teil aus der Staatskasse finanziert. Eine Sparmaßnahme in der Euro-Krise betraf den staatlichen Zuschuss für RTVE. Die Gefahr: Journalisten könnten bei zu regierungskritischen Tönen um ihren Job fürchten. Erste Indizien in diese Richtung waren bei den jüngsten Auseinandersetzungen in Katalonien über Twitter öffentlich geworden. Dort monierten mehrere RTVE-Journalisten die unkritische Haltung zu den brutalen Polizeieinsätzen als Berichterstattung "im Dienste der Zentralregierung".

Was die Gewaltenteilung angeht, sind auch osteuropäische Länder wie Polen oder Ungarn akute Negativbeispiele. Dort wurde zwar nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion ein öffentlich-rechtlicher Rundfunk eingeführt, um den Richtlinien für einen EU-Beitritt gerecht zu werden. Doch längst sehen Beobachter in den neu strukturierten Medien einen "Staatsfunk": Verhasste Führungsfiguren wurden durch regierungskonforme Platzhalter ersetzt. So setzte der deutsch-französische Kulturkanal Arte die Zusammenarbeit mit dem polnischen Sender TVP aus: "Infolge des am 31. Dezember 2015 in Polen verabschiedeten Gesetzes über die öffentlich-rechtlichen Medien hat Arte entschieden, die vertraglichen Beziehungen mit TVP bis auf Weiteres auszusetzen."

Und wer tatsächlich "Staatsfernsehen" sehen möchte, braucht nur nach Nordkorea zu schauen. Dort wird ausschließlich im Auftrag des Staates gesendet. Die Staatsmedien dienen tatsächlich der Propaganda des Diktators Kim Jong-Un, womit auch schnell klar wird, wie nahe sich Axel Springer-Boss Mathias Döpfner in die AfD-Ecke begibt, wenn er von "Nordkorea" spricht und Beatrix von Storch mit "Propagandistenstadl" anpeitscht.

Modernisierung des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks

Eine konstruktive Auseinandersetzung mit den Problemen der sich rasant verändernden Medienwelt im 21. Jahrhundert ist nötig, daher müssen sich auch ARD und ZDF Kritik gefallen lassen.

Von den rund 8 Milliarden Euro, die ARD und ZDF durch die Haushaltsabgabe jährlich bekommen, müsste deutlich mehr Geld in die Finanzierung hochwertiger und wichtiger Dokumentarfilme und/oder außerordentlicher journalistischer Stücke gesteckt werden. Gerade weil es bei den Öffentlichen-Rechtlichen eben nicht (nur) um Quote geht, sondern auch um Fernsehen abseits des Mainstreams und TV für Minderheiten und Nischen. "Unsere Mütter, unsere Väter", die NSU-Trilogie der ARD oder "Die große FIFA-Story" müssen möglich sein, dafür könnten einige Blüten von "Rote Rosen" gekürzt werden. Doch wer weiß: Vielleicht gehören die Kritiker auch zum Zuschauerkreis der seichten Schönwetterunterhaltung des ARD und ZDF Vorabendprogramms - bequemes Programm zum Abschalten ganz ohne Meinung der Autoren tut einem Horst Seehofer nicht weh.

Was wir brauchen, ist genau das: der unbequeme öffentliche-rechtliche Rundfunk. Unabhängige Sender, die den Finger in die Wunde legen und die Kritiker weiter wettern lassen.