Liebe ist blind – das will uns immerhin die neue Reality-Sensation von Netflix verkaufen. In der Sendung "Love is blind" daten US-Amerikaner in Einzelkabinen und nur über die Stimme andere Personen, die ebenfalls in den sogenannten "Pods" sitzen. Und wer jetzt einen nicht-lustigen Corona-Witz reißen möchte – die Sendung wurde schon vor über einem Jahr gedreht, aber jetzt erst ausgestrahlt. Das Format, eine Mischung aus Blind- und Speed-Dating, krankt dafür allerdings an einer anderen entscheidenden Stelle.

Worum geht es in "Love is blind"?

Das Moderatorenehepaar Nick und Vanessa Lachey betont an jeder möglichen Stelle, dass die Kandidaten total verrückt sein müssen, denn sie daten ohne sich zu sehen. Also angeblich ohne irgendwelche Vorurteile gegenüber der anderen Person, deren Hautfarbe, Alter, Größe, Gewicht und so weiter ja unbekannt sind. Die Menschen sollen in den Pods also nur anhand ihres Charakters beurteilt werden. Aber wir wären nicht bei einer richtig guten Trash-TV-Sendung, wenn Netflix es nicht noch auf die Spitze treiben würde: In dem Experiment sollen die Kandidaten blind ihre Partner fürs Leben finden und noch während der zehntägigen Datingphase einen Antrag machen. Dann haben die Singles, die sich nach ein paar Tagen dann auch endlich sehen, vier Wochen Zeit bis zur entscheidenden finalen Frage am Traualtar. Sagen sie ja zueinander und einer Ehe mit einer Person, die sie erst wenige Wochen kennen, oder ist Liebe doch nicht blind? Kurzzusammenfassung für alle: "The Circle" meets "Hochzeit auf den ersten Blick" und noch eine Prise Drama à la "Bachelor". Willkommen bei Netflix verrücktestem Experiment, das für mich aber einen großen Haken hat. Wenn Liebe blind ist, warum sind alle Kandidaten einfach verdammt attraktiv?

"Wir wollten keine Kandidaten, die nur Aufmerksamkeit suchen"

Jessica, Mark, Amber Barnett, Cameron, Lauren … um nur ein paar der Kandidaten zu nennen, die für die Reality-Sendung gefilmt wurden, sind alle wie Protagonisten eines US-Hollywoodfilms. Chris Coelen, der Schöpfer von "Love is blind", hat gegenüber Entertainment Weekly über den Auswahlprozess gesprochen. "Wir haben eine tolle Castingabteilung und sie haben Leute angesprochen, von denen sie dachten, dass sie ehrlich interessiert sind an dieser Verbindlichkeit", so Coelen. "Ich denke, das war der Schlüssel für uns: Wir wollten keine Leute, die es nur für die Aufmerksamkeit machen." Damit meint er vermutlich Influencer, die über Castingsendungen Reichweite erhoffen. Davon gibt es auch in deutschen Formaten mittlerweile immer wieder Fälle.

Hollywood lässt grüßen

Aber trotzdem: Dass sicherlich nicht jeder ein Hollywoodlächeln, glänzendes Haar oder einen muskelbepackten Körper hat, wird in der Sendung, die so viel das Nicht-Sehen in den Fokus liegt, total ignoriert. Dabei handelt es sich laut Coelen aber nur um einen Zufall! Die Produzenten der Sendung haben nur die Paare in den Pods bleiben lassen, von denen sie eine tiefe Verbindung spürten. Alle anderen der insgesamt 30 Teilnehmer wurden nach Hause geschickt. "Und warum auch immer, aber die Menschen, die eine tiefe Bindung aufbauten, sahen aus wie sie aussahen. Und das war sehr interesant für mich", so Coelen in dem Global News Podcast "Wait, There's More".

So wirklich überraschend ist das aber ja nicht, wenn die Verantwortlichen der Sendung natürlich die Kandidaten genommen haben, die sie für die Show am besten verkaufen konnten. Ein bisschen american dream muss doch einfach dabei sein oder? Aber warum wird so viel darüber geredet, dass das Aussehen keine Rolle spielt, wenn beim Casting bereits kalkuliert wird, dass alle dem gängigen Schönheitsideal entsprechen? "Love is blind" wirkt wie die Verfilmung eines Blinddates zwischen Barbie und Ken. Sorry, Netflix, aber das könnt ihr besser.

Alle Episoden von "Love is blind" sind bei Netflix streambar.