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Krimi vs True Crime: Im Zeichen des Verbrechens

Aktenzeichen XY...ungelöst
ARD

True-Crime-Formate erzählen echte Morde nach - was früher Ramschware bei Kleinsendern war, wird jetzt öffentlich-rechtlich produziert. Warum?

Fragen Sie Schauspieler, fragen Sie Journalisten, fragen Sie sich selbst als Zuschauer: Was braucht das deutsche Fernsehen? Antwortet da irgendwer "noch mehr Krimis"?

Und doch werden immer mehr Mordgeschichten produziert, und besonders eine Spielart ist dabei auf dem Vormarsch: True Crime, zu Deutsch "echte Verbrechen". Die Dokusoap unter den Krimis stellt mit Laiendarstellern reale Fälle nach, fast immer Mord. Pensionierte Polizisten erinnern sich mit Sätzen wie "In 40 Dienstjahren habe ich so was noch nicht gesehen" an beruflich Einmaliges. Mit Spannungsmusik und dramaturgischem Hinhalten wird die Jagd auf den längst gefassten Mörder noch einmal nervenkitzelig aufbereitet. Whodunit nach einer wahren Begebenheit.

Das ist grundsätzlich nichts Neues. Seit Jahrzehnten bestreiten in den USA kleine Spartensender lange Programmstrecken mit einem Mix aus Serienmördern und Highway-Verfolgungsjagden. Der Sender Investigation Discovery sendet sogar gar nichts anderes mehr.
Bei uns punkten kleine Sender wie Super RTL, Sat.1 Gold und vor allem TLC mit US-Formaten wie "Snapped -Wenn Frauen töten" oder "Unschuldig hinter Gittern". Aber auch öffentlich-rechtliche Sender wie ZDF info ("Überführt") oder der NDR ("Morddeutschland") setzen zunehmend auf die (selbst produzierte) Nacherzählung von Gewalttaten.

Rechtschaffenheit und Neid

US-Formate wie "Jung, schön und skrupellos" oder "Amerikas gefährlichste Killer" (beide TLC) ­erzählen oft sehr reißerisch und ­bedienen Rechtschaffenheit und Sozialneid. Textprobe "Jung, schön...": "Für diesen unverschämten, reichen Bengel ist das ganze Leben eine einzige Party..." Bis er endlich für den Suff-Unfall zur Rechenschaft gezogen wird. Die deutschen Formate sind eher bemüht, Seriosität zu verbreiten. Joe Bausch, Gefängnisarzt und Gerichtsmediziner des Kölner "Tatort", sagt etwa in "Überführt" über den brutalen Zuhälter An­dreas Marquardt: "Ich will einer Frage nachgehen - woher kommt seine Gefühllosigkeit?"

Detektivischer Spürsinn ist dafür allerdings gar nicht nötig. Marquardt hat die Gründe - sexu­eller Missbrauch durch die Mutter - bereits in einer Autobiografie dargelegt, die auch schon längst verfilmt wurde ("Härte"). Aber das muss man dem Zuschauer ja nicht unbedingt aufs Brot schmieren. Die Urmutter des deutschen True Crime, "Aktenzeichen XY..." hilft seit einem halben Jahrhundert tatsächlich, Täter zu finden und Verbrechen aufzudecken. Im Verbund mit der Polizei dient die Sendung so durchaus dem Gemeinwohl. Alle anderen True-Crime-Formate erzählen abgeschlossene Fälle. Mit welchem ­Erkenntnisgewinn?

Am Ende siegt das Gute

Gemein ist beiden, dass das Gute, die Polizei, am Ende die Oberhand behält. Weshalb Polizisten auch gern in diesen Sendungen auftreten. Rainer Wendt, Bun­desvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft, sagt dazu: "Grundsätzlich sehen wir es po­sitiv, dass Einsatz- und Ermittlungskräfte im Fernsehen auftreten. Sie vermitteln authentisch Polizeiarbeit und tragen somit dazu bei, den Bürgerinnen und Bürgern ein realistisches Bild zu zeigen und damit ein hoffentlich positives Image zu erzeugen."

Die True-Crime-Fälle wie einen ganz normalen Krimi zu konsumieren, ist aber auch kein Problem. Ein Mörder wird gejagt, es wird möglichst spannend erzählt, der Zusatz "nach einer wahren Begebenheit" ist einfach ein spannungssteigerndes Element, wie man es auch im Film kennt. Das Personal ist oft sowieso schon aus den fiktionalen Krimis bekannt. Joe Bausch aus dem "Tatort", ebenso wie Andrea Sawatzki, die auf TLC die US-Reihe "Deadly Sins - Du sollst nicht töten" präsentiert. Fritz Wepper und Michaela May mimen in "Protokolle des Bösen" (A&E) Massenmörder, deren Namen frei erfunden, deren Taten aber true sind.

Besonders deutlich wird diese Durchmischung von Fiktion und Realität bei Michael Tsokos, der als Direktor der gerichtsmedizinischen Abteilung der Charité Fachmann in Sachen Mord und Leichen ist. Er berät den Schauspieler Jan Josef Liefers für seine Rolle als Professor Boerne, begann dann, seine interessantesten Fälle in Buchform zu publizieren.
Mittlerweile hat er auf Sat.1 ­seine eigene True-Crime-Show ("Dem Tod auf der Spur - Die Fälle des Prof. Tsokos") und schreibt blutige Thriller mit Titeln wie "Zerschunden", "Zerbrochen" oder "Zersetzt", fiktional, aber mit "True Crime"-Sticker auf dem Umschlag. Tsokos hat kein Problem damit, seine Arbeits­räume zu präsentieren. Für eine Gruppe von RBB-Zuschauern der Sendung "Zibb" wird die Teilnahme an der Führung durch Sektionssaal und Kühlkammer als "Hauptgewinn" anmoderiert. Es gibt menschliche Knochen zu sehen, Messer-in-Männerbauch-Modelle, Schädel mit Loch. "Ich interessiere mich natürlich auch für Krimis im Fernsehen", erklärt eine ältere ­Dame. Der Sprecher weist auf den "süßlichen Geruch" hin, der hier überall in der Luft hängt...

Mord als Ordnungsmaßnahme

Was haben wir eigentlich für ein Problem, dass wir uns neben all den grausigen realen Bildern aus Kriegsgebieten in Syrien, von ertrunkenen Flüchtlingen im Mittelmeer auch noch zur Entspannung mit blutigen Verbrechen ­beschäftigen?

Das eine hat vielleicht tatsächlich etwas mit dem anderen zu tun. Denn anders als im wahren Leben werden im Krimi am Ende alle Fäden aufgelöst, die Ordnung wiederhergestellt. In True-Crime-Fällen ist diese Wirkung wegen des Realitätsbezugs noch stärker. Die Buchkritikerin Margarete von Schwarzkopf fasst die Wirkung von Krimis so zusammen: "Wir ­leben in einer Welt, die so blutrünstig ist, dass die Krimigewalt eine Erholung ist. Weil es am ­Ende, anders als bei den Nachrichten, eine Erlösung gibt, und weil die Opfer aus ihrer Anony­mität geholt werden."

Für den Ethnologen Thomas Hauschild aus Halle ist das global vernetzte Leben mit seinen komplexen Wechselmechanismen, "wo man verunsichert wird durch Nachrichten über irgendwelche Finanzströme, die man nicht versteht", Grund genug für die Flucht in eine verstehbare Mordgeschichte. "Die Menschen wollen nicht in der Postmoderne leben, sondern sie arbeiten dagegen an, und wollen dann wenigstens für einen Ort, für einen Bösewicht, für einen zwielichtigen Kommissar genau wissen, was los ist."

Brauchen wir also am Ende doch all diese Krimis? Sie wer­den auf jeden Fall eingeschaltet - und haben aus Sendersicht einen unschlagbaren Vorteil: Sie sind extrem billig zu produzieren. Und werden uns allein deshalb wohl noch eine ganze Weile begleiten.