Volksverräter"-Rufe, Fake News, Hassmails - Politiker und Pressevertreter stehen unter Druck, seit eine digitale Parallelgesellschaft
die politische Debatte zunehmend in die sozialen Medien verlagert hat. Gerüchte und Verschwörungstheorien werden ungebremst ins Netz gejagt, Misstrauen und Verunsicherung allerorten.
Wie ein erbitterter Kampf um Deutungshoheit sich gerade anschickt, nicht nur Politik und Medien, sondern die gesamte Öffentlichkeit zu verändern, veranschaulicht die Doku "Nervöse Republik" auf eindrückliche Weise. Ein Großprojekt, für das Autor Stephan Lamby führende Politiker und Journalisten über die Dauer eines Jahres beobachtet hat: Bundesinnenminister Thomas de Maizière, Bundesjustizminister Heiko Maas, Linken-Chefin Sahra Wagenknecht, AfD-Vorsitzende Frauke Petry, die Strategen von SPD und CDU, Katarina Barley und Peter Tauber, sowie die Chefredaktionen von "Spiegel Online" und "Bild".
Der unkommentierte 90-Minüter entwirft ein düsteres Bild der bundespolitischen Wirklichkeit, auch weil in diesem Jahr einschneidende Ereignisse passierten: Brexit, Trump-Wahl, Terroranschläge in Deutschland.
die politische Debatte zunehmend in die sozialen Medien verlagert hat. Gerüchte und Verschwörungstheorien werden ungebremst ins Netz gejagt, Misstrauen und Verunsicherung allerorten.
Wie ein erbitterter Kampf um Deutungshoheit sich gerade anschickt, nicht nur Politik und Medien, sondern die gesamte Öffentlichkeit zu verändern, veranschaulicht die Doku "Nervöse Republik" auf eindrückliche Weise. Ein Großprojekt, für das Autor Stephan Lamby führende Politiker und Journalisten über die Dauer eines Jahres beobachtet hat: Bundesinnenminister Thomas de Maizière, Bundesjustizminister Heiko Maas, Linken-Chefin Sahra Wagenknecht, AfD-Vorsitzende Frauke Petry, die Strategen von SPD und CDU, Katarina Barley und Peter Tauber, sowie die Chefredaktionen von "Spiegel Online" und "Bild".
Der unkommentierte 90-Minüter entwirft ein düsteres Bild der bundespolitischen Wirklichkeit, auch weil in diesem Jahr einschneidende Ereignisse passierten: Brexit, Trump-Wahl, Terroranschläge in Deutschland.
Im Nachhinein ein journalistischer Coup, dass Sie diese Zeitspanne gewählt haben?
Stephan Lamby: Jedenfalls ein Zeitraum, der es in sich hatte. Und es bleibt spannend: Bald ist Präsidentschaftswahl in Frankreich, im Herbst Bundestagswahl. Ganz Europa wird durchgerüttelt, und das wirkt sich auf die politische Stimmung bei uns aus.
Sie meinen den aufstrebenden Populismus. Haben wir nicht schon Schlimmeres erlebt?
Sicher, es gab schon früher nervöse Zeiten - Kubakrise, Mauerfall, 9/11. Man könnte meinen, wenn wir IS-Terror und Flüchtlingskrise überwunden haben, dann beruhigt sich alles wieder. Das glaube ich aber nicht, weil die Veränderungen, die wir erleben, struktureller Natur sind. Die politische Meinung der Bürger wird heute ganz anders beeinflusst als
noch vor zehn Jahren. Das liegt auch am Einsatz von Algorithmen, an sozialen Medien. Donald Trump sagt ja selbst, dass er seinen Wahlsieg auch sozialen Medien verdankt.
"Volksverräter"- oder "Lügenpresse"-Rufe klingen gegenüber dem, was im Netz gepöbelt und gedroht wird, geradezu harmlos.
Mich hat überrascht, dass viele Gewaltaufrufe gegen Politiker, aber auch gegen uns Journalisten nicht mehr anonym, sondern unter Klarnamen veröffentlicht werden. Da passiert gerade etwas: Viele Verfasser fühlen sich offenbar als Teil einer Bewegung.
Sie haben mit Frauke Petry eine politische Brandstifterin begleitet, die von der Presse gemeinhin gemieden wird. Wie war's?
Sie hat sich erstaunlich offen gezeigt. Ich hatte erwartet, dass Frauke Petry, die uns Journalisten gelegentlich als "Pinocchio-Presse" beschimpft, sehr viel verspannter ist. Und war dann überrascht, dass der persönliche Umgang mit ihr nicht viel anders war als mit anderen Politikern.
Erstaunlich, weil Petry bei einer Veranstaltung sagt, dass sie geradezu Schmerzen empfindet, wenn sie mit Journalisten redet.
Ich habe diese Schmerzen bei ihr nicht gespürt. Parteien definieren sich durch Feindbilder, und so poltert die AfD eben gegen Journalisten. Während sie uns gleichzeitig braucht. Also habe ich das als Spiel empfunden, was die AfD da aufführt. Allerdings kein harmloses Spiel, nicht alle durchschauen es.
Stephan Lamby: Jedenfalls ein Zeitraum, der es in sich hatte. Und es bleibt spannend: Bald ist Präsidentschaftswahl in Frankreich, im Herbst Bundestagswahl. Ganz Europa wird durchgerüttelt, und das wirkt sich auf die politische Stimmung bei uns aus.
Sie meinen den aufstrebenden Populismus. Haben wir nicht schon Schlimmeres erlebt?
Sicher, es gab schon früher nervöse Zeiten - Kubakrise, Mauerfall, 9/11. Man könnte meinen, wenn wir IS-Terror und Flüchtlingskrise überwunden haben, dann beruhigt sich alles wieder. Das glaube ich aber nicht, weil die Veränderungen, die wir erleben, struktureller Natur sind. Die politische Meinung der Bürger wird heute ganz anders beeinflusst als
noch vor zehn Jahren. Das liegt auch am Einsatz von Algorithmen, an sozialen Medien. Donald Trump sagt ja selbst, dass er seinen Wahlsieg auch sozialen Medien verdankt.
"Volksverräter"- oder "Lügenpresse"-Rufe klingen gegenüber dem, was im Netz gepöbelt und gedroht wird, geradezu harmlos.
Mich hat überrascht, dass viele Gewaltaufrufe gegen Politiker, aber auch gegen uns Journalisten nicht mehr anonym, sondern unter Klarnamen veröffentlicht werden. Da passiert gerade etwas: Viele Verfasser fühlen sich offenbar als Teil einer Bewegung.
Sie haben mit Frauke Petry eine politische Brandstifterin begleitet, die von der Presse gemeinhin gemieden wird. Wie war's?
Sie hat sich erstaunlich offen gezeigt. Ich hatte erwartet, dass Frauke Petry, die uns Journalisten gelegentlich als "Pinocchio-Presse" beschimpft, sehr viel verspannter ist. Und war dann überrascht, dass der persönliche Umgang mit ihr nicht viel anders war als mit anderen Politikern.
Erstaunlich, weil Petry bei einer Veranstaltung sagt, dass sie geradezu Schmerzen empfindet, wenn sie mit Journalisten redet.
Ich habe diese Schmerzen bei ihr nicht gespürt. Parteien definieren sich durch Feindbilder, und so poltert die AfD eben gegen Journalisten. Während sie uns gleichzeitig braucht. Also habe ich das als Spiel empfunden, was die AfD da aufführt. Allerdings kein harmloses Spiel, nicht alle durchschauen es.
Bei vielen Veranstaltungen schlägt einem Hass entgegen, der fassungslos macht. Auch Sie?
Ich kannte die Bilder während der Flüchtlingskrise 2015/16. Aber ich war zuvor selbst noch nicht bei Pegida-Demonstrationen gewesen. Dass Bürger auf mich zustürzen, mit Schaum vorm Mund, und mir vorwerfen, ich würde von der Regierung und den USA gesteuert, hat mich befremdet. Auch dass dieser Hass von Menschen artikuliert wird, die ich,
von ihrem Erscheinungsbild her, eher in der Mitte der Gesellschaft verorten würde.
Woher kommt dieser Hass?
Es gibt einen Nährboden. Die anhaltende Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich schürt Misstrauen. Das wird durch eine Partei noch angefacht, die systematisch Stimmung macht: gegen Journalisten, gegen
Flüchtlinge, gegen "die in Berlin". Immer mehr Menschen bewegen sich zudem in Filterblasen, bekommen Informationen nur noch von Facebook-"Freunden", von Algorithmen aussortiert. So werden Weltbilder zementiert.
Ein beängstigender Befund des Films: Die Gesellschaft driftet weiter auseinander.
Das ist eine Entwicklung, die allen Sorge bereiten sollte.
Macht Ihnen Ihr eigener Film gerade ein bisschen Angst?
Ja, aber ich habe ihn nicht gedreht, um auch anderen Angst zu machen. Sondern um auf Mechanismen hinzuweisen. Ich habe schon Filme über Machtmissbrauch und Wirtschaftsverbrechen gedreht. Aber "Nervöse
Republik" ist ehrgeiziger. Weil der Film eine gesellschaftliche Tendenz zum Thema hat - den Strukturwandel der Öffentlichkeit.
In welcher Form ist der Journalismus hier gefragt?
Unsere Aufgabe ist es, Fehlentwicklungen, so gut es geht, zu recherchieren und über sie aufzuklären. Auch dann, wenn sie die eigene Zunft betreffen.
Diesbezüglich sind Fehler gemacht worden?
Ja, aber allmählich wächst die Bereitschaft, sich zu ihnen zu bekennen und öffentlich zu korrigieren.
Kann aus der diffizilen Gemengelage auch etwas Gutes, Neues entstehen?
Zunächst finde ich es in Ordnung, dass Medien demokratisiert werden. Es mag in sozialen Medien vieles unbequem sein und hässlich, aber in jeder Krise stecken auch Chancen. Recep Tayyip Erdogan etwa hat vor drei Jahren, als es schon einmal eng für ihn wurde, YouTube und Twitter abschalten lassen. Das zeigt das demokratische Potenzial von sozialen
Medien.
Interview: Heiko Schulze
Ich kannte die Bilder während der Flüchtlingskrise 2015/16. Aber ich war zuvor selbst noch nicht bei Pegida-Demonstrationen gewesen. Dass Bürger auf mich zustürzen, mit Schaum vorm Mund, und mir vorwerfen, ich würde von der Regierung und den USA gesteuert, hat mich befremdet. Auch dass dieser Hass von Menschen artikuliert wird, die ich,
von ihrem Erscheinungsbild her, eher in der Mitte der Gesellschaft verorten würde.
Woher kommt dieser Hass?
Es gibt einen Nährboden. Die anhaltende Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich schürt Misstrauen. Das wird durch eine Partei noch angefacht, die systematisch Stimmung macht: gegen Journalisten, gegen
Flüchtlinge, gegen "die in Berlin". Immer mehr Menschen bewegen sich zudem in Filterblasen, bekommen Informationen nur noch von Facebook-"Freunden", von Algorithmen aussortiert. So werden Weltbilder zementiert.
Ein beängstigender Befund des Films: Die Gesellschaft driftet weiter auseinander.
Das ist eine Entwicklung, die allen Sorge bereiten sollte.
Macht Ihnen Ihr eigener Film gerade ein bisschen Angst?
Ja, aber ich habe ihn nicht gedreht, um auch anderen Angst zu machen. Sondern um auf Mechanismen hinzuweisen. Ich habe schon Filme über Machtmissbrauch und Wirtschaftsverbrechen gedreht. Aber "Nervöse
Republik" ist ehrgeiziger. Weil der Film eine gesellschaftliche Tendenz zum Thema hat - den Strukturwandel der Öffentlichkeit.
In welcher Form ist der Journalismus hier gefragt?
Unsere Aufgabe ist es, Fehlentwicklungen, so gut es geht, zu recherchieren und über sie aufzuklären. Auch dann, wenn sie die eigene Zunft betreffen.
Diesbezüglich sind Fehler gemacht worden?
Ja, aber allmählich wächst die Bereitschaft, sich zu ihnen zu bekennen und öffentlich zu korrigieren.
Kann aus der diffizilen Gemengelage auch etwas Gutes, Neues entstehen?
Zunächst finde ich es in Ordnung, dass Medien demokratisiert werden. Es mag in sozialen Medien vieles unbequem sein und hässlich, aber in jeder Krise stecken auch Chancen. Recep Tayyip Erdogan etwa hat vor drei Jahren, als es schon einmal eng für ihn wurde, YouTube und Twitter abschalten lassen. Das zeigt das demokratische Potenzial von sozialen
Medien.
Interview: Heiko Schulze